Verwirrung auf dem Ölmarkt Rätselraten um das schwarze Gold von Tobias Bayer (Frankfurt) Leichtes US-Rohöl verteuerte sich erstmals über 142 $. Das ist Fakt, aber über die Gründe herrscht Uneinigkeit. Analysten liegen mit ihren Prognosen chronisch falsch, Spekulanten sind einmal Heilsbringer und ein andermal Sündenböcke - und in Saudi-Arabien herrscht Streit über die Höhe der Reserven.Über den Anstieg von rund 7 $ in den vergangenen zwei Tagen auf über 142 $ am Freitag wird gestritten. Viele Analysten führen finanzielle Faktoren ins Feld. Häufig wird die Schwäche der Aktienmärkte und geringe Liquidität als Erklärung angeführt: "Wenn das Geld nirgendwo mehr hinfließen kann, wird es halt in Rohstoffe geleitet. Da einige Marktteilnehmer am Ölmarkt ihre Positionen geschlossen haben, wird der Ölpreis zum Spielball dieser Zuflüsse", sagt Oliver Jakob, Managing Director beim Researchhaus Petromatrix. Eugen Weinberg, Rohstoffanalyst der Commerzbank, nennt den schwachen Dollar als Ursache. "Das ist ein unterstützender Faktor. Die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass der Markt sehr angespannt ist und nicht zuletzt angesichts der Nähe zu der magischen Marke von 150 $ je Barrel Anlässe sucht, weiter nach oben zu marschieren." Andere wiederum sehen das Zusammenspiel aus Angebot und Nachfrage am Werk. Einen Grund für die Ölpreisschübe sehen Experten in Aussagen des Präsidenten der Organisation erdölexportierender Länder (Opec), Chakib Khelil. Er hatte Ölpreise von 150 bis 170 $ für den Sommer prognostiziert. Ein noch düsteres Bild zeichnete der Chef des russischen Energiegiganten Gazprom, Alexej Miller, in der "Financial Times". Er sagte Ölpreise von 250 $ pro Barrel für das kommende Jahr voraus. Seiner Meinung nach hat die Opec zudem ihren Einfluss auf den Ölpreis verloren. Das Kartell habe in der letzten Zeit keine Entscheidung getroffen, die den Ölmarkt wirklich beeinflusst habe. Analysten: Meistens liegen sie falschRätselraten überall. Nicht nur bei kurzfristigen Preisbewegungen gehen die Meinungen auseinander. Auch bei mittel- und langfristigen Perspektiven finden die Experten keinen Konsens. Das alles spiegelt sich in den Preiserwartungen wieder: Die Marktteilnehmer teilen sich nahezu in zwei großen Hälften. 41 Prozent wetten darauf, dass der Preis Ende 2008 auf über 150 $ steigt, 59 Prozent setzen dagegen. Der unaufhaltsame Preisanstieg des Öls wirft ein nicht gerade schmeichelndes Licht auf die Analysten. Nach Berechnung der Deutschen Bank unterschätzten ihre Prognosen die tatsächliche Entwicklung in den Jahren 1999 bis 2003 um durchschnittlich 30 Prozent. Die Leistung wird nicht besser: 2008 könnte der Fehler bei satten 72 Prozent liegen. "Wir empfahlen Marktteilnehmer bereits im Januar 2004, auf die Reuters-Umfrage unter Analysten 30 Prozent aufzuschlagen, um einen besseren Wert zu bekommen", schreiben die Analysten der Deutschen Bank in einer Studie. Für 2009 beträgt die Durchschnittsprognose 104 $. "Wenn man das mit dem Fehlerwert multipliziert, kommt man auf einen Preis von 141 $." Ein möglicher Grund für die fehlende Treffsicherheit: Analysten stützen sich häufig auf Regressionsmodelle auf Basis des Spotpreises. "Das funktioniert in der neuen Ölwelt nicht mehr", heißt es in der Deutschen-Bank-Studie. Große Verwirrung herrscht bei der Frage, ob Spekulanten verantwortlich für die Preisanstiege sind oder nicht. Der US-Kongress drängt seit Monaten auf härte Auflagen für Finanzinvestoren. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Repräsentantenhauses kam zum Ergebnis, dass Spekulanten inzwischen 70 Prozent der Futurepositionen an der New York Mercantile Exchange (Nymex) halten. Das steht in direktem Widerspruch zu bisherigen Aussagen der US-Terminbörsenaufsicht CFTC. Diese hatte zuvor stets behauptet, dass die Bedeutung der Investmentbanken und Hedge-Fonds über die Jahre nicht gewachsen ist. Die CFTC hat auf den Druck aus Washington bereits reagiert - und die Transparenzvorschriften für Indexinvestoren verschärft. Zudem wurde die Zusammenarbeit mit der britischen Aufsichtsbehörde FSA vertieft. Angedacht ist außerdem, die Kompetenz der CFTC auch auf ausländische Handelsplätze wie die Londoner ICE Futures zu erweitern. Suche nach einem nichtexistierenden MonsterKritiker halten dem entgegen, dass Spekulanten Preise nicht setzen, sondern ihnen nur folgen. Ihre Argumente: Die Preise auch nicht börsengehandelter Rohstoffe hätten zugelegt; Märkte, in denen Indexinvestoren besonders aktiv seien, hätten seit Wochen schwächer notiert. Auch gebe es keine Anzeichen dafür, dass Spekulanten Öl physisch horten und einlagern. "Die Politik und die Aufsicht suchen in einem dunklen Raum nach einem Monster. Wenn sie das Licht anknipsen, werden sie merken, dass da keines ist", sagt Michael Lewis, Leiter Rohstoffrecherche der Deutschen Bank. Historische Parallelen werden gezogen. Deutsche-Bank-Experte Lewis vergleicht die aktuelle Diskussion um die Rolle der Spekulation mit der Zeit nach dem Zusammenbruch des Europäischen Währungssystems (EWS) 1992 und 1993. Damals wetteten Investoren wie Hedge-Fonds-Manager George Soros gegen das britische Pfund - und wurden für das Ende fester Wechselkurse verantwortlich gemacht. "Die Situation auf dem Ölmarkt erinnert an die Turbulenzen auf dem Währungsmarkt Ende der 90er-Jahre. Die Wechselkurse waren nicht aufrechtzuerhalten, viele Währungen waren gegenüber der D-Mark überbewertet. Die Spekulanten haben nur dafür gesorgt, dass die Bewertungen fairer wurden", sagt Lewis. Heftig debattiert wird auch die Frage, ob der Höhepunkt der weltweiten Ölförderung bald erreicht ist oder nicht. Selbst unter Experten, die Karriere bei der saudi-arabischen Ölgesellschaft Saudi-Aramco gemacht haben, gibt es keine Einigkeit - wie eine Geschichte des "Wall Street Journal" belegt. Sadad al-Husseini, der bis 2004 die Nummer zwei des wichtigsten Ölunternehmens der Welt war, das täglich zwölf Prozent des weltweiten Öls fördert, gibt einen düsteren Ausblick. Seiner Ansicht ist die Welt mit abnehmenden Reserven und stetig steigenden Preisen konfrontiert. Mit dieser Meinung steht er nicht allein: Der französische Ölmulti Total beispielsweise ist ähnlich pessimistisch. "Wir müssen immer härter arbeiten, um an das Öl zu gelangen. Andere, die das Gegenteil behaupten, müssen über eine irgendeine magische Substanz verfügen, eine Art Voodoo-Zauber", sagt der 61-Jährige Husseini. Ganz anders schätzt Nansen Saleri die Situation ein. Der ehemalige Saudi-Aramco-Manager, der dort für die Verwaltung der Reserven zuständig war, gehört - gemeinsam mit ExxonMobil und dem amerikanischen Energieministerium - zum Lager der Optimisten. Er hat jahrelang Seite an Seite mit Husseini gearbeitet. Trotzdem könnte die Analyse nicht unterschiedlicher ausfallen: "Wir haben bisher 1000 Milliarden Fass Öl von 14000 bis 15000 Milliarden Fass konsumiert. Für die nächsten 40, 50 bis 60 Jahre sehe ich überhaupt keine Schwierigkeiten", sagt Saleri, der heute als unabhängiger Berater in Houston arbeitet. Er glaubt an die Technologie. http://www.ftd.de/boersen_maerkte/aktien/marktberichte/378832.html?p=1 |