Aufschwung im Ärmel Die Unternehmen sind so optimistisch wie seit drei Jahren nicht mehrvon Nikos Späth - Mitarbeit: Manfred Fischer Berlin - Die Branchenverbände der sieben größten Wirtschaftszweige in Deutschland erwarten für die kommenden sechs Monate mehrheitlich eine Verbesserung ihrer Ertrags- und Umsatzlage. Der Maschinenbau, mit 870 000 Beschäftigten größter Industriearbeitgeber, rechnet bei einer anhaltend guten Konjunktur sogar mit einem leichten Anstieg der Arbeitsplätze in den kommenden zwölf Monaten.
Die Ergebnisse einer Umfrage dieser Zeitung unter den Branchenverbänden sind ein weiterer Indikator dafür, dass der Aufschwung in Deutschland kräftiger ausfallen wird als noch vor wenigen Monaten erwartet. Bereits in den letzten Wochen hatten fünf von sechs Wirtschaftsforschungsinstituten ihre Wachstumsprognose nach oben revidiert, zuletzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) von 1,4 auf 1,8 Prozent. In den vergangenen drei Jahren hatten die Ökonomen ihre Voraussagen jeweils im Sommer nach unten revidieren müssen.
Von der Bauwirtschaft und dem Einzelhandel abgesehen, beurteilen die Unternehmensverbände die Lage ihrer Branche mehrheitlich besser als zum Jahresbeginn. Fünf der befragten Wirtschaftszweige sehen für die kommenden sechs Monate eine weiter positive Entwicklung (siehe Grafik). Vor allem die Auftragslage aus dem Ausland schätzen die Verbände äußerst positiv ein.
Der starke Export bedeutet aber auch, dass das "Wachstum noch fast ausschließlich von der Auslandsnachfrage getragen" wird, sagt Michael Rogowski, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), dieser Zeitung. "Erst wenn die Inlandsnachfrage anspringt", so der BDI-Chef, "kommt die Konjunktur richtig in Schwung."
Verbessert hat sich vor allem die Situation im Maschinenbau. Musste die Branche 2003 noch ein Minus von einem Prozent verkraften, stieg die Produktion in den ersten vier Monaten um vier Prozent. Der Umsatz kletterte um 4,7 Prozent, die Auftragseingänge schnellten bis Mai gar um 19 Prozent in die Höhe. Durch die gute konjunkturelle Entwicklung sei der Arbeitsplatzabbau gestoppt worden, sagt Ralph Wiechers, Chefvolkswirt des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). "Neue Stellen werden allerdings erst geschaffen, wenn der Aufschwung 2005 anhält." Eine flächendeckende Einführung der 40-Stunden-Woche sei "eine sinnvolle Maßnahme", sagt Wiechers. Sie werde aber vor allem dazu dienen, "Arbeitsplätze im Inland zu halten". Zusätzliche Beschäftigung werde hauptsächlich im Ausland entstehen.
Auch der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) hat seine Wachstumsprognose für 2004 von zwei auf 2,5 Prozent erhöht. "Die Minusjahre sind vorbei", sagt Bitkom-Präsident Willi Berchtold, "die Auftragsbücher füllen sich wieder." Besonders erfreulich sei, dass sich selbst das langjährige Sorgenkind IT-Hardware inzwischen gefangen habe. Der Mobilfunk und die digitalen Medien würden ebenfalls wieder Wachstum bringen. Zu "nennenswert neuen Stellen" reiche der Aufschwung aber nicht aus, sagt der Bitkom-Chef. Erst mit dem vorausgesagten Wachstum von 3,7 bis 4 Prozent im kommenden Jahr würden neue Arbeitsplätze entstehen.
Wolfgang Franz, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), erwartet 2005 eine "gewisse Entlastung" auf dem Arbeitsmarkt. "Aber die wird sich nicht in den Größenordnungen bewegen", schränkt Franz sogleich ein, "wie das vielfach erwartet wird." Den kürzlich vom DIW prognostizierten Zuwachs von 200 000 Beschäftigten hält er - vorsichtig ausgedrückt - für "sehr optimistisch". Franz: "Ich sehe 2005 keinen Wendepunkt auf dem Arbeitsmarkt. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn ich mich irre." Hinsichtlich längerer Arbeitszeiten mache er sich "keine übertriebenen Vorstellungen über die zu erwartenden Arbeitsplatzgewinne". Viel wichtiger als Mehrarbeit seien flexible Arbeitszeiten, meint Ernst Baumann, Personalvorstand bei BMW. "Wir haben bedarfsgesteuert Arbeitszeitvolumen und Arbeitszeitflexibilität verzahnt." Um der anhaltend hohen Nachfrage nach Autos made in Germany nachzukommen, waren Extraschichten zuletzt dringend notwendig. So hat die Industrie im ersten Halbjahr mit mehr als 1,9 Millionen exportierten Autos ein Plus von sieben Prozent erreicht. Allein im Juni stieg die Ausfuhr um ein Viertel. Doch für Bernd Gottschalk, den Präsidenten des Verbands der Automobilindustrie (VDA), ist das kein Grund zum Jubeln. Zu schwach ist das Inlandsgeschäft. Die ursprünglich für 2004 erwarteten 3,35 Millionen Neuzulassungen in Deutschland hat der VDA längst auf 3,24 Millionen nach unten revidiert. Schuld daran ist wieder einmal die "tiefe Verunsicherung der Konsumenten".
Diese "gespaltene Entwicklung" gelte auch für die Elektroindustrie, sagt Ulrich Scheinost. Während der Chefvolkswirt des Zentralverbands der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) von einer "deutlichen Zunahme der Exporttätigkeit" (plus zehn Prozent) spricht, berichtet er gleichzeitig von einer "anhaltend flauen Entwicklung der Binnenkräfte". Lediglich um ein Prozent sind die Aufträge aus dem Inland im ersten Halbjahr gestiegen. Dafür seien vor allem die Konsumschwäche, die niedrige Bautätigkeit und die Investitionsschwäche im öffentlichen Bereich verantwortlich. Auch in den kommenden sechs Monaten erwartet Scheinost ein eher stagnierendes Geschäft, zumal die Exportabhängigkeit der Elektroindustrie in Form von hohen Öl- und Rohstoffpreisen Risiken berge. Die Folge: "Vor dem insgesamt wenig dynamischen Wachstum zeichnet sich keine Aufstockung der Belegschaften ab", sagt der ZVEI-Mann.
Auch in der chemischen Industrie ist der Ausblick noch verhalten. "Auf Grund der schwachen Erholung rechnet die Branche nicht mit einem Beschäftigungsaufbau in den kommenden sechs Monaten", sagt Wilfried Sahm, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI). Zwar gab es im ersten Halbjahr 2004 "erste Anzeichen einer Belebung" des Geschäfts, aber mehr eben auch nicht. Und die Impulse kamen "allein aus dem Ausland". Deshalb dürften "trotz der leichten wirtschaftlichen Belebung" die Investitionen "bestenfalls stagnieren".
Am unteren Ende der Stimmungsskala befinden sich wie eh und je die Bauwirtschaft und der Einzelhandel. Hier zeigt kein Pfeil nach oben. Allenfalls der Einzelhandel schaut vorsichtig optimistisch auf die kommenden sechs Monate. Die Händler sind schon froh, dass sie im enttäuschenden ersten Halbjahr "keine dramatischen Einbrüche mehr" haben hinnehmen müssen, sagt Hermann Franzen, Präsident des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels (HDE). Dennoch habe der "leichte konjunkturelle Auftrieb den Handel noch nicht erreicht". "Wir müssen uns wohl gedulden", macht sich Franzen Hoffnung, "bis sich am Arbeitsmarkt Besserung zeigt." Der Handel indes trägt nicht dazu bei: Er baut weiter Arbeitsplätze ab.
Besserung ist auch bei der Bauindustrie allenfalls im nächsten Jahr in Sicht. "Die Krise ist noch nicht zu Ende", sagt Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB). Derzeit wächst nur der Wohnungsbau, eine "Angstkonjunktur", weil die Leute fürchten, demnächst die Eigenheimzulage ganz zu verlieren. Erst wenn die Kommunen 2005 wieder mehr Geld für Infrastrukturinvestitionen haben, so die Hoffnung der Bauunternehmen, gehe die Talfahrt zu Ende.
Das Gros der deutschen Wirtschaft indes fährt bergauf - wenn auch langsam. Zumindest "ist die Lage deutlich besser als zu Jahresbeginn", sagt Maschinenbauer Wiechers stellvertretend für die anderen Branchen. Das ist ja auch schon mal was. |