Kolumne „Rest der Republik“ Protest der Bauern: Eine Frage der Ehre Eine Kolumne von Burkhard Ewert | 10.01.2024, 09:45 Uhr 32 Leserkommentare
Landwirte protestieren bundesweit gegen Subventions-Kürzungen der Bundesregierung – obwohl die bereits teilweise zurückgerudert ist. Woher kommt die Wut? Statt nur ums Geld, geht es den Bauern um etwas anderes, meint unser Chefredakteur Burkhard Ewert.
Lange Zeit hat mich die Lage der Landwirtschaft nicht besonders berührt. Geändert hat sich das vor einigen Jahren durch einen Zufall. In der nahe gelegenen Grundschule sollte es kein Fleisch von Schweinen mehr geben. Naja, bisschen albern, dachte ich, und ob es da nicht einen Mittelweg gäbe, aber tiefer beschäftigt hat mich die Sache nicht.
Für einen der Väter stellte es sich gänzlich anders dar. Er war der örtliche Schweinebauer. Er bezahlte für die Ganztagsbetreuung, er bezahlte für das Mittagessen, er bezahlte mit seinen Steuern die ganze Einrichtung mit – aber nun sollten seine eigenen Kinder das eigene Produkt in der eigenen Mensa nicht länger essen dürfen.
Der Mann war am Boden zerstört, und er tat mir leid. Seither blicke ich genauer hin. Wie verletzend muss es sich anfühlen, vor den Augen seiner Kinder für seine Arbeit derart gedemütigt zu werden? Ich glaube jedenfalls, der finanzielle Verlust von ein paar Mittagessen wog für ihn weit weniger schwer als die Missachtung seiner Lebenswelt.
Ähnlich ist es jetzt mit den Landwirten und der Politik. Die Sparvorhaben beim Diesel können eine Bauernfamilie mehrere Tausend Euro im Jahr kosten, netto. Beschlossen haben es die Ampel-Spitzen mal eben über Nacht, und das in einer Zeit, in der alles teurer wird, die Zinsen steigen und viele Höfe sowieso aufgeben.
Den gleichen Betrag, auf den sie verzichten sollen, erhielten die Bundesbediensteten und Abgeordneten im Bundestag zuletzt obendrauf – jene Leute, die dem Agrarsektor aus seiner Wahrnehmung heraus das Leben schwer macht.
Dennoch geht es vielen Landwirten beim gegenwärtigen Protest ums Geld nur zuletzt. Wie viel sie für den Diesel zahlen, fällt angesichts der Unterhaltskosten für die Fahrzeuge, für die weitere Technik, für die Gebäude, den Dünger, das Futter und die übrigen Betriebsmittel bedingt ins Gewicht – ebenso in Relation zu den übrigen Subventionen, die sie erhalten.
Die Bauern haben auch nicht zwingend etwas gegen die Energiewende. Viele verdienen gut, indem sie Biogas-Anlagen betreiben, Solaranlagen auf ihre Stalldächer packen oder ihre Flächen für Windräder sowie zunehmend auch Kollektoren verpachten. Woher kommt die Wut?
Rechts sind die Bauern ebenfalls nicht. Bürgerlich, das ja. Nur ein verschwindend geringer Anteil wählt die Grünen. Aber zuletzt in Bayern stimmte ein kleinerer Anteil von ihnen für die AfD als unter den Beamten. In den Wählerwanderungsanalysen orientierten sich besonders viele Arbeiter aus dem sozialdemokratischen Milieu nach rechts. Wer die Bauern in eine solche Ecke schiebt, versucht, sie zu diskreditieren oder blickt, wenn er daran wirklich glaubt, aus einer ziemlichen Blase heraus auf den Rest der Republik.
Idylle oder Quälerei? Die Meinungen gehen auseinander.
Woher also kommt die Wut? Ich glaube, sie wurzelt in ungelösten Milieukonflikten im soziologischen Sinne. Anders gesagt, den Bauern und anderen Vertretern des ländlichen Raums fehlt das Gefühl, als soziale Gruppe mit ihrem Selbst- und Weltbild hinreichend akzeptiert und repräsentiert zu sein.
Stattdessen erleben sie, wie neben der Arbeit der eigene Lebensentwurf und ihr Wertesystem fortlaufend attackiert werden. Mal geht es um die Tierhaltung oder deren Art, mal um die Bewirtschaftung der Flächen. Auch ländliches Brauchtum wird beäugt, der Geländewagen, der Pferdesport, die Jagd, der Pestizideinsatz, das Tierwohl (oder -leid), die Holzwirtschaft und immer wieder das bodenständige Leben an sich, das sich nicht jedem Trend anschließen möchte.
Diese Abwertung wird aus dem Gefühl heraus erlebt, derjenige zu sein, der das Land am Laufen hält, der sich im Unterschied zu anderen Gruppen überproportional anstrengt und das sogar gerne macht. Und es stimmt ja: Jeder Landwirt ist ein Leistungsträger. Sonst kann er es lassen.
Diese Verhältnisse empfinden nicht nur Bauern so. Das erklärt die Sympathie für ihren Protest. Im Handwerk, in technischen Betrieben, als Freiberufler, im Forst oder auch als Unternehmer erleben viele Menschen eine ähnlich schwindende Wertschätzung. Gefühlt kommen auf jeden Handwerksmeister zwei Leute, die sich irgendwo täglich neue Auflagen für ihn ausdenken.
Bauern studieren diese dann nachts; wann sonst. Und sie stellen sich dann manche Frage. Wie sinnvoll ist eine Wärmepumpe für den historischen Hof? Läuft der strombetriebene Elektro-Schlepper fünf Minuten oder sechs, bevor er schlapp macht? Wie weit fährt der Tesla mit dem Brennholzhänger? Warum ermöglicht ein Deutschlandticket dem Städter die Nahverkehrsnutzung zum halben Preis, während die Mobilität auf dem Lande teuer wird?
Apropos teuer: Weshalb zahlen die Bauern den Beamten neuerdings Wohnortzuschläge von 700 Euro netto und mehr? Wieso sollte Glyphosat verboten werden, obwohl die behaupteten Risiken nicht belegt werden konnten? Wie verträgt sich eine Solarpflicht mit dem Reetdach?
Dabei ist es ja so: Anders als die Klima-Kleber wollen die Landwirte mit ihren Protesten keinem anderen Menschen ihre Weltsicht aufzwingen. Sie wollen die eigene nur gerne behalten. Anders als die Lokführer nehmen sie auch kein Land in Geiselhaft, um mehr Geld zu bekommen als bisher. Was sie fordern, ist Respekt, und dass man ihr Leben nicht fortwährend erschwert und madig macht, in beruflicher Hinsicht ebenso wie im privaten.
Ich finde das verständlich. Meine Anerkennung jedenfalls, die haben sie.
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