Die neue Besonnenheit Von Raimund Brichta Rückblick: Vor fast genau zwei Jahren, im April 1999, nahm die Europäische Zentralbank den Leitzins um einen halben Prozentpunkt zurück - von 3 Prozent auf 2,5 Prozent. Damals war sie dem allgemeinen Krisengerede auf den Leim gegangen, der grassierenden Deflationspanik. Deshalb ließ sie sich zu diesem drastischen Zinsschnitt noch in einer Zeit hinreißen, in der die Konjunktur im Euroraum schon längst begonnen hatte, sich wieder zu beleben.
Zwei Jahre später sieht die Welt - augenscheinlich - ähnlich aus: Krisenstimmung herrscht an den Märkten, Rezessionsangst geht um. Diesmal aber blieben die Mannen um Wim Duisenberg standhaft. Keine Zinssenkung, obwohl der Druck aus Politik und Wirtschaft zuletzt immer stärker wurde. Das ist gut so. Denn nichts brauchen wir jetzt so sehr wie eine wirklich unabhängig und besonnen handelnde Notenbank. Der Europäische Zentralbankrat hat mit dieser Entscheidung seine Position gestärkt.
Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied zu damals: Der Leitzins liegt heute eindreiviertel Prozent höher als vor der Zinssenkung im April 1999. Diesmal besteht also tatsächlich noch Spielraum nach unten. Denn eines ist mittlerweile klar: Die noch im vergangenen Jahr grassierende Inflationsfurcht war genauso übertrieben wie die Deflationsangst im Jahr davor. So sind die Märkte eben. Sie neigen zu Übertreibungen - in die eine wie in die andere Richtung.
Das sollten Sie sich zu Herzen nehmen, wenn Sie in diesen Tagen den einen oder anderen aufgeregten Kommentar lesen. Es wird bestimmt nicht lange dauern, bis das Deflationsgespenst wieder aus der Kiste geholt wird. Bleiben Sie cool, denn das Gespenst wird auch dieses Mal wieder in der Versenkung verschwinden. Deshalb ist cool und besonnen bleiben auch das Beste, was die Euro-Notenbanker in dieser Situation tun können. Zinssenkungsspielraum ist da, aber Duisenberg & Co. brauchen nichts überstürzen. Es ist noch genug Zeit, um den Euro-Leitzins im Lauf des Jahres in Richtung 4 Prozent herabzuschleusen. Dahin wird er gehen, da bin ich sicher.
Good Trades ! |