Prüfer graben tief in der Siemens-Vergangenheit Die Wurzeln des millionenschweren Korruptionsskandals bei Siemens reichen womöglich weiter zurück, als bisher gedacht. Jetzt rücken auch länger zurückliegende Jahre ins Visier der Prüfer.
Eine über die vergangenen zehn Jahre hinaus gehende Untersuchung halte er für "betriebswirtschaftlich und unternehmenspolitisch sinnvoll", sagte der designierte Chef der Siemens-internen Antikorruptionsabteilung, Daniel Noa, im Gespräch mit der Financial Times Deutschand. Strafrechtlich relevant seien jedoch nur die zurückliegenden zehn Jahre. Über den genauen Untersuchungszeitraum werde die Staatsanwaltschaft entscheiden.
Noa, zurzeit noch Oberstaatsanwalt in Stuttgart, soll im Januar zu Siemens nach München wechseln und die dortige Antikorruptionsarbeit koordinieren. Er wird damit zu einer Schlüsselfigur in der Aufklärung des Korruptionsskandals, bei dem Siemens-Schätzungen zufolge der Verbleib von mindestens 420 Mio. Euro in den vergangenen sieben Jahren geprüft wird. Der Konzern räumte nun erstmals ein, dass die internen Kontrollmechanismen in den vorigen Jahren versagt haben.
Strafrechtler Volk berät Kleinfeld
Der Untersuchungszeitraum geht weit über die Amtszeit von Siemens-Chef Klaus Kleinfeld hinaus, der im Januar vorigen Jahres seinen Vorgänger Heinrich von Pierer an der Konzernspitze abgelöst hatte. Im Zentrum der Untersuchungen dürfte auch der langjährige Siemens-Manager Thomas Ganswindt stehen, der von einem Kollegen aus der Kommunikationssparte Com schwer belastet wurde und nach Angaben von Ermittlern wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft bleiben soll. Ganswindt war seit 2004 Mitglied des Zentralvorstands. Der Com-Bereich steht im Zentrum der Ermittlungen über schwarze Kassen, Veruntreuungen von Millionengeldern und Schmiergeldzahlungen an Kunden.
Auch die Tatsache, dass der Siemens-Vorstand trotz vorübergehenden Verzichts auf Gehaltserhöhungen im vorigen Geschäftsjahr 8,5 Prozent mehr verdient hat als 2005, dürfte den Druck auf Kleinfeld und seine Kollegen weiter erhöhen. Die Gehaltszahlen gehen aus dem Geschäftsbericht hervor, den Siemens am Mittwoch im Internet veröffentlichte. Die ursprünglich geplante Erhöhung von 30 Prozent hatte in der Öffentlichkeit vor Monaten zu einer breiten öffentlichen Empörung geführt. Die Vergütung des Gesamtgremiums in bar und in Aktien kletterte um rund 2,4 Mio. Euro auf 30,4 Mio. Euro, obwohl die Manager zugunsten der Mitarbeiter der insolventen Ex-Handysparte BenQ auf die geplante Erhöhung verzichteten. Warum die Bezüge trotzdem stiegen, sei nicht ohne weiteres zu erklären, sagte ein Sprecher.
Siemens-Chef Kleinfeld und Aufsichtsratsvorsitzender von Pierer bereiten sich derweil auf eine juristische Auseinandersetzung mit der Staatsanwaltschaft vor. Eine Siemens-Sprecherin sagte der FTD, beide hätten "gleich nach dem Aufkommen" des Finanzskandals vor vier Wochen prominente deutsche Strafverteidiger zurate gezogen. So werde Kleinfeld von dem Strafrechtler Klaus Volk betreut. Der hatte im Mannesmann-Verfahren Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann verteidigt. Von Pierer habe Anwalt Sven Thomas beauftragt. Thomas hatte im Verfahren um Millionenabfindungen bei Mannesmann den ehemaligen Konzernchef Klaus Esser vertreten. "Beide haben schon früher für Siemens gearbeitet", sagte die Sprecherin.
Von Pierer gerät immer stärker in die Kritik. Dem langjährigen Siemens-Chef wird in dem Finanzskandal ein Interessenkonflikt vorgeworfen. Die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Renate Künast, fordert von Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ablösung von Pierers als Wirtschaftsberater. Experten warnen vor zu schnellen Schlüssen. "Ich glaube nicht, dass das damit etwas zu tun hat", sagte der Wirtschaftsprofessor Alexander Bassen von der Universität Hamburg. "Die Betrugsfälle bei Siemens schmälern nicht seinen ökonomischen Sachverstand."
Von Thomas Fromm (München), Astrid Maier und Max Borowoski (Hamburg)
Quelle: Financial Times Deutschland |