Nachricht vom 11.10.2008 | 13:00
Ja, leck mich doch am Arsch ...
Liebe Leser, ich kann Sie nur waren, die folgenden Gedanken zu lesen. Denn vielleicht wird Sie das abhalten, jetzt ihr sicheres Haus gegen ein Hemd zu tauschen. Und vielleicht müssen Sie dann nackt durch die kommende Krise gehen. Und vielleicht sogar ihr Haus zu Brennholz verarbeiten, um wenigstens nicht zu erfrieren. Vielleicht.
Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders. In der jetzigen Situation kann man nichts mehr wissen, sondern nur noch glauben. Aus diesem Grunde möchte ich heute ein paar Glaubenssätze aufschreiben. Ein paar Sätze, an die ich glaube, und die mich durch diese jetzige Krise leiten:
1: Mit der Krise 2008 betreten wir historisch völliges Neuland. Diese Krise hat weder etwas mit 1929 noch mit 1987 zu tun. 1929 bestand das Hauptproblem in den Kriegsfolgen des Ersten Weltkriegs. Und die Krise wurde deshalb so gravierend, weil die Geld- und Fiskalpolitik äußerst restriktiv ausgerichtet war. Beides ist heute nicht der Fall. Niemals zuvor in der Wirtschaftsgeschichte hat es eine Periode derart expansiver Staatsausgaben und Geldmengenerhöhung gegeben wie in der letzten Wochen.
Deshalb verbietet sich jeder Vergleich mit 1929. Jeder. Und 1987 war ein technischer Marktunfall. Auch das trifft heute nicht. Wir befinden uns zwar erneut in einer Situation, in der die Märkte weltweit nicht mehr funktionieren, doch die Probleme sind heute weit gravierender als 1987. Rein quantitativ liegen wir und also irgendwie dazwischen. Die Wirtschaft wird tangiert werden, aber nicht annähernd so wie 1929. Die Märkte werden irgendwann nach oben explodieren, doch die Verluste zum Top aufzuholen, wird möglicherweise Jahre benötigen.
2: Wir befinden uns derzeit im klassischen Fall der Liquiditätsfalle. Sehr merkwürdig, dass niemand darüber schreibt, das sagt oder es erkennt. Die Notenbanken nehmen in großem Umfang Assets aus dem Markt und geben dafür neues Geld. Doch dieses Geld wird nicht zu Käufen verwendet, sondern gehortet. Glücklicherweise haben wir derzeit „nur“ eine Liquiditätskrise im Finanzbereich und keine in der Realwirtschaft. Denn das ist ja die wirkliche Horrorvision der Liquiditätsfalle, wie Keynes sie im Jahre 1936 beschrieben hat, dass sie nämlich verhindert, die Zinsen so weit zu senken, um Investitionen wieder profitabel zu machen. Doch darauf gibt es derzeit keine Hinweise.
3: Da die Märkte nicht funktionieren, muss man dem Ausmaß des Kursrutsches jegliche Rationalität absprechen. Hier haben wir es eher mit einem sehr vertrauten psychologischen Massenphänomen zu tun. Denken Sie nur daran, zu welchen Schnäppchenpreisen man jetzt Öl und Energieunternehmen kaufen kann. Vor Wochen noch dachten wir, uns ginge die Energie aus und würde unbezahlbar, doch jetzt bekommen wir sie plötzlich fast zum Nulltarif.
4: Für einen Investor, der sich, so wie ich, jetzt auch aus Steuergründen sein Alterssicherungsportfolio zusammen stellt, ist das alles ein sehr zweischneidiges Szenario. Einerseits machen die Verluste auf die bereits eingegangenen Positionen betroffen. Doch andererseits hat es wohl selten eine bessere Kaufgelegenheit gegeben als heute. Alles muss jetzt raus mit 50 % Rabatt und Steuerfreiheit auf Lebenszeit. Wer da nicht zugreift. Oder man kauft einfach staatsgarantierte und immobiliengesicherte Pfandbriefe mit Renditen von über 10% p.a.
5: Wir sind in einer großen Vertrauenskrise. Zuerst haben die Notenbanken nur sporadisch Geld gegeben und die Staaten im Einzelfall Unternehmen gerettet. Jetzt geben die Notenbanken bereits Blankokredite und die Staaten kaufen Aktien. Und das wird so weitergehen, bis eine Stabilisierung erreicht ist. Und die Wirtschaft? Sie wird sich abschwächen. Aber es wird keine Depression geben. Vielleicht werden auch die Inflationsraten steigen. Aber das alles ist noch weitgehend offen. Eine Depression kombiniert mit Hyperinflation, wie heute oft prognostiziert, ist jedenfalls schon von der Logik her ausgeschlossen.
6: Ob wir uns damit in den Weg zu einem Staatskapitalismus befinden, möchte ich sehr anzweifeln. Der Staat und die Notenbanken verhalten sich derzeit vielmehr wie kluge Marktteilnehmer. Sie nehmen zu niedrigen Preisen aus dem Markt, was dort herausgeschleudert wird und sich ansonsten als unverkäuflich erweist. Vielleicht werden sie bald auch die Aktien kaufen. Und wenn dann irgendwann der private Sektor nur noch Bargeld hält und dieses erneut investieren will, wandern die Assets zu steigenden Preisen wieder in den Markt. Das ist ein Staat als Marktakteur in Reinform.
7: Dass es so kommen wird, steht für mich außer Frage. Wir werden nicht untergehen. Die Frage ist nur, wann die Stabilisierung kommt. Vielleicht schon am Montag nach dem Treffen der Finanzminister und Notenbankpräsidenten. Vielleicht geht es auch noch einmal 20% in den Keller. Aber: So what. Das sitzt man doch aus, wenn man die drei großen GŽs von Altmeister Kostolany hat: Geld, Geduld und Gedanken. Was soll man falsch machen, wenn man 50% unter dem Top kauft, bei Verlusten, die alleine in einer Woche schon beinahe 25% ausmachen – und das, was ich oben geschrieben habe, auch nur annähernd zutrifft? Ja, leck mich doch am Arsch ...
Autor: Bernd Niquet
|