Hier noch was für Leute, die auch längere Texte verstehen.
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Dieser Text stammt aus dem Jahre 1842. Ersetze "Fürst" durch "Volk" oder "Ariva-Leser" und der Text ist so aktuell wie damals. Wer will, kann auch noch "Zensor" durch den Namen eines beliebigen Zensurapologeten ersetzen.
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Die Hörfreiheit.
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An der Pressfreiheit pflegt man nur die eine Seite hervorzuheben, dass sie die
Redefreiheit sei, und die andere ganz ausser Acht zu lassen, wonach durch sie die
eben so unveräusserliche Hörfreiheit gesichert wird. Die Zensur legt nicht bloss der
Redefreiheit das Joch auf, sondern bringt auch die Hörfreiheit um's Leben. Ja,
während sie in der Unterdrückung der Redefreiheit nicht alle Redenden um ihre
Freiheit bringt, sondern namentlich den Regierenden zu sagen gestattet, was sie nur
irgend sagen wollen, so übt sie als Beherrscherin der Hörfreiheit eine unerbittliche
Gewalt gegen die Fürsten selbst. Der Fürst hat nicht die Freiheit, zu hören, was er
will, sondern das Wenige, was der Zensor und dessen Vorgesetzte wollen.
Allein man erwidert vielleicht, der Fürst wolle eben diess und jenes nicht hören, es
sei sein Wille, dass das und jenes nicht zu seinen Ohren komme. Ganz gut! Er
verbietet also z.B. alles »Unanständige« und weiset den Zensor an, dasselbe zu
streichen. Darin liegt der Wille des Fürsten, dass er das »Anständige« hören wolle.
Aber ein Zensor streicht tausend anständige Dinge, weil sie ihm nicht anständig
vorkommen. Wie viel Anständiges der Fürst jährlich einnehmen soll, darüber bestimmt
der Zensor. Wiederum will ein Fürst nichts »Übelwollendes« hören; für alles
»Wohlwollende« bleibt sein Ohr geöffnet. Allein mag er sein Ohr offen halten, so viel
er kann, alle wohlwollenden und wohlmeinenden Worte, die der Zensor nicht in jenes
offene Ohr einlassen will, die kommen nicht hinein. Vielleicht beleidigt ein
wohlwollendes Wort sein, des Zensors Ohr, oder das Ohr einer rücksichtswerten
Respektsperson: Grund genug, es auch dem fürstlichen Ohre zu entziehen. Er hat's
gehört, was brauchen's andere noch zu hören. Mithin kann ein Fürst mittelst der
Zensur zwar bewirken, dass er das nicht hört, was er nicht hören will: er kann das
wenigstens in den meisten Fällen; allein die Erlaubnis erringt er von dem Zensor
nimmermehr, alles hören zu dürfen, was er hören möchte. Nein, der Hörer ist so gut
ein Mündel des Zensors, als der Sprecher: beiden gewährt er von ihrem unermesslichen
Kapital jährlich nur so viel Zinsen, als er nicht lieber für - sich behalten will.
Darum wird es um die Pressefreiheit so lange nicht besser stehen, als nur die
Redenden die Unehre der Bevormundung empfinden. Erst wenn auch die Hörenden zum
Gefühl ihrer Ehre kommen, wenn auch sie es nicht länger tragen wollen, dass ein
anderer ihre Hörfreiheit ihnen entziehe: erst dann wird die Pressefreiheit, sie, die
sowohl Hör- als Redefreiheit ist, über die Zensur siegen.
(Max Stirner, 1842)
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