15.11.2011 "ERNÄHRUNG: Süßer Wunderstoff für Europa Brüssel gibt den Boykott gegen die Stevia-Pflanze auf / Keine Hinweise auf schädliche Wirkung Die Stevia-Blätter...Bildvergrößerung
Die Stevia-Blätter...
BRÜSSEL - Sie ist ein Traum für Naschkatzen: die Stevia-Pflanze. Die Blätter des Korbblütlers sind bis zu 30 Mal süßer als Zucker, ihr Saft sogar 300 Mal mehr. Ihr süßes Geheimnis: keine Kalorien und keine Kariesgefahr. Nach jahrelangem Boykott hat die EU nun eingelenkt. Der Wunderstoff wird erstmals auch für Europa freigegeben.
Zunächst darf Stevia allerdings nur in Kaugummi, Marmeladen, Suppen, Eiscreme und Saucen genutzt werden. Und lediglich in geringen Mengen: Höchstens vier Milligramm je Kilo Körpergewicht und Tag sind gestattet. Brüssels Gesundheitskommissar John Dalli am Montag: „Heute setzen wir einen Meilenstein in der Verbesserung der Lebensmittelsicherheit in der Europäischen Union.“
Den Durchbruch machten die Experten der EU-Agentur für Lebensmittelsicherheit (Efsa) im italienischen Parma möglich. Sie kamen nach umfangreichen Studien zu dem Ergebnis, dass es keine Hinweise auf eine gesundheitsschädigende Wirkung gebe. Das Gleiche gelte für das verbreitete Aspartam.
Der Bescheid ist befristet. Ursprünglich wollte die Efsa beide Stoffe bis 2020 noch einmal unter die Lupe nehmen. Anfang 2011 machte die Kommission Druck. Jetzt sollen bis Ende 2012 weitere Belege vorgelegt werden. Erst dann wird mit einer vollständigen Freigabe gerechnet.
Es geht allerdings auch um wirtschaftliche Interessen. Immer wieder hatte die Zuckerindustrie versucht, eine Zulassung von Stevia zu verhindern. Schließlich vollzog man eine Kehrtwende und versucht nun, die neue Konkurrenz auf anderem Wege zu entlarven. Stevia eigne sich nicht zum Backen und schmecke zusammen mit Früchten wie Lakritz, heißt es aus der Zentrale eines großen österreichischen Zucker-Herstellers. „Wir fürchten den Wettbewerb nicht“, so ein Unternehmenssprecher.
In Brüssel weiß man aber, dass es zu einer harten Konkurrenz um die Verbraucher kommen dürfte. Beobachter gehen davon aus, dass die Kommission nicht zuletzt dem Drängen des US-Lebensmittelgiganten Cargill nachgegeben hat, der in Europa mit risikolosem Naschwerk Fuß fassen will.
Die Stevia-Zulassung für die EU ist Bestandteil einer Reform des gesamten Marktes für Lebensmittelzusatzstoffe, die seit 2008 in Gang ist. Damals wurde beschlossen, alle Additive einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Erste Ergebnisse liegen vor.
Demnach soll es dabei bleiben, dass etwa Joghurt ohne Aromen, Butter, Teigwaren, Honig, Mineralwasser und Fruchtsaft nur weniger oder gar keine Zusatzstoffe enthalten darf. Dagegen muss die Liste der Zusätze für hoch verarbeitete Lebensmittel wie Süßwaren, Snacks und aromatisierte Getränke weiter durchforstet werden. Vor allem bei den Farbstoffen gab es Streichungen. Die Industrie muss künftig auf mindestens drei der gebräuchlichen 17 Farb-Additive verzichten. Sie wurden als gesundheitsschädlich entlarvt. (Von Detlef Drewes)" |