SPIEGEL ONLINE - 04. Mai 2006, 16:52 URL: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,414493,00.html Kommentar Niederlage für Bush, Sieg für den Rechtsstaat
Von Georg Mascolo, Washington Beihilfe zum Selbstmord - nichts anderes wollte Möchtegern-Märtyrer Zacarias Moussaoui. Doch die Jury in Alexandria zog nicht mit. Mit ihrem Urteil verhalf sie dem lädierten Rechtsstaat in den USA zu einem Triumph. Sie waren so siegessicher, die Staatsanwälte im Verfahren Vereinigte Staaten von Amerika gegen Zacarias Moussaoui. Dessen letzte Reise sollte nach Indiana gehen, ins Bundesgefängnis Terre Haute, wo die Todeskandidaten per Giftspritze ins Jenseits befördert werden. Vor Exekutionsterminen bittet der Bürgermeister, die Vorgärten in Ordnung zu bringen. | AFPHinterbliebene nach dem Urteil: Gewonnen hat der Rechtsstaat | Mit Moussaoui hatte die US-Justiz einen Angeklagten, der es anscheinend gar nicht erwarten konnte, endlich doch noch den Tod in Amerika zu finden. Die Anklage taumelte schon, Zeugen waren beeinflusst worden. Aber in der Stunde der Not versorgte sie Moussaoui großzügig mit immer neuen, wirren Geständnissen. "Ich bin der Feind", skandierte er vor den Juroren. Eine sichere Sache eigentlich für eine konservative Vorstadt-Jury im Bundesgericht von Alexandria. Statt in New York, wo der verheerendste Teil der Anschläge stattfand, waren die Ankläger mit dem Verfahren eigens ins konservative Virginia ausgewichen. Im liberalen New York waren sie 2001 schon einmal mit der Forderung nach Todesstrafen für Terroristen gescheitert. Eine Exekution, hatten die Juroren damals befunden, mache diese Kerle nur zu Märtyrern, lebenslange Haft sei eine viel schlimmere Strafe. Warum sich die Jury nach tagelangen Beratungen letztlich nicht auf ein Todesurteil einigen konnte, ist nicht in allen Einzelheiten bekannt. Eine Mehrheit von ihnen votierte dafür, Moussaouis schwere Kindheit und den gewalttätigen Vater als strafmildernd anzuerkennen. So weit die formale Begründung. Aber mindestens so wahrscheinlich ist, dass einige von ihnen erkannten, welche Scharade Moussaoui und die Ankläger da im Gerichtssaal aufführten. Moussaoui wollte die Todesstrafe, das sei besser und ehrenhafter als auf einer Gefängnistoilette zu sterben, erklärte er einem FBI-Agenten. Und so tat er im Gerichtssaal alles, um es den Anklägern leicht zu machen. Dass Moussaouis Angaben zu seiner angeblichen Verwicklung in die Anschläge des 11. Septembers falsch sind, mussten selbst die Ankläger einräumen. Aber statt sich lange mit den sperrigen Fakten aufzuhalten, setzten sie in den letzten Tagen des Verfahrens nur noch auf Emotionen: Bilder der schrecklichen verstümmelten Toten, Aufzeichnungen aus dem Cockpit einer der Todesmaschinen, selbst Teddybären der Angehörigen waren als Beweisstücke gelistet. Moussaoui ist ein überzeugter Qaida-Anhänger, ein Dschihadi und damit kein Unschuldiger. Aber ob wirklich Blut an seinen Händen klebt, hat die Anklage nicht beweisen können. Verloren haben gestern die Ankläger und die Bush-Regierung. Gewonnen hat der seit dem 11. September schwer deformierte amerikanische Rechtsstaat. Ein Todesurteil wäre Beilhilfe zum Selbstmord gewesen. Das scheint die konservative Vorstadtjury verstanden zu haben.
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