29. April 2010, 08:30 Uhr
Vom Übernahmeplan zum Rohrkrepierer Vor einigen Jahren schmiedeten zwei westdeutsche Energiekonzerne eine Allianz. Ihr Ziel: Die Übernahme eines ostdeutschen Gasversorgers. Der wehrte sich heftig, und der Plan scheiterte. Einer der beiden Wessis war EnBW. Und deren Chef Hans-Peter Villis hat nun ein Problem.
Vor einem Jahr war Hans-Peter Villis ein Mann voll hochtrabender Pläne. Die Bühne im Karlsruher Kongresszentrum war in tiefblaues Licht getaucht, der EnBW-Chef stand vor seinen Aktionären und marschierte mit einem Partizip in die Zukunft. "Aufbauend auf unserer Ertragsstärke, verfolgt die EnBW eine klare Strategie", rief er. Der Konzern werde im Gasgeschäft einer der Großen werden: "Wir schaffen die Voraussetzungen dafür, dass wir die Wertschöpfungskette im Gas selbst managen können."
Am Donnerstag tritt Villis wieder vor seine Aktionäre. Es wird ein schwerer Gang, denn statt Euphorie herrscht tiefe Ernüchterung. Villis' wichtigstes Projekt ist gescheitert - die mehrheitliche Übernahme des ostdeutschen Gasversorgers VNG, der Nummer drei der Erdgasimporteure in Deutschland.
Übrig geblieben ist eine Kaufoption für eine Minderheit - also ohne Gestaltungsmöglichkeit. EnBW hat die Schwachstelle bei Gas nicht beseitigt, der Aufstieg zum integrierten Erdgasunternehmen mit eigenen Quellen ist vorerst misslungen.
Villis hatte wohl nicht geahnt, mit wem er es da im Osten zu tun bekommt. Den Leipziger Versorger VNG, hinter dem als Aktionäre mehrere ostdeutsche Kommunen stehen, interessierte weniger die Neuordnung des deutschen Ernergiemarkts. Er stilisierte die Übernahme zu einem kleinen Ost-West-Konflikt hoch - zu einem Kampf der Ostdeutschen, einmal nicht von bösen Wessis überrannt zu werden.
Villis aber hat nicht nur die Gegner falsch eingeschätzt. Er hat auch auf den falschen Partner gesetzt: Werner Brinker, Chef des Oldenburger Versorgungskonzerns EWE, an dem EnBW mit 26 Prozent beteiligt ist.
Brinker wollte selbst einer der Großen werden im Energiegeschäft, wollte endlich aufschließen zu den Fab Four der Branche: Eon, RWE, Vattenfall und EnBW. Mit gut 5 Mrd. Euro Umsatz und 5000 Mitarbeitern ist EWE zwar die Nummer fünf - allerdings mit großem Abstand.
Teil 2: Gerne vor großer Kulisse
Erst vor einigen Tagen hat Werner Brinker mit Bundesumweltminister Norbert Röttgen, Eon-Chef Wulf Bernotat und Vattenfall-Boss Tuomo Hatakka den Offshore-Windpark Alpha Ventus in der Nordsee eingeweiht. Es gab ein Foto auf hoher See, alle in gelben Schutzanzügen, mit weißen Helmen und roten Schwimmwesten, die Hand auf einem Startknopf. Das ist die Kulisse, wo Brinker hinwill. In den Kreis der Großen.
Deshalb wollte er VNG übernehmen. Deshalb holte er sich EnBW als Verbündeten. Ein Plan, der an der heftigen Gegenwehr der Ostdeutschen scheiterte.
Brinkers große Chance kommt 2002. In dem Jahr genehmigt das Bundeswirtschaftsministerium die Fusion zwischen Eon und Ruhrgas. Die Entscheidung ist umstritten - und es gibt eine Auflage: Neben dem etablierten Energiequartett soll ein fünfter, ebenbürtiger Player auf dem Markt entstehen. Die sogenannte fünfte Kraft soll aus einem Bündnis zwischen VNG und dem mittelgroßen, aber finanzstarken Versorger EWE entstehen. An beiden hält Ruhrgas Anteile, und beide, so die Bedingung, sollen verkauft werden.
Für Brinker, der seit 1998 von Oldenburg eifrig zukauft und expandiert, ist das die Chance. Bei VNG dagegen gibt es erst mal Vorbehalte. An der Spitze steht Klaus-Ewald Holst, einer der wenigen Ostdeutschen, die es bis an die Spitze eines großen Konzerns gebracht haben.
Er hat VNG, wo er sein ganzes Leben arbeitet, schon nach der Wende vor den Glücksrittern aus dem Westen verteidigt, er hat den Versorger in die schwarzen Zahlen geführt - nun stilisiert er die Unabhängigkeit zum zweiten Kampf um die Freiheit: "Schon einmal haben wir Ostdeutschen um die Freiheit gekämpft", sagt er, während in Berlin über der Causa Eon-Ruhrgas gebrütet wird. Holst hat Angst, "einfach vom Markt gefegt zu werden".
Er kann es nicht verhindern: Der Ruhrgas-Anteil geht an EWE, und VNG hat mit den Oldenburgern einen neuen Großaktionär - mit Appetit auf mehr. Zunächst scheinen die Ängste verflogen. Schon im November 2003 legen Ost und West ein Strategiepapier vor: "EWE und VNG - eine ideale Partnerschaft".
Energiebündel
EnBW Der Karlsruher Konzern ist mit 15,5 Mrd. Euro Umsatz nach Eon, RWE und Vattenfall der viertgrößte Energieversorger Deutschlands. Seit 2008 ist EnBW mit 26 Prozent an EWE beteiligt. Seit 2007 steht Hans-Peter Villis an der Spitze, er wurde Nachfolger von Utz Claassen.
EWE Mit 5 Mrd. Euro Umsatz, einer Million Stromkunden und 1,2 Millionen Erdgaskunden sind die Oldenburger - mit großem Abstand - die Nummer fünf auf dem Energiemarkt. Vorstandschef ist seit 1998 Werner Brinker. 2003 erwarb EWE 47,9 Prozent am Gasimporteur VNG, der zuvor Ruhrgas hielt.
VNG An der Spitze des ostdeutschen Gasversorgers steht seit 1990 Klaus-Ewald Holst. Er hat aus dem ehemaligen DDR-Betrieb den drittgrößten Erdgasimporteur Deutschlands geschmiedet. Holst wurde in Neustrelitz geboren und ist seit 1968 bei dem Leipziger Unternehmen, das enge Verbindungen nach Russland unterhält.
In der Tat scheint sich das Firmenpaar blendend zu ergänzen. EWE tummelt sich im Nordwesten der Republik, VNG ist stark im Osten. Die Oldenburger haben einen großen Kundenstamm und umfangreiche Gasspeicher. Die Leipziger verfügen über den Rohstoffzugang, denn die "Ost-Ruhrgas" hat langfristige Lieferverträge mit Russland teils noch aus DDR-Zeiten geerbt. In beiden Unternehmen spielen zudem kommunale Eigner die Schlüsselrolle - da wird man sich gut verstehen.
Doch es kommt anders. Brinker will die Mehrheit. Als er bei dem kommunalen Teilhaber von VNG, der ostdeutschen Stadtwerkeallianz VuB, auf Widerstand stößt, holt er sich - heimlich, wie man ihm im Osten vorhält - EnBW als Verbündeten. Ein Ost-Stadtrat spricht von einem "kalten Krieg zwischen den Kommunen und EWE".
Teil 3: Schritt für Schritt zum scharfen Streit
Ein Berliner Schiedsgericht, das sich mit dem Streit befasst hat, zeichnet auf 57 Seiten akribisch nach, wie sich der Streit entfaltete und zunehmend an Schärfe gewann. Das Papier liegt der FTD vor - ausgetragen wurde der Streit mit Tricks und Heimlichkeiten, Intrigen und Racheakten.
Erste Spannungen treten bereits 2006 auf. Gemeinsam geplante Projekte stocken oder werden gar nicht realisiert wie ein Erdgasspeicher in Möckow. Die beiden Partner behindern sich gegenseitig. Dann wird ein Versuch von VNG, in Norwegen Gas zu fördern, auf die lange Bank geschoben.
Brinker, damals auch Aufsichtsratschef von VNG, habe den Punkt aus der Tagesordnung des Kontrollrats einfach gestrichen, notiert das Urteil. Eine weitere Eskalationsstufe erreicht der Zwist, als EWE plötzlich als Konkurrent zu seinem Partner auftritt und Anteile an den Stadtwerken Leipzig ergattern will. "Die Parteien hatten hierzu abgesprochen, dass VNG sich allein am Bieterverfahren beteiligen sollte", statuieren die Richter den Vertrauensbruch.
Die ostdeutschen Kommunen ärgern sich über das Gebaren der Wessis. Bei der nächsten Aufsichtsratssitzung Mitte Mai 2007 rächen sie sich: Sie wählen Brinker als Aufsichtsratschef ab und verstoßen damit ihrerseits gegen Vereinbarungen.
Doch Brinker gibt nicht auf, er geht in die Offensive. Sein Plan: die Macht der Ostkommunen brechen. Diese halten 25,8 Prozent der Anteile an VNG und haben damit eine Sperrminorität, mit der sie den Hauptaktionär EWE in all seinen Entscheidungen ausbremsen können.
Brinker wählt eine Salamitaktik: Er versucht zunächst, die Stadtwerke Jena-Pößneck aus der Kommunalphalanx herauszulösen. Die besitzen zwar nur 1,06 Prozent der VNG-Aktien, genug aber, um die Sperrminorität zu knacken. Sein Köder: Er will 16 Euro je VNG-Aktie zahlen, satte 119 Prozent mehr, als die sonst vereinbarten Vorkaufsrechte vorsehen. Schlimmer noch für die Ostkommunen: Auch Miteigner Halle wackelt. Mit seinen 3,7 Prozent hätte EWE die Zielmarke von 50 Prozent überschritten.
Teil 4: Der Plan wird zum Ost-West-Thema
Die Emotionen kochen hoch. Der Angriff wird immer mehr zu einem Ost-West-Thema. "Ich frage mich, wieso Jena aktiv daran mitwirkt, dass künftig niedersächsische Städte und Gemeinden statt thüringische Kommunen über den wichtigsten ostdeutschen Gasversorger mitbestimmen sollen", ereifert sich Andreas Reinhardt, Chef des Verbunds VuB. Alle ostdeutschen Länder müssten ein Interesse haben, dass der Standort Leipzig erhalten bleibe.
Er findet Mitstreiter. Mit massivem Druck erzwingen die Ost-Stadtwerke, darunter Chemnitz, Dresden, Erfurt und Leipzig, dass die Abweichler ein Vorkaufsrecht der VuB außergerichtlich akzeptieren - die Sperrminorität ist somit gesichert. Nun steckt Brinker in der Klemme. Mit 47,9 Prozent hat er viel Kapital gebunden, doch keine Chance auf die Mehrheit. Die Aussicht auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit "unter gleichgestellten Partnern", wie es im Vertrag heißt, ist längst dahin.
In dieser Lage wendet Brinker sich an EnBW. Man vereinbart, das Gasgeschäft einschließlich des VNG-Pakets von EWE in einer Holding zusammenzulegen. EnBW-Chef Villis macht bloß einen Fehler: Er plaudert über das Bündnis. Im Juli 2008 sagt er: "Es würde mich natürlich unheimlich freuen, wenn es dem Management gelingt, die VNG mehrheitlich zu übernehmen."
Wenig später spricht auch Ewald Holst offen über den Kampf: "Die EWE will den Zusammenhalt des ostdeutschen Kommunalverbunds VUB aufbrechen", klagt er. Und schiebt gleich die Fallhöhe des Abwehrkampfs hinterher: "Seit der Einheit besteht Einigkeit, dass auch Ostdeutschland mehr eigenständige Unternehmen haben muss, wenn der Aufschwung selbsttragend sein soll." Den beiden westdeutschen Versorgern vertraut er nicht: "Wer Zusagen nicht eingehalten hat, wird das auch in Zukunft nicht tun."
Das Schiedsgericht wertet den Versuch Brinkers, die Sachsen gegen einen neuen Partner auszutauschen, als schweren Verstoß gegen den Konsortialvertrag.
Villis steckt nun in einer ähnlichen Klemme wie zuvor Brinker. Die gemeinsame Gas-Holding mit EWE kam nicht zustande. Stattdessen beteiligte sich Villis 2009 für rund 2 Mrd. Euro mit 26 Prozent an EWE. Er hat zudem eine Option, für weitere 1,2 Mrd. Euro die 47,9 Prozent von EWE an VNG zu erwerben - und damit noch mehr Geld, ohne strategische Einflussmöglichkeiten festzulegen. Wenig verlockend bei einem Schuldenstand von 9,2 Mrd. Euro.
Villis wird deshalb nicht müde zu betonen, neue Gasbeteiligungen müssten unmittelbar zum Geschäft beitragen - wohl auch heute auf der Hauptversammlung. Diese hat bei einem Streubesitz von nur 1,8 Prozent zwar symbolischen Charakter - je 45 Prozent der Anteile halten der französische Staatskonzern EDF und der Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW), den Rest andere öffentliche Eigner. Doch nutzt der Konzern die Veranstaltung intensiv zur Selbstdarstellung.
Teil 5: Freude nur in Leipzig
Viel Vorzeigbares hat Villis in diesem Jahr aber nicht zu bieten. Verhandlungen über den Kauf des Prager Versorgers PRE ziehen sich, weil ein Kommunalwahlkampf in Tschechien dazwischenkam. Von Gedankenspielen über eine Übernahme der Evonik-Tochter Steag rückt Villis wieder ab: Allenfalls einige Teile der Evonik-Tochter seien interessant, heißt es jetzt im Konzern.
Über allem schwebt die Ungewissheit, wie stabil die Eigentümerstruktur von EnBW bleibt. Ein Konsortialvertrag zwischen den Großaktionären EDF und dem Kommunalbündnis OEW läuft 2011 aus. Die Interessen der Großaktionäre laufen auseinander. Die schwäbischen Stadtväter sind in erster Linie an Gewinnausschüttungen und an Standorten in ihrer Region interessiert. Die Franzosen hatten sich erhofft, einen strategischen Brückenkopf und einen lukrativen Absatzkanal für ihren im Überfluss vorhandenen Atomstrom "Made in France" zu finden. Paris, munkeln Konzernkenner, sei enttäuscht.
Ein klarer Schnitt wird jedoch schwierig. Weder die deutschen Kommunen noch der französische Konzern EDF hätten die Mittel, die Zwangsehe durch Herauskaufen des jeweils anderen zu lösen. Für einen außenstehenden Investor wiederum wäre ein Anteil knapp unterhalb der Mehrheit mangels Möglichkeit zur Einflussnahme wohl uninteressant - es ist also das gleiche Drama und Dilemma wie bei VNG in Groß.
Und so herrscht derzeit nur in Leipzig Freude. Dort haben alle nach dem Schiedsspruch gegen EWE und EnBW aufgeatmet. "Dieses Urteil ist ausdrücklich zu begrüßen", sagt Holst, für den es die letzte Schlacht war - im September tritt er ab. Mit viel Engagement hätten die Kommunen die feindliche Übernahme verhindert. Deren Anführer Andreas Reinhardt jubelt: "Wir sind wieder völlig frei!"
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