auch wenn dieser bericht jetzt nicht unmittelbar etwas mit einfluß auf die börse zu tun hat. für alle, die die us-wahl ein bißchen tiefgreifender interessiert (especially für crocodiehl, bzw. unsere discussion von vorhin im ariva chat :-) )
Gore kämpft gegen Gore
Ralph Nader, der Kandidat der Grünen, könnte Al Gore mit links und fünf Prozent Anhang den Wahlsieg stehlen - Leitartikel
Von Uwe Schmitt
Ralph heißt die Kanaille. Sein Name ist verflucht unter Amerikas Demokraten, die es fünf Tage vor der Wahl immer mehr mit der Angst bekommen. Ralph Nader, der Kandidat der Grünen, könnte Al Gore mit links und fünf Prozent Anhang den Wahlsieg stehlen, sagen sie und möchten den legendären Verbraucheranwalt am liebsten verbieten oder auf Zeit verhaften lassen. In Oregon kommt Nader auf zehn Prozent, im ganzen pazifischen Nordwesten strömen Tausende zu seinen Veranstaltungen. Nicht einmal Kalifornien scheint mehr gesicherte Gore-Besatzungszone zu sein. Wenn Gore verliert, ist der Mann mit dem Dolch bekannt. Im frühen Herbst noch hatten Al Gore und die Seinen "St. Ralph", den spinnerten Baum-Umarmer und Korruptionsjäger, milde als Heldentrophäe der siebziger Jahre verlacht. Aufrecht und ehrenwert, ja gewiss, auch klug sei der Princeton-Historiker und Harvard-Jurist. Aber doch nicht mehr als ein Schrumpfkopf verblichener Sozialkritik, der das "Duopol" der Demokraten und Republikaner korrupt nennt und das System reinigen will wie alle aussichtslosen Kandidaten dritter Parteien vor ihm. Die Parteien schlossen ihn von den Fernsehdebatten aus, unter 15 Prozent gäbe es keine Mitgliedschaft im Klub. Offenbar hatte kein Demokrat damit gerechnet, dass Gore, allen Umfragen zufolge, weniger als eine Woche vor der Wahl vier bis fünf Prozentpunkte hinter George W. Bush liegen würde.
Nun schmeicheln sie Nader, flehen ihn an, solidarisch zu verzichten, mobilisieren Kulturprominenz wie die Feministin Gloria Steinem gegen ihn. Sie beschwören sogar seine Anhänger in einem halben Dutzend unsicheren "Battleground"-Staaten, ihre Stimmen mit Demokraten in Hochburgen zu tauschen. Ihr Guru möge ja seine fünf Prozent bekommen - welche die Partei 2004 für Wahlkampferstattung aus Steuermitteln qualifizierte -, aber nicht um den Preis einer Niederlage Gores. Doch Nader, der zum dritten Mal kandidiert und mit strikt von Privatleuten eingeworbenen Spenden von fünf Millionen Dollar nur eine lässliche Monatsausgabe der beiden Großen zur Verfügung hat, bleibt ganz kalt. George W. Bush macht der Streit so keck, dass er sich selbst in Kalifornien Chancen ausrechnet. Und Al Gore lässt sich hinreißen, Nader einen (widerwilligen) Büttel des Big Business zu schimpfen.
In Wahrheit heißt die Kanaille Albert. Nur Gore könne Gore um die Präsidentschaft bringen, sagt Nader mit Recht. Nur der wohl fähigste und einflussreichste US-Vizepräsident der Geschichte, dem der Gouverneur aus Texas weder intellektuell noch an politischer Substanz das Wasser reichen kann, vermag den Sieg zu verspielen. Wie? Durch Kleinmut, Opportunismus, Arroganz und einen humorlosen Ehrgeiz, der jedermann spüren lässt, wie lüstern er das Amt begehrt. Alles, was den brillanten Politiker und von seiner Mission durchdrungenen Weltverbesserer auszeichnet, kann gegen ihn verwandt werden. Dafür sorgt er, nicht Nader. Wenn Al Gore nun um Staaten buhlen muss, die er sicher glaubte, und Naders Protestwähler fürchtet, dann vor allem deshalb, weil sich all seine Sachkenntnis und soziale Sensibilität eben nicht zusammenfügt zu dem, was Amerikas Wähler von ihrem Präsidenten ersehnen: dass er etwas Größeres schafft als die Summe seiner Pläne.
John F. Kennedy hat man diese charismatische Zauberei, mit knappster Mehrheit, geglaubt, auch Ronald Reagan und Bill Clinton. Der Wahlkampf 2000 aber langweilt und stößt ab, weil er alle unterfordert. Weil er dem sentimentalen Amerika weder Glorie verspricht, noch Opfer von ihm verlangt. Es ist die schmerzende Dürftigkeit beider Kandidaten, die Ralph Nader in die Hände spielt. Naturgemäß zu Lasten von Gore steht da ein Mann ohne Chance, aber mit Vision, arm an Mitteln, umso weniger bestechlich. Allzu viele sind es nicht, die Naders Verheißung einer progressiven Sammelbewegung folgen. Zusammen mit jenen 52, vielleicht 53 Prozent der Amerikaner jedoch, die nicht wählen werden, sind sie in ihrer Ohnmacht irritierend und mächtig.
Ralph Nader ist weder Kanaille noch Königsmacher. Er macht starrsinnig darauf aufmerksam, warum immer weniger Amerikaner wählen - und dann nicht den besseren Mann, sondern das kleinere Übel. Heiße es nun Al Gore oder George W. Bush.
@proxi: wieso hoffen wir beide für die republikaner ????
grüße stiller teilhaber |