---> Oh shit! Oh fuck!
---> Aus Fuck wird XXX
"Nipplegate" war erst der Anfang. Die amerikanischen Medien sehen sich wachsender Zensur ausgesetzt. Konservative Organisationen üben Druck aus, Radiosender werden mit Strafen im sechsstelligen Bereich belegt, DJs gefeuert.
Die Angst gebiert einen neuen und höchst lukrativen Markt:
Zensurtechnologie Am 19. Januar 2003 vergaß sich Bono. Der irische Popstar, Frontmann von U2, Entschuldungs-Botschafter für die Dritte Welt, Freund von Präsidenten und Premiers, hielt einen Golden Globe in den Händen. Für einen Song, den U2 zum Soundtrack zu Martin Scorseses Gründermythos-Gemetzel "Gangs of New York" beigetragen hatten. Bono freute sich so sehr, dass er offenbar Anstand und Sitte über Bord warf, er bedankte sich für den Preis nämlich mit den Worten: "This is really, really fucking brilliant."
Zugegeben, keine allzu originelle Dankesrede. Dennoch überrascht das Nachspiel, das der enthusiastische Ausbruch des Popstars zur Folge hatte: "Die Ausstrahlung der Golden Globe Awards erwies sich als weiterer trauriger Eintrag auf einer langen Liste von Beispielen für die Verantwortungslosigkeit, die familientaugliches Fernsehen zugunsten schlüpfriger Sendungen opfert", empörte sich am nächsten Tag Brent Bozell III, Präsident des Parents Television Council (PTC). Wütend war er vor allem über die Unverfrorenheit des Senders NBC, eine Live-Sendung auch wirklich live zu senden. Inzwischen werden große Live-Programme wie jüngst die Grammy- und die Oscar-Verleihung routinemäßig zeitverzögert ausgestrahlt, um bei Eklat-Gefahr rechtzeitig einschreiten zu können.
Ein Jahr später war das "F-Wort" doch obszön
Die Federal Communications Commission (FCC) eine US-Bundesbehörde, die Radio- und Fernsehsender überwachen soll, wurde nach dem öffentlichen Rockstar-Fluch im vergangenen Jahr zwar eingeschaltet, entschied aber, dass das "F-Word" aus Bonos Mund im Kontext der Preisverleihung weder obszön noch unanständig gewesen sei. Das PTC war empört, es hagelte Proteste. Ein Jahr später revidierte die FCC ihre Entscheidung.
Behördenchef Michael Powell erklärte das Urteil seines Untergebenen David Solomon schlicht für falsch. Powell, der Sohn des US-Außenministers Colin Powell, war Anfang 2001 von Präsident George W. Bush ins Amt gesetzt worden, Salomon hatte seinen Job als Chef des "Enforcement Office" der FCC noch unter der Clinton-Regierung angetreten. Am 18. März diesen Jahres verkündete Powell, Bonos öffentliches "F-Wort" sei doch nicht korrekt gewesen. Sender wurden gewarnt, dass entsprechende Übertretungen künftig Strafgebühren oder gar den Entzug der Lizenz zur Folge haben könnten.
Brent Bozell III war damit aber nicht zufrieden. Wie schon öfter in der Vergangenheit nannte er die FCC einen "zahnlosen Löwen", eine Verwarnung ohne Geldbuße sei nicht Strafe genug für NBC. Man solle "dem Kind einen Mund voll Seife geben", dann würde die "Töpfchensprache" enden, schrieb der aufrechte Medienhüter in einer Kolumne.
Bozell ist nicht nur ein fanatischer Verfechter von Anstand und Sitte auf allen Kanälen, er kämpft auch tapfer für die Republikaner im Allgemeinen und Präsident Bush im Besonderen. Eine seiner Schöpfungen ist das Media Research Center (MRC), eine rechtslastige Organisation, die laut Selbstbeschreibung das Ziel verfolgt, mit "quantitativer und qualitativer Forschung liberale Verzerrungen in den Medien zu dokumentieren".
In Kolumnen auf der Website des MRC ätzt er gegen "arrogante Künstler" wie den Schauspieler Tim Robbins, die ihren Antikriegskurs auch öffentlich vertreten, gegen den Nestbeschmutzer Richard Clarke, der die Bush-Regierung mit seinen Aussagen zum Antiterrorkampf in Bedrängnis brachte, und gegen den Demokraten John Kerry, der nach dem Vietnamkrieg eine "radikale, Amerika hassende Protestparade" angeführt habe und sich nun im Präsidentschaftswahlkampf als Kriegsheld aufführe.
Bozell ist ein medialer Hansdampf-in-allen-Gassen, er betreibt mehrere Internet-Seiten, schreibt Kolumnen für große Tageszeitungen, tritt in Talkshows auf und hat mehrere Bücher veröffentlicht, unter anderem eines mit dem Titel "Weapons of Mass Distortion: The Coming Meltdown of the Liberal Media".
500.000 Dollar Strafe für wiederholtes Fluchen
Während Bozell und seine Kohorten vom Parents Television Council und anderen Organisationen wie Common Sense Media für stärkere staatliche Kontrolle in den Medien trommeln, schreitet der Gesetzgeber bereits zur Tat. Bislang können Radio- und Fernsehsender, die Geschmacksgrenzen verletzen, mit Geldbußen von maximal 27.500 Dollar belegt werden. Ein Senatskomitee beschloss Anfang März eine Gesetzesvorlage, nach der diese Strafen auf 275.000 Dollar für einen einmaligen Verstoß und bis zu 500.000 Dollar für wiederholte Verstöße erhöht werden würden. Ein paar "F-Wörter" zu viel könnten kleineren Radio- und Fernsehstationen das Genick brechen.
Dabei ist, zumindest im Fernsehen, die Zensurmöglichkeit für besorgte Eltern bereits eingebaut: Alle in den USA verkauften Fernsehgeräte enthalten inzwischen einen so genannten "V-Chip", der es erlaubt, bestimmte Programme auszublenden. Die Sender sind verpflichtet, jeder Ausstrahlung ein Signal beizufügen, das dem Chip die Altersfreigabe der Sendung mitteilt. Eltern könnten mit einer entsprechenden Einstellung am Fernseher dafür sorgen, dass bei Gewalt oder Sex der Bildschirm dunkel bleibt - die Technologie wird jedoch kaum genutzt. Wie das Onlinemagazin "Slate" berichtet, ergab eine kürzlich durchgeführte Studie, dass selbst in Familien, die explizit im Gebrauch des Chips unterwiesen worden waren, kaum jemand von der Zensurschere im eigenen Fernseher Gebrauch machte.
Einige Unternehmen üben sich unterdessen bereits in Selbstzensur. Die jährliche Unterwäsche-Modenschau von "Victoria's Secret", bisher ein freizügiges Laufstegvergnügen mit Topmodels wie Heidi Klum und Naomi Campbell, wird in diesem Jahr ausfallen - das Unternehmen zog die quotenträchtige Ausstrahlung beim Sender CBS zurück. "Diese neue Überempfindlichkeit verändert die Sendeinhalte", zitiert die Agentur Reuters Robert Thompson, Professor für Medien und Populärkultur an der Syracuse University.
Bei kleinen Sendern geht die Angst um
Während Amerikas Eltern sich offenbar auf die Vernunft ihrer Kinder verlassen oder deren Medienkonsum lieber selbst überwachen, statuiert die FCC erste Exempel. Im Januar musste Clear Channel Communications, der größte US-Radioanbieter, 755.000 Dollar Strafe zahlen, weil sich ein Radio-DJ namens "Bubba the Love Sponge" danebenbenommen hatte. Unter anderem hatte er zu Cartoon-Musik beliebte Zeichentrickfiguren über Sex reden lassen - im Vormittagsprogramm. Clear Channel feuerte den DJ.
Vergangene Woche wurde auch der New Yorker Talk-Radio-Legende Howard Stern, dessen Sendungen unter anderem auch über die Sender von Clear Channel Communications liefen, abgestraft. 495.000 Dollar musste die Senderfamilie für Obszönitäten in der Show zahlen. Auch Stern, dessen Sendung auf den Stationen des Senders schon vorher "suspendiert" worden war, flog sofort aus dem Programm. Die hohen Bußen waren zustande gekommen, weil die FCC Strafen für mehrere Verstöße zusammengezählt hatte.
Bei den kleineren Radiostationen in den USA geht unterdessen die Angst um. Der "Miami Herald" berichtet, dass sich Geräte zur Live-Zensur von Radiosendungen derzeit besser verkaufen als je zuvor. "Wir haben innerhalb eines Monats Aufträge für ein ganzes Jahr bekommen", zitiert das Blatt Paul Roberts, Verkaufsleiter bei Symetrix, einem der beiden größten Hersteller von Verzögerungsgeräten für Radiosendungen. "Wir mussten die Produktion dramatisch erhöhen."
Das günstigste Symetrix-Modell, "AirTools 6000", verspricht "Weltklasse-Schimpfwort-Verzögerung". Das Gerät verschiebt eine Live-Sendung um bis zu 20 Sekunden nach hinten, so dass ein Techniker bei Fluch-Gefahr rechtzeitig den Knopf für den Zensurpiepton bedienen kann. "Im momentanen Klima ist man lieber auf der sicheren Seite", sagte Jerry Rushin dem "Miami Herald". Rushin ist Manager von zwei Radiostationen in Florida, die vor etwa zwei Wochen entsprechende Geräte einbauen ließen - für jeweils zwischen 2200 und 3400 Dollar. Clear Channel Communications will unterdessen für insgesamt 500.000 Dollar Zensurtechnik einkaufen.
Das Unternehmen Clearplay bietet neuerdings auch DVD-Player an, die mit je Film eigens herunter zu ladenden Filtern Fleisch, Blut und Flüche aus Filmen ausblenden sollen. Angesichts des sang- und klanglosen Untergangs des "V-Chip" ein wenig Erfolg versprechendes Konzept.
Immerhin: Die durch "V-Chip" und Clearplay geleistete Zensur funktioniert automatisch. Für die Überwachung von Live-Sendungen in Radio und Fernsehen aber wird bald ein Heer von Live-Zensoren gebraucht werden, ein ganz neues Berufsbild entwickelt sich. Woran moralische Eingriffe gemessen werden, ist für Bozell und Konsorten schon jetzt klar: Am gesunden Volksempfinden. Oder wie der konservative "Citizen Online" zum Thema schrieb: "Obwohl Unanständigkeit schwer zu definieren ist, erkennen anständige Leute sie, wenn sie sie sehen oder hören." |