Gregor Gysi, war zu lesen, wolle keine neue Linkspartei gründen. Braucht er auch nicht. Und dass die PDS nunmehr mit zwei Angeordneten im Bundestag sitzt, tut der sozialistischen Sache ebenfalls keinen Abbruch. Denn für Enteignung, Gleichmacherei und noch mehr Staat sorgt die rot-grüne Koalition, die am heutigen Dienstag ihren Kanzler wiederwählen will, selbst. Auf nichts anderes als Enteignung läuft es hinaus, wenn Sparer, die seit Jahrzehnten im guten Glauben an die Verlässlichkeit des Steuerrechts mit Wertpapieren oder Immobilien fürs Alter vorsorgen, Wertzuwächse künftig unabhängig von Spekulationsfristen mit dem Fiskus teilen sollen. Nichts anderes als leistungsfeindliche Gleichmacherei ist es, wenn „Besserverdienende“, die Roten und Grünen seit jeher verdächtig sind, über höhere Beitragsbemessungsgrenzen besonders nachhaltig gemolken werden. Mehr Staat schließlich ist ablesbar an der Staatsquote, die durch die Maßnahmen des Koalitionsvertrages weiter emporschnellen wird.
Hätte vor einigen Wochen ein Kabarettist ein solches Regierungsprogramm dieser dank Lug und Trug wiedergewählten Koalition persifliert, wäre ihm ein grandioser Publikumserfolg sicher gewesen: toller Gag. Doch die Fantasie von Spöttern kann diesmal mit der politischen Realsatire nicht mithalten. Da bleibt selbst Leuten aus der Währungs- und (öffentlich-rechtlichen) Wirtschaftswelt das Lachen im Halse stecken, die aus ihrer Nähe zu den Genossen gewöhnlich keinen Hehl machen. Diese Kumulation und Eskalation fataler Fehlentscheidungen überfordert fürwahr das Vorstellungsvermögen.
Das ist die Ausgangsbasis, die Rot-Grün zu Beginn der neuen Amtszeit vorfindet und in den letzten vier Jahren teilweise selbst herbeigeführt hat: Die Wirtschaft steckt in Deutschland, dem Absteiger der EU-Wachstumsliga, in einer tiefen Krise, eine beispiellose Pleitenflut überrollt das Land, die Arbeitslosigkeit ist unerträglich hoch. Die ausufernde öffentliche Verschuldung gefährdet die Zins- und Währungsstabilität, die Staatshaushalte stehen am Rande der Verfassungswidrigkeit, den Sozialversicherungssystemen droht etlichen Reformversuchen zum Trotz der Kollaps. Das Vertrauen in die Aktie als Anlageinstrument ist ramponiert, damit fällt sie zurzeit auch als Finanzierungsvehikel aus.
Was das Land in dieser Situation dringend bräuchte, wäre ein Ruck, der privater Initiative und Verantwortung Raum gibt und Wachstumskräfte freisetzt. Dazu bedürfte es spürbarer Steuer- und Abgabensenkungen, einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, eines Rückzugs des Staates und einer Stärkung der Kapitalmärkte. Subventionen müssten in der Tat radikal abgebaut werden, zuerst da, wo sie Industrien fördern, die nicht konkurrenzfähig sind – aber nicht um Unternehmen und Bürger an anderer Stelle zu schröpfen, sondern um sie nachhaltig zu entlasten.
Doch statt das unabweisbar Notwendige zu tun, betätigt sich Rot-Grün als Konjunkturkiller. Das Programm der Koalition wird Deutschland endgültig in die Rezession und Hunderttausende zusätzlich in die Erwerbslosigkeit treiben. Allen Wahlversprechen zum Trotz werden willkürlich und konzeptionslos – eben waren Ehegattensplitting oder Erbschaft- und Vermögenssteuer die Themen, plötzlich wird an anderen Quellen abgeschöpft – die Steuern massiv erhöht. Nebenbei gibt man per beschränkter Eigenheimzulage der siechen Bauwirtschaft den Rest und verpasst über die drastisch angehobene Dienstwagenbesteuerung der bisher robusten Autokonjunktur einen brutalen Dämpfer. Glaubt irgendwer noch allen Ernstes an das Inkrafttreten der nächsten Steuerreformstufen, von denen eine schon mit dem Hochwasser weggespült wurde?
Der Wettbewerbsfähigkeit der hierzulande produzierenden Unternehmen und der Beschäftigung fügt Rot-Grün auch durch die nochmalige Verteuerung des Faktors Arbeit schweren Schaden zu. Die Arbeitgeber werden auf der Beitragsseite stärker be- statt im Ausgleich für die weiter steigende Ökosteuer entlastet. Die private Vorsorge macht die Regierung, die eben mit ihrer Riester-Rente das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer kapitalgedeckten Ergänzung der gesetzlichen Rente geweckt hat, durch den fiskalischen Zugriff auf Wertpapiergewinne uninteressant und sabotiert damit zugleich ihre gesamte bisherige Finanzmarktförderung.
Doch Rot-Grün erhöht nicht nur Steuern und Beiträge, sondern zu allem Überfluss auch die Neuverschuldung und stellt en passant gleich noch die Maastrichter Defizitgrenze und damit wie auch durch unerbetene Ratschläge an die Europäische Zentralbank die Stabilität des Euro zur Disposition. Und der Finanzminister, der – einst in der Wirtschaft hoch angesehen – heute allenfalls als schlechte Karikatur des „Sparkommissars“ taugt, hat nicht einmal mehr das Rückgrat, ob dieser Demontage zurückzutreten.
Niemand weiß, ob eine andere Regierung es viel besser gemacht hätte. Schlechter als diese Regierung aber hätte man es nicht machen können. Das Konzept von Rot-Grün für die neue Legislaturperiode ist wirtschafts-, kapitalmarkt- und leistungsfeindlich. So vertreibt man Unternehmen vom Standort Deutschland und Investoren und Emittenten vom hiesigen Finanzplatz. So demotiviert man Leistungswillige und treibt sie in die Resignation. Und so treibt man den Staat selbst durch das nunmehr programmierte Konjunkturdesaster und dessen negative Steuereffekte in die Finanzkatastrophe. Das alles trifft nicht nur Unternehmen und „Reiche“, sondern vor allem auch die Klientel von Rot-Grün.
Möge die Wahl Gerhard Schröders zum Bundeskanzler misslingen. Sonst Gute Nacht, Deutschland!
(Börsen-Zeitung vom 22.10.2002)
... diesen Artikel hat heute wohl leider nur ein Mitglied der rot-grünen Fraktion gelesen ... |