Sorge bei SPD und Union wegen Scheidungsrekord in Deutschland
Beide Parteien wollen Erziehungsarbeit in der Schule zur Vorbereitung auf Ehe und Partnerschaft verbessern. Familienexperten sehen Ursache für immer weniger Eheschließungen im Tempo der Arbeitswelt Von Martina Fietz Berlin - SPD und Union wollen Konsequenzen aus dem Scheidungsrekord in Deutschland ziehen, der diese Woche bekannt wurde.
Angesichts von 197.500 zerbrochenen Ehen im Jahr 2001 - das sind 1,6 Prozent mehr als im Vorjahr und mehr als je zuvor in einem Jahr - fordern Union und SPD gleichermaßen, frühzeitig Sensibilität für ein positives Miteinander zu wecken. Zuständig für diese Erziehungsarbeit, die verbessert werden müsse, sei der Staat ebenso wie die Familien.
"In unserer Gesellschaft gibt es eine hohe Glückserwartung", sagte die Vorsitzende der Frauen-Union, Maria Böhmer, WELT am SONNTAG. "In Ehe und Partnerschaft müssen aber viele schwierige Situationen gemeistert werden. Hier gilt es, bereits in der Erziehungsarbeit die Konfliktfähigkeit zu stärken."
Böhmer will zusätzliche Unterstützung anbieten für die Umstellungsphase, wenn Paare zu Eltern werden. 153.500 minderjährige Kinder waren 2001 von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. "In jeder Kommune sollten Häuser für Familien mit Beratungs- und Bildungsmöglichkeiten eingerichtet werden", sagte die CDU-Politikerin. "Dort sollte jeder Rat und Hilfe für den Erziehungsalltag bekommen."
Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Renate Schmidt betonte in WELT am SONNTAG: "Wir müssen junge Menschen besser auf Familie und Partnerschaft vorbereiten." Dieser Erziehungsauftrag müsse Teil des Schulunterrichts sein, sagte die SPD-Politikerin. "Es muss darüber geredet werden, welche unterschiedlichen Erwartungen Frauen und Männer an Familie und Partnerschaft haben. Dazu gehört beispielsweise auch die Frage, wie die Hausarbeit verteilt wird." Zu einer stabilen Partnerschaft gehöre auch "eine gelungene Vereinbarkeit von Familie und Beruf", betonte Schmidt. "Frauen wollen heute beides. Wenn ihnen das nicht gelingt, belastet es die Beziehung." Zudem wirke sich Berufstätigkeit von Frauen auch materiell überwiegend positiv aus.
Wirtschaftliche Schwierigkeiten dürften nicht zur Zerreißprobe für Beziehungen werden, betonen beide Politikerinnen und sehen hierin auch eine wesentliche Verantwortung des Staates. Die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Familienorganisationen, ein Zusammenschluss konfessioneller wie weltlicher Verbände, hat dazu in einem gemeinsamen Thesenpapier nochmals "Steuer- und Bedarfsgerechtigkeit" angemahnt. Familien dürften nicht schlechter gestellt werden als Kinderlose. Außerdem müssten Leistungen für Familien sich an einer "realitätsgerechten Festlegung des Existenzminimums" orientieren.
Mehr Beratung für Paare in den ersten zwei Jahren nach der Geburt eines Kindes nennt Familienforscher Wassilos Fthenakis, Direktor des Staatsinstituts für Familienpädagogik in München, als Voraussetzung für "ein relatives Glück in der Ehe". Darüber hinaus forderte er ein besseres Betreuungsangebot.
Zur hohen Scheidungsrate kommt ein zweiter Negativrekord. Nur 389.000 Eheschließungen gab es 2001 - so wenige wie nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Böhmer und Schmidt sehen die Ursache für diese Entwicklung auch in der Arbeitswelt.
"Die von der Wirtschaft geforderte Mobilität macht es für junge Paare nicht einfacher", sagte Böhmer. "Schwierigkeiten entstehen häufig durch diese hohen Mobilitätsanforderungen und das hohe Tempo in der Arbeitswelt."
Die Weichen für die Karriere müssten heute bis zum Alter von 45 Jahren gestellt sein, betonte Schmidt. "Das ist ein Wahnsinn angesichts gestiegener Lebenserwartung. Wir müssen den jungen Menschen wieder mehr Zeit geben, um sich in Ruhe ihrer Familie widmen zu können."
Quelle: http://www.diewelt.de/daten/2002/09/01/0901de353940.htx |