Umsonst gelebt

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neuester Beitrag: 16.06.03 13:48
eröffnet am: 16.06.03 12:51 von: Trader Anzahl Beiträge: 14
neuester Beitrag: 16.06.03 13:48 von: 54reab Leser gesamt: 1117
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16.06.03 12:51

1943 Postings, 8876 Tage TraderUmsonst gelebt



Selbsterkenntnis ist, so heißt es, der erste Schritt zur Besserung. Ein ebenso kluger wie missachteter Satz. Nicht einfach Erkenntnis führt uns aus der Krise, nein, die Erkenntnis muss sich auf ein bestimmtes Objekt richten: uns selbst. Und: Sie muss allen anderen Erkenntnissen vorausgehen.

Sehen wir uns darauf hin die gegenwärtige Reformdiskussion in Deutschland an, so ist Besserung des Gesundheitszustandes noch in weiter Ferne. Denn da werden alle möglichen Ursachen für die Malaise unserer Wirtschaft und unseres Gemeinwesens gehandelt, nur wir selbst kommen so gut wie nie dabei vor.

Da sind die Politiker und Parteien, die es an Führungskraft missen lassen oder ließen. Oder es sind die Verhältnisse: die Wiedervereinigung, der Euro, der Stabilitätspakt, die Globalisierung, der Föderalismus und so weiter – die Liste der Schuldigen ist lang, nur der Hauptschuldige fehlt: wir.

Haben wir die Politiker, die wir jetzt für alles verantwortlich machen, nicht selbst gewählt und wieder gewählt? Haben wir es nicht dem Kanzler Helmut Kohl in den Neunzigerjahren nur allzu gern durchgehen lassen, wenn er so tat, als ließe sich die Wiedervereinigung aus der Portokasse bezahlen, als könne alles so bleiben wie gehabt? Haben wir es demselben Kanzler nicht auch durchgehen lassen, dass er die Mark kurzerhand in den
Euro ummünzte und so tat, als würde es sich dabei nur um eine Art Export unserer ach so wunderbaren Währung nach Europa handeln und als müsste sich deswegen in Deutschland nichts ändern, sondern nur bei unseren Nachbarn? Und waren wir nicht stolz, als unsere Selbstüberschätzung mit dem Stabilitätspakt noch einmal extra besiegelt wurde?

Waren wir es nicht auch, die Gerhard Schröder zum Kanzler wählten, just als bei Kohl und seinen Mannen spät zwar, aber womöglich doch noch nicht zu spät, die Einsicht in die Notwendigkeit von Reformen dämmerte, sein Herausforderer aber selbst diese zarten Reformansätze ersticken wollte? Und wählten wir Schröder nicht gerade erst wieder, obwohl er noch bei den Wahlen im Herbst so tat, als seien tief greifende Reformen weiterhin nicht vonnöten – trotz immer weiter steigender Arbeitslosigkeit?

Wohlstand verschleudert

Nein, an dem bedauernswürdigen ökonomischen Zustand, in dem sich unser Land befindet, sind wir schuld und sonst niemand. Wir, das heißt vor allem die Generation derer, die nach dem Kriege geboren wurden, 1968 gegen ihre Eltern rebellierten, seitdem in einem langen Marsch durch die Institutionen den früheren Wertekanon dieses Landes auf den Kopf stellten, eine tonangebende Mehrheit im Volke (und damit sind keineswegs nur Anhänger von Rot-Grün gemeint) für sich gewannen und in den vergangenen Jahrzehnten progressiv den Wohlstand verschleuderten, der von ihren Eltern in den Jahrzehnten zuvor erarbeitet worden war.

Was daher jetzt auf der Tagesordnung steht, ist nichts weniger, als dass diese tonangebende Generation sich selbst ihren geschichtlichen Irrtum eingesteht, nahezu allem abschwört, woran sie ein (halbes) Leben lang geglaubt hat und radikale Reformen in Gang bringt, die das meiste von dem, was sie in den zurückliegenden 30 Jahren durchgesetzt haben, wieder rückgängig macht.

Die Frage ist: Geht das überhaupt? Wohl kaum! Wer will schon umsonst gelebt haben? Wer hat schon die Kraft, sein Lebenswerk selbst wieder zu zertrümmern, weil er erkennen musste, dass es schlecht geraten ist?

Deswegen ist es ja so mühsam in Deutschland mit den Reformen. Deswegen kommen sie ja – wenn überhaupt – nur in homöopathischen Dosen voran. Deswegen gibt es ja diese ständigen Rückschläge.

Keine Erkenntnis fällt so schwer wie Selbsterkenntnis. Sie kommt denn auch selten zuerst, sondern meist zuletzt – wenn gar keine andere Wahl mehr bleibt, die Schmerzen unerträglich werden und die schiere Existenz auf dem Spiel steht. Oder eine andere Generation übernimmt.

Oft ist es dann jedoch zu spät.  

STEFAN BARON, Wirtschaftswoche

10.6.2003


Gruß
Trader
 

16.06.03 12:55

4971 Postings, 8680 Tage ApfelbaumpflanzerExtrem gut analysiert o. T.

16.06.03 13:17

9123 Postings, 8620 Tage ReilaTolle Logik.

Alle sind schuld, keiner ist verantwortlich. Es muß und soll alles geändert werden, aber das geht nicht.

Danke Wirtschaftswoche für diese geldwerte Information.  

16.06.03 13:23

4971 Postings, 8680 Tage ApfelbaumpflanzerReila, ich glaube du

hast den Artikel falsch verstanden...

"Was daher jetzt auf der Tagesordnung steht, ist nichts weniger, als dass diese tonangebende Generation sich selbst ihren geschichtlichen Irrtum eingesteht, nahezu allem abschwört, woran sie ein (halbes) Leben lang geglaubt hat und radikale Reformen in Gang bringt, die das meiste von dem, was sie in den zurückliegenden 30 Jahren durchgesetzt haben, wieder rückgängig macht. "

Grüße

Apfelbaumpflanzer

"Kein Verständiger wird es wagen, seine Gedanken in Sprache niederzulegen, und noch dazu in unwandelbarer Weise, was bei dem schriftlich Abgefaßten der Fall ist" - Platon im Siebenten Brief  

16.06.03 13:29

9123 Postings, 8620 Tage ReilaApfelbaumpflanzer, naja.

Da bin ich mir nicht so sicher, ob ich da etwas mißverstanden habe. Es heißt doch im Artikel über die anstehenden "radikalen" Reformen: "Die Frage ist: Geht das überhaupt? Wohl kaum!"

Wobei ich wirklich radikale Reformansätze gar nicht sehen kann. Man könnte die Situation in Deutschland auch einfach als "verfahrene Kiste" bezeichnen. Erinnert irgendwie an die Endzeit im Römischen Reich. Es wird gelebt und gefeiert(in Rom). Die Kosten explodieren und die Steuern auch. Die meisten Kaiser waren zu schwach oder zu dumm, etwas zu ändern.  

16.06.03 13:33

4971 Postings, 8680 Tage Apfelbaumpflanzerdas "wohl kaum"

bezieht sich ja glaube ich auf die Unfähigkeit der angesprochenen Generation, ihre Irrtümer einzuehen. Das hat ja nichts mit einem Freispruch von Schuld zu tun.

Du hast aber absolut recht. Es sind keine Reformansätze da, die es weiter als bis zur Friedrich-Naumann-Stiftung brachten.


Grüße

Apfelbaumpflanzer

"Kein Verständiger wird es wagen, seine Gedanken in Sprache niederzulegen, und noch dazu in unwandelbarer Weise, was bei dem schriftlich Abgefaßten der Fall ist" - Platon im Siebenten Brief  

16.06.03 13:33

34698 Postings, 8651 Tage DarkKnightWenn die sozialen Sicherungssysteme in Dtld,

die ja die einfachste Formel der Welt beinhaltet, nämlich Einnahmen gleich Ausgaben, bereits in den 50er Jahren geschaffen wurden und spätestens ab 72 zu erkennen war, daß die Voraussetzungen für diese Formel auf Dauer nicht halten sind, warum ist dann die 68er Generation schuld? (sinngemäß zitiert von Lothar Späth).

So einen Mist wie in Posting Nr. 1 habe ich selten gelesen.  

16.06.03 13:34

9123 Postings, 8620 Tage ReilaUnd eine besonders schöne Analogie zu Rom:

Die Zahl der Beamten wuchs ständig. Jeder versuchte in den Staatsdienst zu kommen, weil er dort abgesichert war und Steuerprivilegien genoß, was die Krise des Reiches letztlich noch verschlimmerte.  

16.06.03 13:34

1943 Postings, 8814 Tage dutchyReila hat ein Problem mit folgende Satz:

"Haben wir es nicht dem Kanzler Helmut Kohl in den Neunzigerjahren nur allzu gern durchgehen lassen, wenn er so tat, als ließe sich die Wiedervereinigung aus der Portokasse bezahlen, als könne alles so bleiben wie gehabt?"

Deutschland zahlt immer noch und wahrscheinlig die nächste 20 Jahre !!!!


Gruß
Dutchy  

16.06.03 13:36

9123 Postings, 8620 Tage ReilaDK, weil Du nicht zugeben willst,

daß DU Schuld hast an der Misere.

dutchy????  

16.06.03 13:38

4971 Postings, 8680 Tage ApfelbaumpflanzerDarki,

na dann eben mindestens die Schuld des Unterlassens, als es noch klarer wurde.

Aber "Generationen" sind sowieso ein schwammiger Begriff.

Grüße

Apfelbaumpflanzer

"Kein Verständiger wird es wagen, seine Gedanken in Sprache niederzulegen, und noch dazu in unwandelbarer Weise, was bei dem schriftlich Abgefaßten der Fall ist" - Platon im Siebenten Brief  

16.06.03 13:40

34698 Postings, 8651 Tage DarkKnight@Apfel: dem kann ich nur zustimmen, @Reila:

Du argumentierst schon wie meine Frau.

*ggg*  

16.06.03 13:46

9123 Postings, 8620 Tage ReilaDK, ich stehe wenigstens zu meiner Schuld:

Ich habe bis 1989 in der DDR gearbeitet (als einer von knapp 17 Mio verdeckter Arbeitsloser und -scheuer). Das zu deren Ruin trotz größten Engagements der führenden Genossen aus Politik und Staat. Und jetzt ruinieren wir die Bundesrepublik.  

16.06.03 13:48

7336 Postings, 7792 Tage 54reabes ist absolut gewiss, dass an allen heutigen

problemen die 68er schuld sind. sie sind zwar erst seit kurzem an der macht ... was solls ...

sie hätten sich ein vorbild an ihren eltern und großeltern nehmen sollen ... die haben wenigstens europa in schutt und asche gelegt und waren anschließend sooooooo fleißig beim wiederaufbau .... und die waren sooo intelligent .... 6 jahre hatten sie die bevölkerungsreiche jahrgänge übersehen und vergessen schulen zu bauen ...

baron und wiwo hatten immer schon das niveau von bild .... der mist ist nur geistreicher formuliert!


 Salute 54reab - baer45: <a href=">www.baer45.de.vu">

 

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