DAX explodiert - jetzt einsteigen? Experten raten zur Vorsicht. Rezessionsgefahr bremst auch die Erwartungen der Unternehmen. Von Melanie Wassink
Hamburg - Die Ankündigung staatlicher Rettungsaktionen für die angeschlagene Finanzbranche in Europa hat gestern den freien Fall der Börsenkurse zumindest vorläufig gestoppt. Von Euphorie sprachen Börsianer zwar nicht, doch seien die am Wochenende verkündeten Maßnahmen nicht nur Wortgeplänkel. "Das ist ein Signal in die richtige Richtung", sagte Helaba-Kapitalmarktanalyst Mirko Pillep. "Die Regierungen fahren jetzt schweres Geschütz auf, um die systematischen Risiken in den Griff zu bekommen", sagte Yann Lepape, Chefstratege bei Oddo Securities in Paris. "Es hat lichterloh gebrannt, da musste man löschen", fasste ein Händler zusammen.
Der DAX, der in der vergangenen Woche um mehr als 20 Prozent eingebrochen war, kletterte daraufhin gestern wieder über die 5000-Punkte-Marke. Ein Plus von elf Prozent - gemessen an den Schlusskursen war dies einer der größten Tagesgewinne in der 20-jährigen Geschichte des DAX. Auch in London, Paris und Zürich schossen die Börsenindizes um fünf bis sieben Prozent in die Höhe.
Der Dow-Jones-Index an der New Yorker Wall Street legte ebenfalls zu - auf über 9000 Punkte. Doch die Investoren bleiben vorsichtig. "Wie nachhaltig diese Erholungsbewegung ist, muss sich erst noch zeigen. Sie ist mit Sicherheit auf einem sehr dünnen Fundament gebaut", sagte Händler Stefan de Schutter von der Wertpapierhandelsbank Alpha.
Gegenwärtig mache sich am Aktienmarkt zwar etwas Entspannung breit, allerdings bekämen die Banken nichts geschenkt und für eine richtig große Kursrallye sei die wirtschaftliche Lage eigentlich zu schlecht. "Wichtig ist nun, dass weitere Käufer an den Markt kommen. Bleiben diese weg, können die Gewinne ganz schnell wieder bröckeln", sagte de Schutter. Angesichts dieser Unsicherheit wagt die Haspa derzeit noch keinen Ausblick.
"In dieser Situation sind Prognosen unseriös", warnte Chefvolkswirt Jochen Intelmann gestern. "Es kann noch keine grundlegende Entwarnung gegeben werden", sagte auch Carsten Klude von M.M.Warburg. Im nächsten Quartal seien schlechte Nachrichten von den Unternehmen zu erwarten, die sich nun der Rezession kaum mehr entziehen könnten, sagte der Chefvolkswirt der Hamburger Privatbank dem Abendblatt. Er rät nur denjenigen Anlegern jetzt bereits zum Kauf von Aktien, die einen Anlagehorizont von fünf bis zehn Jahren haben.
Kurschancen sieht der Experte insbesondere bei weniger konjunkturabhängigen Branchen wie Pharma, Nahrungsmittel und Versorgern. Dagegen seien Industrie-, Technologie- und Rohstoffwerte zu meiden. Länderspezifische Chancen oder Risiken sieht Klude indes weniger. Industrieländer, aber auch die Wachstumsmärkte wie China und Indien seien gleichermaßen von den derzeitigen Finanzproblemen betroffen.
Eberhard Hofmann von der Berenberg Bank rät ebenfalls nur langfristig orientierten Anlegern zum Einstieg, und zwar bei "Unternehmen, die renditestark sind und keine Schulden haben", sagte der Leiter Private Banking dem Abendblatt. Grundsätzlich sollten Investoren allerdings den Anteil von Aktien an ihrem Vermögen eher weiter untergewichten, so Hofmann. Es sei noch über einen längeren Zeitraum mit extremen Turbulenzen an der Börse zu rechnen.
Das Risiko einer Inflation hält Carsten Klude von M.M.Warburg unterdessen für begrenzt: Die derzeit wichtigsten Preistreiber Energie und Nahrungsmittel würden durch die nun zu erwartende Abschwächung der Wirtschaft eher billiger als teurer. |