Ignatz Bubis Unternehmer, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland
1927 12. Januar: Ignatz Bubis wird als siebtes Kind des Schiffahrtsbeamten Jehoshua Josef Bubis und seiner Frau Hannah, geb. Bronspiegel, im schlesischen Breslau (heute Wroclaw/Polen) geboren.
1935 Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers verläßt die Familie aus Angst vor den beginnenden antisemitischen Übergriffen Breslau und siedelt in die polnische Kleinstadt Deblin an der Weichsel über.
1939 Bubis Besuch des Debliner Gymnasiums wird durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhindert. Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Polen besucht Bubis einige Wochen die siebte Klasse der Volksschule, bevor auch diese für Juden verboten wird.
1941 Februar: Mit 14 Jahren muß Bubis auf Befehl der Nationalsozialisten mit seinem Vater ins Debliner Ghetto ziehen. Seine Mutter ist zwei Monate zuvor an Krebs gestorben. Bubis arbeitet im Ghetto als Postbote.
1942 Oktober: Bubis Vater wird in das Konzentrationslager Treblinka deportiert und dort ermordet. Auch zwei seiner Geschwister kommen durch die Nationalsozialisten um.
1944 Juni: Bubis wird in ein Arbeitslager in Tschenstochau (heute Czestochowa) deportiert, drei Tage bevor die Rote Armee Deblin erreicht.
1945 16. Januar: Tschenstochau wird von der Roten Armee befreit. Bubis zieht gemeinsam mit anderen ehemaligen Lagerinsassen nach Lublin und versucht dort, den Verbleib seiner Familie zu ermitteln. Er findet jedoch nur seinen Onkel Leib Bronspiegel und dessen Familie wieder. Nach einer Zwischenstation in Lodz, wo er mit Pferden handelt, um sein Überleben zu sichern, gelangt Bubis über Breslau und Dresden nach Berlin. Dort trifft er wieder mit seinem Onkel zusammen. Entgegen dessen Wunsch entscheidet sich Bubis dafür, in Deutschland zu bleiben und nicht mit ihm in die USA auszuwandern.
ab 1946 Seinen Lebensunterhalt verdient Bubis im Tauschhandel der sowjetischen Militärbehörden. Er richtet mehrere Läden in Dresden ein, in denen er Wertgegenstände gegen Lebens- und Genußmittel eintauscht. Bubis pendelt zwischen der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und Berlin.
1949 Bubis muß aus der SBZ nach West-Berlin flüchten, da er von der sowjetischen Geheimpolizei gesucht wird. Später erfährt er, daß er beschuldigt wurde, Kaffee in großen Mengen schwarz verkauft zu haben.
ab 1950 Bubis betätigt sich mit Freunden in Stuttgart und Pforzheim im Edelmetallhandel. Er erhält von den Besatzungsmächten eine Ausnahmegenehmigung für den Handel mit Gold und damit eine Monopolstellung in der Belieferung der Edelmetallindustrie.
1953 Nach der Aufhebung des Edelmetallhandelsverbots und dem daraus folgenden Wegfall der Monopolstellung von Bubis Firma, beginnt Bubis Goldschmuck aus Italien zu importieren. Mai: In Paris Heirat mit Ida Rosenmann, die er aus seiner Kindheit in Deblin kennt. Aus der Ehe geht eine Tochter, Naomi Ann (geb. 1963) hervor.
1956 Bubis und seine Frau ziehen nach Frankfurt/Main. Seine Gewinne investiert Bubis in der Immobilienbranche, bis er sich schließlich ganz diesem Geschäftszweig widmet und den Schmuckhandel seiner Frau überläßt.
1965 Bubis kandidiert zum ersten Mal für den Gemeinderat der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt/Main, der zweitgrößten jüdischen Gemeinde in Deutschland, und wird auf Anhieb gewählt. Er wird zunächst stellvertretendes und zwei Jahre später ordentliches Vorstandsmitglied.
1969 Eintritt in die F.D.P. Bubis Parteiarbeit beschränkt sich zunächst auf den Frankfurter Kreisverband und bedingt auf die Landesebene.
Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre Bubis wird in den Frankfurter Häuserkampf verwickelt: Er gehört zu den Investoren, die für Immobilienprojekte im Frankfurter Westend die Genehmigung der Stadt erwirken, die ursprüngliche Bebauung abzureißen. Bis zu ihrem Abriß vermieten Bubis und seine Partner die Häuser kurzfristig an Studenten. Diese erklären die Häuser für besetzt und weigern sich, sie zum Abriß freizugeben, unterstützt durch Bürgerinitiativen und Politiker. Bubis gerät ins Schußfeld der öffentlichen Kritik und der Medien, er wird als "skrupelloser Spekulant" dargestellt. Er selbst charakterisiert die Kampagne, die sich vornehmlich gegen jüdische Unternehmer richtet, als "Antisemitismus aus der Richtung der politischen Linken". Erst im Februar 1974 werden die Gebäude schließlich geräumt, Auseinandersetzungen zwischen Studenten und Polizei folgen. Bubis verliert durch die Ereignisse fast sein gesamtes Vermögen und muß das Projekt im Westend verkaufen. Während des Konfliktes legt Bubis seine Ämter in der jüdischen Gemeinde nieder.
ab Mitte der 70er Jahre Bubis verstärkt sein Engagement in der F.D.P. Er wird in den Frankfurter Kreisvorstand, später in den Landesvorstand und schließlich zum Bundesparteitagsdelegierten gewählt. Er wendet sich gegen Tendenzen, die Partei weiter nach rechts auszurichten.
Ende der 70er Jahre Bubis kann sein Unternehmen wieder stabilisieren. Er führt die Immobilieninvestitionen im Ausland, die er bereits vor dem Häuserkampf begonnen hatte, fort und beteiligt sich unter anderem an Hotelbauten in Israel und im Iran.
1978 Bubis übernimmt wieder verantwortliche Funktionen in der jüdischen Gemeinde in Frankfurt/Main: Er wird zum Vorstandsvorsitzenden gewählt und in das Direktorium des Zentralrates der Juden in Deutschland delegiert. In diesen Positionen verfolgt er sein Engagement für die Gründung jüdischer Einrichtungen in Frankfurt weiter und setzt sich für den Bau eines Jüdischen Gemeindezentrums sowie die Errichtung eines Altenheims und eines Kindergartens ein.
1979 In der Debatte über die Verjährung nationalsozialistischer Verbrechen tritt Bubis massiv für die unbeschränkte Strafbarkeit der Ermordung von Menschen ein.
1985 Januar: Bubis wird in den Verwaltungsrat des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt. Als an der Frankfurter Schaubühne das vielfach als antisemitisch empfundene Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" von Rainer Werner Fassbinder uraufgeführt werden soll, ist Bubis unter den protestierenden Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde, die die Bühne besetzen und damit die Aufführung verhindern. Hauptperson des Stückes ist ein jüdischer Spekulant, für den - so die Meinung vieler - Bubis als lebendes Vorbild diente. Schließlich wird eine weitere Aufführung des Stückes in Frankfurt untersagt.
1987-1992 Leitung des Rundfunkrats des Hessischen Rundfunks.
1989 Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland. Bubis besucht das Konzentrationslager Treblinka, in dem sein Vater ermordet wurde. Dieses Erlebnis bringt ihn dazu, über die eigenen Erfahrungen während des NS-Regimes zu sprechen.
1992 Juli: Heinz Galinski, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, stirbt. Bubis wird zu seinem Nachfolger gewählt und damit höchster Repräsentant der Juden in Deutschland, nachdem er 1991 mit seiner Kandidatur gegen Galinski gescheitert war. Bubis wird bald als Mann des Ausgleichs bekannt. Er knüpft schnell Kontakte und sucht das Gespräch auch mit Andersdenkenden. Durch seine starke Medienpräsenz findet Bubis für jüdische Belange eine neue Öffentlichkeit und wird von der FAZ als "Stimme des Gewissens" bezeichnet. Er selbst empfindet seine Aufgabe als "Wächter-Amt". Bubis' Amtszeit wird früh von Ausbrüchen von Fremdenhaß und Antisemitismus begleitet. Bubis fordert deshalb immer wieder die konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze und nimmt an Mahndemonstrationen teil. Auch Bubis persönlich erhält häufig Drohbriefe. Behauptungen, er sei als Jude kein Deutscher, sondern Israeli, begegnet er mit der Feststellung, daß das Judentum keine nationale Prägung, sondern eine Glaubensfrage sei. Immer wieder bringt er seine Identifizierung mit der deutschen Staatsbürgerschaft zum Ausdruck. Gleichzeitig versucht Bubis dem Unverständnis der israelitischen Juden für den Wunsch ihrer deutschen Glaubensgenossen, in Deutschland zu leben, entgegenzuwirken und das Deutschlandbild in Israel zu verbessern. In seine Amtszeit fällt außerdem die Integration tausender jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion.
1993 Bubis wird von dem CDU-Bundestagsabgeordneten Willy Wimmer als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten ins Gespräch gebracht. Die neugegründete Zeitschrift "Die Woche" greift diesen Vorschlag als Schlagzeile ihrer ersten Ausgabe auf. Bubis selbst weist aber Spekulationen um seine Kandidatur zurück. Er hält die Zeit für noch nicht reif dafür, daß ein Jude Bundespräsident werden kann. Seine Gesprächsbiographie "Ich bin ein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" erscheint.
1995 Bubis nimmt als Mitglied der Delegationen verschiedener Politiker an mehreren Reisen nach Israel und in den Nahen Osten sowie an Gedenkfeiern zur Befreiung der Konzentrationslager teil.
1996 Der Besuch bei Verwandten in Sƒo Paulo/Brasilien, von deren Existenz Bubis zufällig durch den Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem erfährt, konfrontiert Bubis erneut mit seiner Vergangenheit. Das Verdrängen seiner Erlebnisse, das für ihn jahrelang ein "überlebensnotwendiger Selbstschutz" war, fällt ihm immer schwerer. Er stellt von da an vieles, was ihm vorher wichtig war, wie das Leben als Jude in Deutschland und seine Aufgabe als Zentralratsvorsitzender, in Frage und reagiert gereizter auf intolerante Äußerungen. Ein Foto seiner Nichte Rachel, die in Polen von den Nationalsozialisten ermordet wurde, trägt Bubis von nun an immer bei sich. Bubis Autobiographie "Damit bin ich noch längst nicht fertig" erscheint. Zum 1992 verliehenen Bundesverdienstkreuz 1. Klasse erhält Bubis nun das Große Bundesverdienstkreuz.
1997 Januar: Für eine weitere Amtszeit an der Spitze des Zentralrats der Juden in Deutschland wird Bubis einstimmig bestätigt. Gleichzeitig wird seine Funktion von der eines Vorsitzenden in die eines Präsidenten des Zentralrates umbenannt. Im März tritt Bubis als Frankfurter Spitzenkandidat für die hessischen Kommunalwahlen an und verhilft der F.D.P. zur Rückkehr in den Stadtrat.
1998 Februar: Innerhalb der Debatte um das geplante Holocaust-Mahnmal in Berlin spricht sich Bubis gegen eine weitere Verzögerung des Baus aus und betont, daß das Mahnmal eine deutsche Angelegenheit sei. Er wehrt sich gegen eine aufgedrängte Rolle als "Obergutachter". Gleichzeitig weist er auf die größere Wichtigkeit von Gedenkstätten an den Orten des Holocausts gegenüber Denkmälern hin. Mit der Verleihung des Goldstein-Preises durch das israelische Parlament wird Bubis Engagement für die deutschen Juden gewürdigt. Juni: Wiederwahl als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main. Oktober: Der Schriftsteller Martin Walser thematisiert in seiner Rede anläßlich des ihm verliehenen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels unter anderem den individuellen und kollektiven Umgang der Deutschen mit der Erinnerung an den Holocaust und spricht von der "Moralkeule Auschwitz". Bubis wirft Walser daraufhin vor, er habe als "geistiger Brandstifter" für eine "Kultur des Wegschauens und Wegdenkens" plädiert und stehe damit im Trend eines "unterschwelligen Antisemitismus". In der Folgezeit entsteht eine kontrovers geführte öffentliche Debatte. Der Streit wird durch eine Aussprache Bubis und Walsers am 12. Dezember in der Redaktion der FAZ weitestgehend beigelegt. 19.Oktober: Bubis wird Präsident des European Jewish Congress.
1999 Ende Juli gibt Bubis sein letztes Interview, das im Stern veröffentlicht wird. "Fast nichts" habe er in seiner Amtszeit als Präsident des Zentralrats der Juden bewirkt. Jüdische und nichtjüdische Deutsche seien einander fremd geblieben, so sein resigniertes Fazit. Trotzdem kündigt er seine erneute Kandidatur für das Amt des Zentralratsvorsitzenden an. 13. August: Ignatz Bubis stirbt im Alter von 72 Jahren an Knochenkrebs. Er wird auf seinen Wunsch hin in Israel beigesetzt, da er verhindern wollte, daß sein Grab wie das seines Vorgängers Galinski geschändet wird. Als Vertreter Deutschlands nehmen Bundespräsident Johannes Rau, Bundesratspräsident Roland Koch und Innenminister Otto Schily sowie Vertreter verschiedener jüdischer Gemeinden an der Beerdigung in Tel Aviv teil. Unmittelbar nach dem Begräbnis schändet der israelische Künstler Meir Mendelssohn das Grab mit schwarzer Farbe, um seiner schlechten Meinung von Bubis Ausdruck zu geben.
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