Depression auf dem Ölmarkt von Tobias Bayer (Frankfurt)
Wo sind die Ölbullen geblieben? Nach einem beispiellosen Rutsch kostet das Fass nur noch knapp 55 $. Einige Experten rechnen sogar mit weiter fallenden Preisen. Selbst ein milliardenschwerer Energieveteran wurde auf dem falschen Fuß erwischt.
T. Boone Pickens rief im Sommer 2008, als der Ölpreis bei 147 $ notierte, seine persönliche Energiewende aus. Der Investor, der mit Ölunternehmen reich geworden war, kündigte an, einen Windpark aufzubauen. Nicht einmal ein halbes Jahr später wird das schwarze Gold bei 56 $ gehandelt - und der Pickens-Plan liegt auf Eis.
Der Investor nimmt es mit Humor und schreibt scherzhaft den Preisverfall seiner PR-Kampagne zu: "Na, da habe ich mit meiner Werbung für Windkraft doch einen tollen Job gemacht", sagte er am Mittwoch auf der jährlichen Konferenz des Edison Electric Institute.
Die Zeiten auf dem Ölmarkt haben sich grundlegend geändert. Tim Evans, Rohstoffanalyst bei Citi Futures Perspectives, war über Monate kein gefragter Mann. Gebetsmühlenartig verwies er darauf, dass der spektuläre Preisanstieg auf das Rekordhoch 147,27 $ fundamental nicht gerechtfertigt sei.
Nach einem Preiseinsturz von mehr als 60 Prozent seit Juli sind Ölbären wie er wieder die Stars für die Presse und die Öffentlichkeit. "Im August fragte sich noch jeder, wie weit kann der Preis noch steigen. Jetzt fragen sich alle, wie weit kann der Preis noch fallen", sagt Evans mit einer gewissen Genugtuung.
Am Donnerstag kostete Rohöl in New York zunächst 56,10 $. Zuvor war der Kontrakt zur Lieferung im Dezember auf 54,67 $ gefallen. Das ist der tiefste Stand seit dem 30. Januar 2007. Erster Nachfragerückgang seit 1983?
Doch keine Windkraft? Den Ölunternehmer T. Boone Pickens hat der Preisverfall überrascht Doch keine Windkraft? Den Ölunternehmer T. Boone Pickens hat der Preisverfall überrascht
Die wesentliche Ursache für den Stimmungsumschwung ist der trübe Ausblick für die Weltwirtschaft. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht die Industriestaaten im kommenden Jahr zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg in der Rezession und prognostiziert ein globales Wachstum von 2,2 Prozent. Die Statistikabteilung des US-Energieministeriums (EIA) und die Internationale Energieagentur (IEA) revidierten dementsprechend ihre Nachfrageprognose für 2008 und 2009 deutlich nach unten.
Die EIA prognostiziert für das laufende Jahr einen Rückgang des Ölverbrauchs in den USA um 5,4 Prozent. Dies wäre der erste Jahresrückgang seit 1980. Mit dieser Einschätzung steht die Behörde nicht allein.
In ihrem am Donnerstag vorgestellten Novemberbericht senkte die IEA die Nachfrageprognose um 330.000 Barrel (je 159 Liter) für 2008 und 670.000 Barrel für 2009. Damit erwartet die Pariser Organisation nur noch einen Zuwachs um 350.000 Barrel pro Tag im kommenden Jahr. Selbst für China sind die Experten inzwischen skeptisch geworden. Hier revidierten sie die Nachfrageprognose um 180.000 Barrel täglich nach unten.
"Das Fiskalpaket der chinesischen Regierung könnte nichtsdestotrotz den ersten Rückgang der Ölnachfrage seit 1983 abwenden helfen", schreiben die IEA-Analysten. Der IWF geht davon aus, dass Pekings Konjunktur 2009 um 8,5 Prozent wächst. Um einen Einbruch zu verhindern, hatte die Regierung ein Konjunkturpaket mit einem Volumen von 590 Mrd. $ aufgelegt.
Die Finanzinvestoren reduzierten ihr Kaufengagement auf den Rohstoffmärkten zuletzt deutlich. Im Oktober nahmen sie eine Netto-Verkaufsposition ein - was darauf hindeutet, dass sie von weiter sinkenden Preisen ausgehen. Allerdings ist die Unsicherheit so hoch wie selten, was sich in den hohen Schwankungen widerspiegelt.
Die Volatilität, die sich aus Optionen an den Terminmärkten ablesen lässt, liegt momentan bei über 85 Prozent - das ist doppelt so hoch wie Anfang Juli. Für die Experten von Barclays Capital ist das ein Beleg dafür, dass eine Fortsetzung des Preisverfalls befürchtet wird. "Schaut man sich die Volatilitätskurve an, wird klar, dass mit Abwärtsrisiken gerechnet wird. Das gilt insbesondere für die kommenden zwölf Monate", urteilen die Barclays-Capital-Experten.
Anders interpretiert Olivier Jakob von Petromatrix die hohe Volatilität. Nach seiner Berechnung ist der Ölpreis bereinigt um die Volatilität sogar billiger als 1999, als das Fass nur 10 $ kostete. "Heute braucht es nur zehn Tage, bis wir theoretisch bei einem Preis von null ankommen würden. Vor neun Jahren dauerte es immerhin noch 30 Tage", sagt Jakob. Die Schlussfolgerung: Die Kombination aus tiefen Preisen und hoher Volatilität sei dauerhaft nicht durchzuhalten. "Entweder, oder. Entweder steigt der Preis, oder die Schwankungen gehen zurück." Saat für die nächste Ölpreisrally?
Mehrere Analysten argumentieren, dass fundamentale Faktoren, die für steigende Preise sprächen, momentan völlig ausgeblendet werden. "Angebotsrisiken werden am Markt vollkommen ignoriert", sagt Eugen Weinberg, Rohstoffanalyst der Commerzbank. Er verweist auf die Organsation Erdöl exportierender Länder (Opec). Das Kartell kürzte den Ausstoß ab dem 1. November um 1,5 Millionen Barrel täglich. Das nächste Treffen ist für den 17. Dezember angesetzt.
Jedoch mehren sich die Stimmen, die auf eine Vorverlegung der Sitzung pochen. "So kann es mittlerweile als sehr wahrscheinlich gelten, dass die Opec spätestens im Dezember die Fördermenge erneut reduzieren wird", sagt Weinberg. Mittlerweile sprächen sich selbst moderate Mitglieder wie Kuwait und Nigeria für eine nochmalige Fördermengenkürzung aus, zudem habe Opec-Präsident Chakib Khelil eine Kürzung schon am 29. November ins Spiel gebracht.
Selbst Ölbär Evans traut den tiefen Preisen nicht. Er fürchtet, dass die Ölunternehmen wegen des Preisverfalls Förderprojekte ruhen lassen - und die Saat für eine Rally legen. "1998 und 1999 stürzte der Preis auf 12 $. Investitionen wurden zurückgefahren. Die Folge waren geringe freie Kapazitäten, die zur Rally von 2003 bis 2008 führten. Wenn sich das wiederholt, steigen die Preise ab 2010 wieder sprunghaft an."
Milliardär Pickens lässt sich nicht entmutigen. "Ich glaube nicht, dass der Ölpreis noch weiter fällt. In einem Jahr sind wir wieder bei 100 $." Diskutieren Sie verschiedene Themen in der FTD-Debatte zur Top-Liste 39 Bewertungen **** Google Tausendreporter Furl YiGG Mister Wong del.icio.us Webnews
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