Pharma-Agentur will schneller genehmigen
Das Arzneimittelamt wird umgebaut. Der neue Chef plant Entlastung der Unternehmen
von Sonja Banze
Reinhard Kurth ist jemand, der ebenso schnell handelt, wie er spricht. "Das Problem muss nächstes Jahr vom Tisch", sagt der Chef des Robert-Koch-Instituts, der vergangenen Mittwoch überraschend von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt in Personalunion auch zum kommissarischen Direktor des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn berufen wurde. Im Gespräch mit der "Welt am Sonntag" kündigt er einen radikalen Umbau des Institutes an.
Das Bfarm, wie das Institut im abkürzenden Fachjargon der Branche genannt wird, ist das "Problem". Hinter dem wenig brisant klingenden Namen steht die für die deutschen Pharmakonzerne wichtigste Behörde des Landes: Das Institut ist zuständig für die Zulassung neuer Medikamente, seit das Bundesgesundheitsamt vor zehn Jahren aufgelöst wurde. Bevor ein neues Präparat auf den Markt kommen und vom Arzt verschrieben werden darf, muss es erst das Bfarm passieren.
Den Konzernen gilt das Amt als Bremsklotz und damit als eine teure Einrichtung. Denn während die Engländer in Sachen Medikamentenzulassung den Schnelligkeitsrekord in Europa halten und nur acht Monate für die Prüfung brauchen, dauert es beim Bfarm im Schnitt 15,8 Monate. Das ist nicht nur fast doppelt so lange wie bei den Briten, sondern liegt vor allem weit über der im deutschen Gesetz eigentlich vorgesehenen Prüfungsfrist von sieben Monaten.
Die Pharmaindustrie verliert viel Geld an jedem Tag, den eine Prüfung in Deutschland länger dauert und die das Medikament nicht am Markt verkauft werden kann. Nach Berechnungen des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (VFA) bedeutet die Verzögerung einer Zulassung für den europäischen Markt für ein viel verordnetes Präparat pro Tag einen Umsatzausfall von rund 540 000 Euro; bei einem Nischenpräparat seien es rund 13 500 Euro. Die Verzögerung einer Zulassung nur für den deutschen Markt würde nach diesen Berechnungen Umsätze von 2300 bis 90 300 Euro wegbrechen lassen.
Immer wieder wurde das Bundesinstitut deshalb in der Vergangenheit von der Pharmaindustrie wegen seiner Langsamkeit und Ineffizienz scharf angegriffen. Gut ein Jahr lang, seit August 2003, tagten Kommissionen und Lenkungsgruppen im Auftrag des Gesundheitsministeriums und schrieben Berichte. Seit einigen Wochen prüft nach auch der Bundesrechnungshof die Abläufe in dem Amt. Schließlich wurden die Konzernchefs sogar beim Kanzler vorstellig. Vergangene Woche griff die Regierung endlich durch und setzte Reinhard Kurth an die Stelle des bislang wenig erfolgreichen Harald Schweim.
Kurth will die Behörde nun nach dem Prinzip einer Agentur von Grund auf umbauen. Das soll schon ganz oben, an der Institutsspitze, anfangen. "Es ist vorgesehen, ein Vorstandsmodell einzuführen", sagt Kurth. Ähnlich wie bei der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit soll es demnach künftig auch beim Bfarm einen Vorstandsvorsitzenden geben. Nach dem Willen Kurths soll dies möglichst "jemand Hochrangiges aus der Wissenschaft oder Industrie" sein. Daneben soll ein weiterer Vorstand eingesetzt werden, der für die kaufmännische und organisatorische Seite des Instituts zuständig sein soll.
Notfalls müssten beiden nach den Worten Kurths höhere Gehälter bezahlt werden, als es bisher für die Stelle des Institutsleiters vorgesehen sei. Die entsprechende Gesetzesänderung soll bis zum Jahresende vollzogen sein. Die neben dem Gesundheitsministerium mit betroffenen Ressorts von Bundesfinanzminister und Innenminister sind bereits angeschrieben. Kurth rechnet damit, dass es rund ein Jahr dauern dürfte, bis die Kandidaten gefunden seien sowie zur Verfügung stünden und der Vorstand besetzt werden könne.
Den Apparat der Behörde will Kurth verkleinern. "Der derzeitige Arbeitsprozess hat viele Schleifen", die aufgelöst werden müssten. Es werde zu stark sequenziell und zu wenig parallel gearbeitet, was erheblich Zeit koste.
Hierarchien sollen abgebaut, die derzeit vielen kleinen Abteilungen zu größeren Teams zusammengelegt werden. Kurth: "Angesichts der Sicherheitsanforderungen und der ökonomischen Relevanz brauchen wir klarere Verantwortungsprozesse."
Das Ziel ist klar definiert und ehrgeizig: "Wir müssen innerhalb der gesetzlich geforderten Zulassungsfrist bleiben und schneller werden", so Kurth, vielleicht sogar schneller als die Engländer.
Bis Ende 2004 will er jetzt die Einzelheiten der neuen Struktur für die Organisation der Behörde entwerfen, schon im Laufe des kommenden Jahres soll das Konzept umgesetzt werden. Auch da hat Kurth seinen Ehrgeiz: "Es ist mein Ziel, die notwendigen Veränderungen einzuführen, bis ein Nachfolger ausgesucht ist."
Die Reform könnte auch mit einem Stellenabbau verbunden sein. Derzeit sind rund 1100 Mitarbeiter tätig, darunter Mediziner, Pharmazeuten, Chemiker und Biologen. 150 der Stellen sind nur bis Ende 2005 befristet vergeben worden, eine Verlängerung ist unklar.
Denn im europäischen Vergleich ist das Bonner Institut die größte Behörde ihrer Art. Die um das Doppelte schnelleren Engländer etwa haben mit 500 Mitarbeitern nicht einmal die Hälfte der Bfarm-Besetzung.
Die deutliche Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Behörde sei, so Kurth, auch "eine Prestigefrage", weil eine schwache Zulassungsbehörde nicht der Bedeutung der deutschen Pharmaindustrie entspreche. Nicht zuletzt liege der Umbau im Eigeninteresse des Instituts, angesichts der aktuellen Entwicklung des europäischen Systems der Zulassung von Medikamenten.
Derzeit ist das Zulassungsverfahren in der Europäischen Union wie folgt geregelt: Will ein Pharmakonzern ein neues Medikament nicht nur für den deutschen, sondern für den gesamten europäischen Markt zulassen, kann er seinen Antrag entweder an die europäische Zulassungsbehörde namens EMEA schicken, die diesen dann weiterleitet an ein Landesinstitut, das als so genannter Rapporteur bestellt wird. Der Konzern darf dabei ein Wunschland nennen; Deutschland und sein Bfarm waren in der Vergangenheit selten darunter.
Insgesamt gibt es in der Europäischen Union 42 Zulassungsinstitute, allerdings plant die EMEA bis zum Jahr 2010 ein Netzwerk von maximal vier bis fünf Ämtern zu einer einheitlichen europäischen Institution aufzubauen. Diese soll dann zentral alle Medikamente für den europäischen Markt begutachten. Diesem Netzwerk will Kurth angehören: "Wir müssen uns so aufstellen, dass wir im Wettbewerb bestehen können und in einem zukünftigen europäischen Zulassungsnetzwerk eine tragende Rolle spielen können."
Sorgen um die Medikamentensicherheit in Deutschland machen sich Pharmakologen angesichts der Umbaupläne und der angestrebten zügigeren Verfahren nicht, im Gegenteil: "Es ist ein großer Vorteil, wenn die Menschen schneller in den Genuss neuer Medikamente kommen", urteilt Albrecht Wendel, Pharmakologe an der Universität Konstanz und Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Experimentelle und Klinische Pharmakologie.
Andererseits seien die Folgen von etwaigen Nebenwirkungen ohnehin erst wirklich zu beurteilen, wenn das Medikament in der Praxis eingesetzt werde. Viele unerwünschte Nebenwirkungen träten zudem allein durch falsche Anwendung oder Kombination mit anderen Mitteln auf. Das finde man erst später heraus.
Artikel erschienen am 12. September 2004
dazu:
Entwicklungskosten steigen kräftig an
Pharmabranche klagt über Zulassungshürden
Die Agenda 2010 des Schweizer Pharmakonzerns Novartis heißt Mark Fishman. Der Forscher sucht in einem neuen Forschungszentrum in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts nach besseren Wegen, Krankheiten auf die Schliche zu kommen. "Ehe wir von ihm konkrete Ergebnisse erwarten können, werden noch ein paar Jahre vergehen", sagt Thomas Ebeling, Pharma-Vorstand bei Novartis und zuständig für die Vermarktung der Medikamente.
Die Suche nach neuen Wirkstoffen wird für die Arzneimittelindustrie immer schwerer und vor allem immer teurer. Nach Berechnungen des US-Pharmakonzerns Pfizer kostet heute die Entwicklung eines grundlegend neuen Medikaments über 800 Millionen Dollar. Im Jahr 1975 waren es vergleichsweise bescheidene 140 Millionen Dollar. Außerdem wird es immer schwerer, neue Medikamente über die zahlreichen Zulassungshürden zu bringen. Viele Unternehmen, selbst große Pharmakonzerne suchen deshalb ihr Heil im Kauf von Lizenzen von anderen Unternehmen oder in Unternehmenszusammenschlüssen und Übernahmen.
Zudem sind wirkliche Innovationen schwierig zu erreichen. Die Anforderungen an neue Mittel werden höher, da es für viele Krankheiten schon gute Medikamente gibt. Die Hoffnungen, von der die Branche nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms vor einigen Jahren ergriffen wurde, wurden bislang nicht erfüllt: "Die Interaktion der verschiedenen Gene haben wir noch nicht so genau verstanden. Das ist noch Grundlagenforschung", sagt Ottfried Zierenberg, Medical Director bei der MSD Sharp & Dohme GmbH, Deutschland-Tochter des US-Pharmakonzerns Merck & Co. Gewaltige Datenmengen müssten verarbeitet werden, "um aus Gen-Sequenzen Rezepte für neue Therapieansätze zu entwickeln", heißt es in einem Forschungspapier des Pharma-Konzerns Glaxo-Smith-Kline.
Deshalb wird vorerst mehr oder weniger herkömmlich geforscht, werden tausende von Substanzen entwickelt und in drei Testphasen auf erstens Unschädlichkeit und zweitens Wirksamkeit getestet. Die meisten werden ein Flop.
Dennoch gibt es natürlich zahlreiche neue Medikamente. Die großen Krankheiten wie Bluthochdruck, Krebs und auch Diabetes bieten Absatzchancen genug.
So will US-Hersteller Merck in Kürze einen Impfstoff gegen den durch Viren ausgelösten Gebärmutterhalskrebs auf den Markt bringen. "Das wäre das erste Mal, dass eine Krebserkrankung durch Impfen verhindert werden kann", sagt MSD-Director Zierenberg.
Bei Novartis stehen kurz vor der Markteinführung Medikamente gegen Bluthochdruck, die so genannte Diabetes zwei und Darmkrebs, Auch die Berliner Schering AG hat ein neues Mittel gegen Darmkrebs parat. Außerdem konzentriert sich Schering auf die Diagnose von Gefäßkrankheiten, die gerade in den Industrieländern eine "häufige Ursache für körperliche Behinderungen" seien und "oft zum Tod" führten.
Doch der soll immer später kommen. Die Pharmabranche sieht im Trend zu gesünderem Lebenswandel jedenfalls keinen Grund, schwindende Umsätze für ihre Produkte zu befürchten. Solange die Menschen älter werden, würden sie irgendwann auch unweigerlich krank. mf
Artikel erschienen am 12. September 2004