HANDELSBLATT, Dienstag, 31. Januar 2006, 18:00 Uhr Ära Greenspan endet
Der murmelnde Hexer tritt ab
Von Torsten Riecke
Heute hat Alan Greenspan als mächtigster Mann der globalen Finanzpolitik seinen letzten Arbeitstag – nach 18 Jahren an der Spitze der US-Notenbank Federal Reserve (Fed). Ob er wirklich der Größte war, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Ein Portrait.
NEW YORK. Seine Hände sind gefaltet, die Augen halb geschlossen. Leicht gebeugt steht Alan Greenspan da, den Hals nach vorn gestreckt, den Blick nach unten gerichtet, während der US-Präsident über ihn spricht, seine Leistungen aufzählt als Chef der US-Notenbank, als Steuermann der Weltwirtschaft, als mächtigster Mann der globalen Finanzpolitik. George Bush redet und redet, dann gibt er das Wort an Ben Bernanke weiter, den Neuen an der Spitze der US-Zentralbank. Auch Greenspan möchte ans Mikrofon, sein Körper zuckt, als wollte er ans Rednerpult treten und noch einmal die Augen und Ohren der Welt auf sich ziehen. Doch daraus wird nichts. „Mr. Chairman, danke, dass sie hier waren.“ Mit diesem lapidaren Satz beendet Bush die Veranstaltung – nach genau acht Minuten. Die Ära Greenspan ist zu Ende – nach mehr als 18 Jahren.
Offiziell hat der 79-jährige Chef der Federal Reserve (Fed) zwar erst heute seinen letzten Arbeitstag. Der Machtwechsel und die damit verbundene Zeitenwende waren jedoch bereits an jenem 24. Oktober vergangenen Jahres spürbar. An diesem Montag stellte der US-Präsident seinen Wirtschaftsberater Ben Bernanke als neuen Chef der amerikanischen Notenbank vor. Wie ein Statist stand Greenspan daneben, als Bush den Notenbanker faktisch in den Ruhestand schickte – den „Maestro“, wie ihn der Journalist Bob Woodward in einer Biografie nannte, den „Hexer der Fed“ und „größten Zentralbanker aller Zeiten“, wie ihn Bewunderer bezeichneten.
Wenige Wochen zuvor hatte die elitäre Zunft der Zentralbanker bei ihrem jährlichen Stelldichein in Jackson Hole den Mann mit der großen Brille und der Vorliebe für lange, kryptische Formulierungen, die er vor sich hernuschelt, noch gefeiert, ihn mit Lob überschüttet. Als der leidenschaftliche Baseballfan letztens ein Spiel der „Washington Nationals“ besuchte, wurde er mit euphorischen Rufen „Go Alan“ begrüßt. Die Verehrung reicht so weit, dass Senator John McCain einmal vorschlug, den Mann nach seinem Ableben wieder aufzurichten und mit einer Sonnenbrille „weiterleben“ zu lassen.
Greenspan hat es meisterhaft verstanden, den Ruhm für seine Zwecke einzusetzen und aus der Notenbank eine Ein-Mann-Show zu machen. Am Ende seiner letzten Amtszeit erntet er daher nicht nur Lorbeeren, sondern muss auch für die Fehler der Fed geradestehen. „Wir sind heute da, wo wir sind, weil Greenspan es so entschieden hat“, fasst James Glassman, US-Ökonom bei der Großbank JP Morgan, zusammen.
Auf den ersten Blick erscheint Greenspans Bilanz makellos. Als er 1987 sein Amt antrat, lag die Kerninflation bei fast vier Prozent. Heute ist sie nur noch halb so hoch. Die Arbeitslosenquote betrug im Durchschnitt der Greenspan-Ära 5,5 Prozent. Und es gab nur zwei milde Rezessionen. „Greenspan hat die gesetzlichen Aufgaben der Fed – Preisstabilität bei maximaler Beschäftigung – hervorragend erfüllt“, sagt Ex-Notenbanker Laurence Meyer.
Er spricht ganz bewusst von Greenspan und nicht der Fed, die die Ziele erreicht habe. Sechs Jahre war Meyer als Mitglied des Fed-Offenmarktausschusses an Zinsentscheidungen beteiligt – zumindest offiziell hat jedes der zwölf Mitglieder eine Stimme. Am Ende hat aber nur einer das Sagen, der Ausschussvorsitzende Greenspan.
In der Regel treffen sich die Ausschussmitglieder achtmal im Jahr, meist an einem Dienstag, um über die Leitzinsen und damit über das Schicksal der Wirtschaft zu beraten. Pünktlich um neun Uhr morgens betritt Greenspan durch eine Seitentür den großen Board-Room der Fed. Dort warten bereits die anderen Mitglieder an einem gut acht Meter langen Konferenztisch. Die Sitzordnung richtet sich streng nach Macht und Einfluss. Je näher einer am Vorsitzenden sitzt, desto mehr Gewicht hat sein Wort.
Während Greenspan anfangs schweigt und sich die Berichte über die wirtschaftliche Lage anhört, ergreift er als Erster das Wort, sobald es um den geldpolitischen Kurs geht. Damit ist die Zinsentscheidung im Prinzip gefällt. Zwar hat jeder der anderen Notenbanker die Gelegenheit, seine Sicht darzulegen. Am Ende fallen die Entscheidungen jedoch fast immer einstimmig – im Sinne des Vorsitzenden.
Wer nicht mitzieht, wird kaltgestellt. So wie der heutige Princeton-Professor Alan Blinder, der die Fed nach nur zwei Jahren frustriert verließ. Star-Reporter Bob Woodward beschrieb die Machtpolitik Greenspans als Dolchstoß ohne Fingerabdrücke.
Der Öffentlichkeit sind diese Ränkespiele weitgehend verborgen geblieben. Greenspan erscheint vielen Amerikanern vor allem als erfolgreicher Krisenmanager. Bereits nach zwei Monaten an der Fed-Spitze muss er am berüchtigten „Black Monday“ einen Börsencrash auffangen. Es folgen Bankenkrise in den USA, Finanzkrisen in Mexiko, Russland und Asien, Zusammenbruch des Hedge-Fonds LTCM, Platzen der Internet-Blase, Terrorattacken und Bilanzskandale. Immer wieder ist der „Magier des Geldes“ zur Stelle und beruhigt die Finanzmärkte mit niedrigen Zinsen. An der Wall Street macht bereits das Wort vom „Greenspan Put“ die Runde – einer durch die Fed abgesicherten Verkaufsoption.
Als Mitte der 90er die Fachwelt und seine Kollegen auf zügige Zinserhöhungen drängen, hält Greenspan im festen Glauben an ein Produktivitätswunder dagegen – zu Recht, wie sich hinterher herausstellt. „Er hat fast alles richtig gemacht“, sagt Martin Baily, ehemaliger Wirtschaftsberater des Ex-Präsidenten Bill Clinton.
Stephen Roach schüttelt bei solchen Urteilen nur den Kopf. Der Chefvolkswirt der Investmentbank Morgan Stanley gehört zu den größten Kritikern Greenspans. „Man kann seine Leistungen nicht beurteilen, solange wir nicht die Folgen seiner Geldpolitik absehen können“, sagt Roach. Und das wird möglicherweise erst in zehn Jahren der Fall sein. Dann werden die Folgen der enormen Ungleichgewichte sichtbar, die Greenspans Politik des billigen Geldes nach dem Platzen der Internet-Blase in Amerika und der Welt erzeugten. Zwar hat die US-Konjunktur nach dem Crash an der Börse nur eine leichte Delle bekommen.
Die massive Liquiditätsspritze der Fed hat jedoch einen Immobilienboom erzeugt und die Verbraucher in einen Kaufrausch auf Pump versetzt. Amerika lebt seitdem über seine Verhältnisse, die Immobilien-Blase hat die Internet-Blase ersetzt. Platzt auch dieser Heißluftballon, könnten die USA den Rest der Welt mit sich in den konjunkturellen Abgrund reißen.
„Wir wussten, dass unser Umgang mit der Internet-Blase Nebeneffekte mit sich bringen würde“, räumte Greenspan kürzlich vor dem Kongress ein. Der Fed-Chef beharrte jedoch darauf, dass das Risiko einer Depression größer gewesen wäre, hätte er die Scherben der Börsenparty nicht aufgefegt.
Kritiker wie der Princeton-Professor Paul Krugman werfen Greenspan zudem vor, seine Autorität für parteipolitische Zwecke missbraucht zu haben. So hat der Notenbanker mit dem republikanischen Parteibuch sowohl die massiven Steuersenkungen von Präsident Bush unterstützt als auch dessen Pläne für eine Teilprivatisierung der staatlichen Rentenversicherung gelobt.
Angriffe der demokratischen Opposition hat Greenspan mit der Autorität seines Amtes zurückgewiesen. Das hat ihm den Beinamen „Maestro de Chuzpe“ eingebracht. Auf kritische Fragen im Kongress antwortet Greenspan zwar ruhig und höflich. Sein Schmunzeln um die Mundwinkel verrät jedoch jene Arroganz eines Weltökonomen, der zum Laienpublikum spricht.
Auch in der Öffentlichkeit hat das Denkmal mittlerweile Kratzer bekommen: Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup vertrauten im vergangenen Jahr nur noch 62 Prozent der Amerikaner ihrem Notenbank-Chef. Im Jahr 2001 waren es noch 82 Prozent.
Greenspan gilt zwar als Zahlenfanatiker, von den Umfragewerten wird er sich aber wohl nicht beeindrucken lassen. Er wird heute Morgen – wie immer in den vergangenen Jahren – die neusten Konjunkturdaten in der Badewanne studieren, pünktlich um neun Uhr zum letzten Mal von seinem Büro in den großen Board-Room der Fed gehen. Wenn es zur Sache geht, wird Greenspan die Zinsentscheidung wieder durch seinen Vortrag vorwegnehmen. Gegenstimmen sind nicht zu erwarten. Die wird es erst geben, wenn sein Erbe doch noch unter den wirtschaftlichen Ungleichgewichten, die er hinterlässt, auseinander brechen sollte. Die Scherben muss dann der Neue aufkehren.
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