Offenbarungseid
Als Helmut Kohl seinerzeit blühende Landschaften versprach, hat er sich geirrt. Aber er hat nicht gelogen.
Als Gerhard Schröder sich im Sommer dieses Jahre kategorisch gegen Steuererhöhungen aussprach, hat er sich nicht geirrt. Er hat gelogen. Deshalb ist auch völlig egal, was Schröder am Mittwoch in seiner Rede vor dem Bundestag verspricht. Man wird ihm nicht glauben.
Regierungen haben auch in der Vergangenheit wirtschaftspolitische Fehler gemacht. Die Finanzierung der Wiedervereinigung etwa gehört zu den katastrophalen Fehlentscheidung in der modernen europäischen Wirtschaftsgeschichte. Aber noch nie hat die deutsche Wirtschaftspolitik so sehr an fehlender Glaubwürdigkeit gelitten wie jetzt. Schöne Worte sind wirkungslos geworden - jetzt zählt nur noch, wie die Regierung handelt.
Des Kanzlers Machtwort vom Montag, es werde nicht zu einer Erhöhung der Mehrwertsteuer kommen, ist wirtschaftspolitisch wertlos. Die Bundesregierung wird alles tun, um das Haushaltsdefizit im nächsten Jahr auf unter drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu senken. Da Schröder sich nicht auf harte Einsparungen im Sozialbereich einlassen wird, bleibt ihm nur übrig, die Abgaben weiter zu erhöhen - auch wenn damit die letzte kleine Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erholung im nächsten Jahr komplett zunichte gemacht wird. Der intellektuell überforderte SPD-Fraktionschef Franz Müntefering hat am Wochenende nur offen ausgesprochen, was die Regierung ohnehin als letzten Ausweg plant: Die Mehrwertsteuer wird 2003 erhöht, zu Gunsten von Bund und Ländern, zu Ungunsten der Konsumenten.
Verwirrung in den eigenen Reihen
Schröder steht auch unter Druck, weil die Unbestimmtheit des politischen Kurses in den eigenen Reihen Verwirrung und Illusionen wuchern lässt. Die unsäglichen Äußerungen des SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler sind dafür bezeichnend: Wer den Vorsitzenden der wichtigsten Reformkommission der Regierung, den Sozialversicherungsexperten Bert Rürup, hemmungslos anpöbelt, der hat offensichtlich ein ganz anderes Programm im Kopf als der Kanzler oder manche Koalitionskollegen. Der Hoffnungsträger Rürup muss sich fragen, ob er gegen solche Widerstände in der größten Regierungspartei überhaupt noch antreten sollte.
Stiegler ist trotz des Schröderschen Machtworts vorgeprescht, seine Rüpeleien richten sich daher auch gegen die Autorität des Kanzlers. Auch SPD-Generalsekretär Olaf Scholz ignoriert munter die Mahnungen des Chefs.
Schröder wird gegen diesen Zwergenaufstand hart durchgreifen müssen. Das Grundproblem ist damit aber nicht gelöst. Schröder hat nicht nur den Wählern manches verschwiegen. Er hat auch seine Partei auf die anstehenden Probleme nie ernsthaft vorbereitet. Solange jedermann in die Reden des Kanzlers die eigenen Wunschvorstellungen hineinprojizieren kann, ist mit politischen Querschlägern und Enttäuschungen regelmäßig zu rechnen.
Schröder könnte sich natürlich vor den Bundestag stellen, die Fehler der letzten Monate eingestehen und alle bislang beschlossenen Steuer- und Abgabenerhöhungen aussetzen. Er könnte sogar noch weiter gehen und die zweite und dritte Stufe der Steuerreform sofort implementieren - gegenfinanziert durch harte Einsparungen im Haushalt. Er könnte das Rentenproblem mit einem Schlag lösen, indem er - wie Rürup vorschlägt - das Rentenalter in Schritten um zwei Jahre erhöht.
Schlechter kann es kaum noch kommen
Die Stieglers im Saal könnte er vor die Wahl stellen: Geht diesen Weg mit mir, oder sucht euch einen anderen. Es wäre eine Herausforderung, aber auch die größte Chance für Rot-Grün. Wenn es je eine Zeit gegeben hätte, politisch Unpopuläres zutun, jetzt wäre der ideale Moment. Schlechter kann es für Schröder und seine Mannschaft kaum noch kommen.
Doch es spricht nichts dafür, dass der Kanzler so reden wird. Er wird das verwässerte Hartz-Konzept zur Arbeitsmarktreform verteidigen und die Opposition dafür angreifen, dass sie den Plan im Bundesrat blockiert hat. Er wird Versprechen abgeben und vielleicht andeuten, dass man auch Fehler gemacht habe. Aber er wird die kapitalen Fehler der vergangenen Wochen nicht rückgängig machen.
Die Schröder-Rezession wird kommen. Sie wird Tausende von Firmen in den Bankrott treiben, Hunderttausende von Menschen den Arbeitsplatz kosten. Am Ende wird die traurige Erkenntnis bleiben, dass es zwischen den politischen Interessen des Bundeskanzlers und den wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik keine Berührungspunkte gibt.
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