Der Einzelhandel im Internet boomt Von Käuferstreik keine Spur: Konzerne steigern Umsatz im ersten Halbjahr um über 30 Prozent von Hagen Seidel Düsseldorf - Der Einzelhandel im Internet hat im ersten Halbjahr 2003 enorm zugelegt: Nach Zahlen des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE) stiegen die Umsätze um über 30 Prozent. Für das Gesamtjahr erwartet der Verband wegen des Weihnachtsgeschäftes sogar einen Zuwachs um rund 38 Prozent auf elf Mrd. Euro. "Im Internet ist nichts von der Konsumflaute im stationären Handel zu spüren", sagte Olaf Roik, HDE-Experte für E-Commerce der WELT. Bücher, CDs, Kleidung, elektronische Geräte, Computerzubehör oder Eintrittskarten werden nach wie vor am häufigsten bestellt. Der gesamte deutsche Einzelhandel rechnet in diesem Jahr mit einem Umsatzrückgang von rund einem Prozent. Online werden 2003 allerdings erst gut zwei Prozent der gesamten deutschen Einzelhandelsumsätze erzielt. Zu den größten Gewinnern gehört in diesem Jahr bisher Nummer drei am Markt, die Essener Karstadt-Quelle AG: In den ersten fünf Monaten legte der Wert der Online-Bestellungen über ihre 60 Portale um 35 Prozent auf 647 Mio. Euro zu. Für 2003 erwartet der Konzern ein Umsatzplus von mehr als 20 Prozent auf 1,5 Mrd. Euro. Damit liegt der Anteil des Online-Umsatzes von Europas größtem Waren- und Versandhauskonzern bei über acht Prozent. Besonderer Renner auf quelle.de ist der "Preisalarm": Wenn der Kunde es wünscht, wird er automatisch informiert, sobald der Preis für ein ausgewähltes Produkt sinkt. Auch der zweitgrößte Online-Händler in Deutschland ist im ersten Halbjahr kräftig gewachsen: "Wir blicken auf einen extrem guten Saisonstart mit hohen Zuwachsraten zum Vorjahr", erklärte Thomas Schnieders, Direktor neue Medien. Otto hatte im vergangenen Jahr mit 1,7 Mrd. Euro bereits zehn Prozent seines Umsatzes per Netz erzielt. Der Versender will mittelfristig auf 20 Prozent kommen. Marktführer amazon.de hält sich mit Umsatzzahlen für Deutschland zurück. Das US-Unternehmen, das einst als Buch- und CD-Händler gestartet war, erwartet für das zweite Quartal weltweit einen Umsatzzuwachs um bis zu 30 Prozent, wobei das Plus im außeramerikanischen Markt in den letzten Quartalen stets über diesem Wert lag. Rekorde erreichte im ersten Halbjahr der neue Harry-Potter-Roman: Amazon registrierte in Deutschland 80 000 Vorbestellungen - für die englischsprachige Original-Version. Die großen Anbieter wie Amazon, Otto, Quelle, Tchibo oder Conrad, dazu die Auktionsplattform Ebay haben nach HDE-Beobachtungen ihre Stellung gegenüber den kleineren Händlern weiter ausgebaut. "Die Online-Bestellungen sind mittelfristig auch für die Unternehmen ein Vertriebsweg, über den sie Kosten sparen können", meint Analyst Thilo Kleibauer vom Bankhaus M. M. Warburg. "Wir stellen fest, dass sich das Wachstum bei den Neukunden leicht abschwächt. Dafür aber steigen die Umsätze mit den Stammkunden", so Roik. "Die Bindung an den Online-Shop nimmt bei unseren Stammkunden deutlich zu", bestätigt Otto-Manager Schnieders. 59 Prozent der Online-Kunden in Deutschland sind nach Untersuchungen des Marktforschungsinstituts Nielsen Männer. Für den Versandhandel hat das Internetgeschäft eine immer größere Bedeutung - vor allem, um Neukunden zu erreichen. Sie kaufen nach Beobachtungen des Bundesverbandes des deutschen Versandhandels (BVH) später häufig auch über andere Vertriebskanäle des Anbieters - per Katalog oder im Laden. 2002 lag der Anteil des Online-Umsatzes der Versandhändler bei gut 13 Prozent. "Bis 2010 erwarten wir einen Internetanteil von 20 Prozent", so BVH-Präsident Rolf Schäfer. Artikel erschienen am 7. Jul 2003 in Die Welt
Der Online-Handel ist endlich erwachsen geworden Marktplatz von Hagen Seidel Das virtuelle Warenhaus ist längst mehr als die viel beschworene Vision der Internet-Gründerzeit. Immer deutlicher zeigt sich, dass der Einzelhandel über das Netz der Netze auch in Deutschland zu einem regulären und obendrein erfolgreichen Vertriebsweg geworden ist, mit dem die Handelshäuser kalkulieren können. Zwar dürfte der Verkauf über das Web auch in diesem Jahr erst einen kleinen Teil zum Branchenumsatz beitragen. Doch ein Marktvolumen von zehn bis elf Milliarden Euro ist mehr als eine Randerscheinung. Die zweistelligen Steigerungsraten, die die Internet-Anbieter seit Jahren vorweisen können, sprechen für ein nachhaltiges Wachstum. Weder das Ende der allgemeinen Internet-Euphorie noch die schmerzhafte Konsumflaute der vergangenen Jahre oder die Marktbereinigung durch Pleiten unwirtschaftlicher Startups haben den elektronischen Markt insgesamt etwas anhaben können. Im Gegenteil, die Anbieter haben durch Rückschläge wie den Reinfall beim Vertrieb von Lebensmitteln gelernt und konsequent auf hochwertige Sortimente gesetzt. Der Einzelhandel im Netz ist damit erwachsen geworden. An der Spitze des Marktes übrig geblieben sind - mit Ausnahme des Marktführers Amazon - nicht die Internet-Pioniere aus den späten neunziger Jahren, sondern die klassischen Universal-Versandhäuser wie Otto, Quelle und Neckermann oder große Nischenanbieter. Erfolgreich sind also jene Unternehmen, die jahrzehntelange Erfahrungen im Katalog-Geschäft besitzen und sich mit der branchenspezifischen Logistik ebenso auskennen wie mit der Kostenrechnung. Der Vertriebskanal Internet mag einen Teil der Umsätze aus dem angestammten Katalog abgezogen haben - doch unter dem Strich wächst der Versandhandel im Web durch neu gewonnene Kunden. Inzwischen ist der deutsche Online-Markt für die großen Sortimente zudem weitgehend verteilt. Wer hier an vorderster Stelle präsent ist, dürfte auch dauerhaft profitieren, denn die Kaufkraft der Web-Kundschaft wird wachsen. So sind die vom darbenden stationären Handel so intensiv umworbenen jungen Kunden diejenigen, die im Internet häufiger als andere Käuferschichten auf Einkaufstour gehen. Sie dürften mit den Jahren immer zahlungskräftiger werden. Der Online-Handel bleibt damit ein lukrativer Zukunftsmarkt. Artikel erschienen am 7. Jul 2003 in Die Welt
|