SPIEGEL ONLINE 01. Juni 2009, 08:16 UhrGLÜCKSFAKTOR GELD Kapitales Rauschmittel Von Mathias Schreiber
Geld allein macht nicht glücklich, es sollten zusätzlich auch Aktien, Gold und Grundstücke sein - sagte schon der legendäre US-Komiker Danny Kaye. Eine neue Studie gibt ihm recht: Finanzieller Zugewinn lässt keinen kalt, egal wie viel er schon hat.
Die Frage zu beantworten, was das Glück eigentlich sei, ist nicht zuletzt darum so schwierig, weil dabei nach etwas halbwegs Objektivem in einem extrem subjektiven Gefühlsbiotop gesucht wird; weil zumal das Urteil über ein geglücktes Leben erst von dessen Ende her, und definitiv auch nur von einem Standpunkt außerhalb dieses Lebens, gefällt werden kann; andererseits komplett in die Zuständigkeit der Innerlichkeit jenes Einzelnen gehört, um den es geht. Eine eigentlich unmögliche Urteilssituation.
Schon die alten Griechen, so zum Beispiel Aristoteles, wussten: Das einzelne Leben kann im Rückblick nicht als gelungen erscheinen, wenn sein Ende die Angehörigen und Freunde ins Unglück gestoßen hat. Etwa durch hinterlassene Schulden oder schmutzige Geheimnisse, die erst durch den Tod offenbar geworden sind. So gilt auch eine Königsherrschaft als nicht geglückt, wenn die Politik, die der Monarch bis dahin verfolgt hat, das Land nach seinem Tod in die Katastrophe führte.
Die Antwort auf die Frage nach dem wahren Glück fällt vor allem deshalb schwer, weil es so einfach zu sein scheint, sie zu geben. Die meisten glauben an den sprichwörtlichen Satz: Geld macht nicht glücklich. Der Physiker Albert Einstein sagt: "Die besten Dinge im Leben sind nicht die, die man für Geld bekommt." Das stimmt. So mancher Geldsack ist innerlich hohl und unerfüllt, Geld sichert zwar die materielle Existenz und macht unter Umständen zufrieden, kann aber zu der Frage nach dem Sinn dieser zufriedenen Existenz wenig beitragen. Andererseits kann Geld durchaus glücklich machen, auch wenn man nicht so weit gehen muss wie der US-Komiker Danny Kaye, der meinte: "Geld allein macht nicht glücklich. Es gehören auch noch Aktien, Gold und Grundstücke dazu."
Erst kürzlich haben zwei angesehene Wirtschaftswissenschaftler von der US-Universität in Pennsylvania, Betsey Stevenson und Justin Wolfers, eine Studie abgeschlossen, in der sie über einen längeren Zeitraum hinweg die Aussagen armer und reicher Menschen verschiedener Länder gesammelt und ausgewertet haben. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass trotz kulturbedingt unterschiedlicher Einschätzungen des Glücks die Leute fast überall auf der Welt glauben, sie würden glücklicher, wenn das durchschnittliche Einkommen um drei Prozent steige, egal wie arm oder reich das jeweilige Land absolut gesehen sei; und sie behaupten, mehr Geld mache selbst den zufriedener, der schon genug davon habe.
Lange Zeit galt das Gegenteil: US-Forscher hielten über Jahre hinweg an der Meinung fest, Glück hänge zwar vor allem vom wirtschaftlichen Erfolg des Einzelnen ab, die Untergrenze liege bei einem Jahreseinkommen von ungefähr 80.000 Dollar - wer weniger verdiene, sei eher unzufrieden, wer hingegen mehr verdiene, nicht deutlich glücklicher. Sei jedoch erst einmal eine gewisse Schwelle des Wohlstands überschritten, so glaubte man nicht zuletzt infolge einer Analyse des japanischen Wirtschaftswunders, verfliege jene Glück bringende Wirkung des Geldes, die in ärmeren Nationen eindeutig zu beobachten ist.
Die neue, 2008 bekanntgewordene Studie aus Pennsylvania besagt nun: Geld ist zwar nicht alles, aber genauso wenig gibt es einen Sättigungspunkt, von dem an finanzieller Zugewinn den Profiteur kalt lässt.
Die grenzenlose Gier mancher Top-Manager, die im Winter 2008 /2009 als eine der Ursachen für eine der größten Finanzkrisen der Geldgeschichte - ein weltweites Massenunglück benannt und beklagt wurde: Hier wird sie als zweckfreier Lustgewinn wissenschaftlich aktenkundig. Gerade dieser Lustgewinn kann auch den einzelnen Menschen ins Unglück stürzen.
Im Januar 2009 warf sich einer der Großindustriellen Deutschlands vor einen Zug: Adolf Merckle, der 74 Jahre alte schwäbische Chef von Firmen wie Ratiopharm, Kässbohrer und HeidelbergCement. Der Herr von rund 120 Unternehmen, der mit einem Vermögen von zehn Milliarden Dollar im Jahr 2008 Platz 94 der reichsten Menschen der Welt einnahm (laut US-Magazin "Forbes"), hatte sich katastrophal an der Börse verspekuliert: Um die hohen Schulden, die er zu und nach der Übernahme von HeidelbergCement angehäuft hatte, ohne zusätzliche Kredite bedienen zu können, hatte er zu viel Geld auf fallende VW-Aktienkurse gesetzt, die dann aber permanent stiegen. Merckle hätte auch ohne den Zukauf jener Baustofffirma ausgesorgt gehabt: Waldbesitz, das Schloss Hohen Luckow, ein eigener Skilift im Kleinwalsertal und vieles andere bezeugen satten Wohlstand, den ein wenig zu reduzieren gewiss möglich gewesen wäre, ohne den Status des erfolgreichen Unternehmers einzubüßen. Aber das Glück, um das es in diesem Fall geht, spielt in einer anderen Liga.
Der Journalist Rainer Hank schrieb - im Wirtschaftsteil der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" vom 11. Januar 2009 - zur spektakulären Selbsttötung des Blaubeurer Milliardärs: Merckle sei "ein Abenteurer" gewesen, vergleichbar den "großen amerikanischen Unternehmern der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts". Zudem "ein Spieler, einer, der als Unternehmer, Spekulant und Schuldner immer voll auf das Risiko setzte … 'Thrill' nennt der Soziologe Urs Stäheli das den Spekulanten begleitende Glücksgefühl, ein schwer übersetzbares Wort, welches eine Art Nervenkitzel, einen Kick meint, der die Emotionen hochfährt und das Gemüt in Spannung und Wallung versetzt. Es geht nicht nur um die Vorwegnahme des großen finanziellen Glücks, das man zu erlangen hofft: Es geht viel mehr um den Genuss jenes magischen Moments, in dem man nicht weiß, was die Zukunft bringen wird. Der Reiz des Risikos treibt uns in eine ambivalente Situation, einen außergewöhnlichen Zustand der Angstlust. Der Thrill des Spekulanten kommt einer Art Rauschzustand gleich; kein Wunder, dass Glücksspiele süchtig machen können."
Ein Spiel - die Bankwette auf fallende VW-Aktienkurse - war es schließlich, das den Zocker Merckle erst faszinierte, dann aber zu Fall brachte. Der Glücksfaktor Geld ist also keine nüchterne Summe aus Aufwand und Rendite, sondern letztlich so irrational wie die Sentimentalität eines Liebespaars bei Vollmond.
Im angelsächsischen Raum gehört das Nachdenken über den Zusammenhang von Geld, Wohlstand und Glück zum Alltagsgeschäft, hängt doch nicht zuletzt davon die Akzeptanz der Marktwirtschaft ab. Der englische Philosoph John Locke konstatierte schon 1689, also 87 Jahre vor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung - die das "Streben nach Glück" (The Pursuit of Happiness) ausdrücklich als humanes Grundrecht fixiert: "Die höchste Vollkommenheit einer vernunftbegabten Natur besteht in dem unermüdlichen Streben nach wahrem und dauerndem Glück." Materieller Erfolg bedeutete gewiss auch für Locke eine Menge Glück. Leider ist es nie von Dauer.
Was meint also "wahr" und "dauernd" in Bezug auf Glück? Zunächst einmal ist klar: Glück, egal welches, will andauern. Auch weil ein Glücklicher, der jeden Augenblick das jähe Ende dieses angenehmen Zustands vergegenwärtigen muss, sein Glück gar nicht recht genießen kann - aus Sorge um den Zeitpunkt dieses Endes. "Wahres", weil "dauerndes" Glück - worin besteht es?
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