Nach der Insolvenz: Gläubiger kämpfen um Lehman-Vermögen
Die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers zieht weitreichende Konsequenzen nach sich: Vermögenswerte in Milliardenhöhe müssen an die Gläubiger verteilt werden. Besonders betroffen sind die Citibank und New York Mellon. Auch für Deutschland hat das Konsequenzen.
Das Ende von Lehman Brothers ist eine Katastrophe für die Gläubiger. Nach dem Antrag auf Gläubigerschutz müssen 639 Mrd. $ an Vermögenswerten zugeordnet werden. Anwälte sprechen schon jetzt von einem zu erwartenden "Chaos".
"Das könnte einen Dominoeffekt auslösen. Gerade Unternehmen und Investoren, die ihre Finanzierung über Lehman geregelt haben, werden das zu spüren bekommen. Aus Sicht der US-Wirtschaft ist das besorgniserregend", sagte Charles Tatelbaum, Konkursanwalt in der Kanzlei Adorno & Yoss, der Nachrichtenagentur Bloomberg.
Besonders Citibank und New York Mellon müssen zittern. Sie fungieren als Treuhänder für Anleihegläubiger. Laut dem Chapter-11-Antrag geht es dabei um ein Volumen von 138 Mrd. $. Größte Einzelgläubiger sind die japanische Aozora Bank mit einem Risiko von 463 Mio. $, die Mizuho Corporate Bank mit 382 Mio. $ und eine Citigroup-Tochter mit Sitz in Hongkong mit 275 Mio. $. Brokerage-Kunden kommen gut weg
Als relativ gut abgesichert gelten die Kunden, die bei Lehman Brothers ein Wertpapierkonto haben. Sie fallen unter die SEC-Vorschriften zum Securities Investor Protection Corporation (SIPC). "Nach unserem Verständnis wird sich die SIPC um die Abwicklung der Broker-Dealer-Einheit kümmern. Die Brokerage-Kunden sollten den Großteil ihres Vermögens zurückerhalten", schrieben die Analysten von Creditsights in einem Researchbericht.
Fraglich ist, wie viel Kapital Lehman Brothers jetzt durch Notverkäufe erzielen kann. Analysten rechnen mit heftigen Abschlägen - die zu Abschreibungen von 8 Mrd. $ allein auf das Portfolio an Unternehmenskrediten führen könnten. Laut dem am Mittwoch veröffentlichten Bericht zum dritten Quartal belief sich der Bestand an riskanten Darlehen und Vermögenswerten zuletzt auf 60,2 Mrd. $. 65 Prozent sind in gewerbliche Immobilienkredite fokussiert. Das umfasst auch die problematischen Engagements bei Suncal und Archstone.
Auch für Deutschland hat die Pleite Folgen. Die Finanzaufsicht BaFin ordnete am Montag ein Moratorium über die deutsche Niederlassung, die Lehman Brothers Bankhaus AG, an. Das bedeutet, dass die Bank einem Veräußerungs- und Zahlungsverbot unterliegt. Außerdem wurde der Investmentbank untersagt, Zahlungen entgegenzunehmen, die nicht zu Tilgung ihrer Schulden bestimmt sind. Man habe das Moratorium anordnen müssen, um die verbliebenen Vermögenswerte zu sichern, teilte die BaFin zur Begründung mit.
Die Lehman Brothers Bankhaus AG mit Sitz in Frankfurt am Main hat Zweigniederlassungen in London, Mailand und Seoul. Die Bilanzsumme der Bank beläuft sich nach dem letzten aufgestellten Jahresabschluss per 31.12.2007 auf rund 16 Mrd. Euro. Das Institut weist Verbindlichkeiten gegenüber institutionellen Kunden in Höhe von rund 14,3 Mrd. Euro aus.
Die Engagements deutscher Kreditinstitute bei Lehman Brothers Holding halten sich in einem überschaubaren Rahmen und seien verkraftbar, teilten das Bundesministerium der Finanzen, die BaFin und die Deutsche Bundesbank am Montag in einer gemeinsamen Erklärung mit. Lehman Brothers: Mitglied des Einlagensicherungsfonds
Die Einlagen der Kunden der deutschen Niederlassung sind im Rahmen des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes geschützt. Das Institut gehört der Entschädigungseinrichtung deutscher Banken GmbH (EdB) an. Wenn die BaFin den Entschädigungsfall festgestellt hat, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vor, dass die Entschädigungseinrichtung die Einleger entschädigen kann. Die EdB hat die Gläubiger des Instituts unverzüglich darüber zu unterrichten, wenn dieser Fall eingetreten ist. Der gesetzliche Entschädigungsanspruch jedes berechtigten Bankkunden ist pro Einleger begrenzt auf 90 Prozent seiner Einlagen und den Gegenwert von 20.000 Euro.
Darüber hinaus ist die Lehman Brothers Bankhaus AG Mitglied des Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes Deutscher Banken (BDB). Dieser Einlagensicherungsfonds übernimmt nach seinem Statut den zehnprozentigen Selbstbehalt und den Teil der Einlagen, der über die gesetzliche Grenze von 20.000 Euro hinausgeht - und zwar bis zur jeweiligen Sicherungsgrenze. Diese liegt pro Einleger bei 30 Prozent des haftenden Eigenkapitals der Bank, also bei rund 309 Mio. Euro.
Für die USA ist die Lehman-Pleite einer der größten der Geschichte. Das amerikanische Insolvenzrecht, der der sogenannte Bankruptcy Code, hält mehrere Verfahrensarten bereit für angeschlagene Unternehmen. Das sind beispielesweise Chapter 11 und Chapter 7.
Die beiden Verfahren unterscheiden sich deutlich von einander. Chapter 7 hat zur Folge hat, dass es zu einer vollständigen Liquidation des Unternehmens kommt - also alle Unternehmenswerte umgehend veräußert werden.
Bei Chapter 11 ist hingegen das oberste Gebot, das Unternehmen vorerst fortzuführen, es also nicht zu liquidieren. Das Unternehmen erhält quasi eine "Erholungsphase", in der es mit Gläubiger und anderen Interessengruppen einen Sanierungsplan ausarbeiten kann. Ein Unternehmen, das nach Chapter 11 Insolvenz beantragt, strebt eine Reorganisierung und Restrukturierung seiner Schulden, Leasingvereinbarungen, Kontrakte, sowie seines Kapitals und anderweitiger finanzieller Verpflichtungen an. Ziel ist immer eine Verringerung der Schuldenlast und Umstrukturierung der Kapitalstruktur. Chapter 11 stellt also eine Erleichterung und einen Schutz für die Unternehmensumstrukturierung dar. Reformen von Chapter 11 beschleunigen Prozess
In der Regel gehen Experten davon aus, dass das gesamte funktionierende Unternehmen wesentlich mehr Wert ist, als man durch den Verkauf seiner Einzelteile erzielen würde. Demnach ist es der ökonomischste Weg, einem ins Straucheln geratenen Unternehmen die Fortführung des Geschäftsbetriebes zu ermöglichen. Arbeitsplätze werden gesichert und der Betrieb bleibt erhalten. Bei der Zerschlagung eines Betriebes ist der Gesamtverlust meist höher. Viele große US-Fluggesellschaften durchlebten bereits eine Insolvenz mit Gläubigerschutz.
"Lehman musste diesen Schritt gehen", sagte Analyst Christoph Schmidt von N.M. Fleischhacker. Alles andere hätte unter den gegeben Umständen keinen Sinn gemacht. Allerdings habe es eine Situation in dieser Größenordung bisher noch kaum gegeben "Es ist noch etwas unübersichtlich. Wir wissen auch noch nicht genau, wie das ausgeht", sagt er. Er geht jedoch davon aus, dass Lehman auf lange Sicht wohl eher nicht zu retten sein wird: "Jetzt wird versucht, die Luft langsam herauszulassen und nicht schnell, damit nicht alles auf einmal zusammenbricht."
Im Oktober 2005 traten weitreichende Änderungen des Insolvenzrechts in Kraft. Sie machten es Unternehmen und Einzelpersonen erheblich schwerer, Schulden loszuwerden. Sie zwingen die Gesellschaften auch, rascher durch Restrukturierungen aus dem Insolvenzverfahren herauszukommen oder diese zu liquidieren.
Quelle: FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND |