FAZ.NET - ständig aktualisierte Nachrichten. Analysen, Dossiers, Audios und Videos AktuellWirtschaftKonjunktur Energiemärkte Ölpreis fällt unter 50 Dollar
20. November 2008 Am Donnerstagmittag war es soweit. Der Preis für Rohöl der Sorte West Texas Intermediate (WTI) rutschte im Londoner Handel erstmals seit dreieinhalb Jahren unter die psychologisch bedeutsame Marke von 50 Dollar je Barrel (159 Liter). In New York war der Preis schon länger auf diese Marke zugestrebt. Und es würde viele Marktbeobachter nicht wundern, wenn die Notierungen unter dem Eindruck der sich rasch verschlechternden Bedingungen in der Weltwirtschaft noch weiter fallen sollten.
Auch an den deutschen Tankstellen tut sich etwas: Die Krafstoffpreise setzten in dieser Woche ihre Talfahrt weiter fort und erreichten am Mittwoch ein neues Jahrestief. Der Liter Super kostete zu Wochenbeginn knapp 1,18 Euro und war damit rund fünf Cent billiger als im Vergleich zur Vorwoche, wie ein ADAC-Sprecher am Mittwoch in München sagte. Diesel wurde demnach sogar um sieben Cent billiger und kostete rund 1,16 Euro. Bereits vergangene Woche war der Benzinpreis auf einem Jahrestief angekommen, sackte jetzt aber noch weiter ab.
Benzin immer noch teuer
Trotz der derzeitigen Entspannung der Spritpreise werde 2008 aber dennoch zum bislang teuersten Jahr für die deutschen Autofahrer werden, sagte der ADAC-Sprecher. Inwieweit sich der weiter sinkende Ölpreis auch künftig an deutschen Tankstellen bemerkbar machen wird ist zudem offen, glauben Beobachter.
Zu viele andere Faktoren, nicht zuletzt der Dollarkurs spielen dabei eine Rolle. So ist auch der Ölpreis in Dollar gerechnet seit März um rund zwei Drittel gefallen, in Euro lediglich um 58 Prozent. Ersparte die Eurostärke deutschen Autofahrern zuvor die volle Wucht des Preisanstiegs, so haben sie jetzt auch nicht im gleichen Maße am Preisrückgang teil. Und selbst dann schwankt auch der Benzinpreis am Weltmarkt deutlich stärker als an der Tankstelle (vgl. Infografik). Indes: die Tendenz stimmt überein.
Offenkundig ist reichlich Rohöl vorhanden
An den Rohölmärkten herrscht zu diesem Zeitpunkt nur darüber Sicherheit, dass die seit Juli laufende Baisse in den vergangenen Wochen an Dynamik verloren hat. Die Notierungen bröckeln eher ab, als dass sie unablässig einbrächen. Dies könnte nach Ansicht technisch orientierter Analysten ein Hinweis darauf sein, dass die Verkäufer vorsichtiger werden und dass die Käufer angesichts des inzwischen erreichten Preisniveaus ihre Zurückhaltung aufgeben. Letztere haben sich in den vergangenen Monaten in Erwartung immer weiter sinkender Notierungen nur noch „von der Hand in den Mund“ versorgt.
Zu dieser Jahreszeit dreht sich die Diskussion am Ölmarkt meist wesentlich um die Versorgung während des Winters, wobei Heizöl zwangsläufig im Mittelpunkt steht. Obgleich es in Teilen Europas und Nordamerikas jetzt schon unverhältnismäßig kalt geworden ist, scheint das Thema unter Aspekten der Preisentwicklung kaum jemanden zu interessieren.
Offenkundig ist reichlich Rohöl auch der leicht zu verarbeitenden Sorten wie WTI und Brent aus der Nordsee vorhanden, so dass sich unter den Verbrauchern Sorglosigkeit breitmacht. Aus technischer Sicht wächst damit das Risiko unangenehmer Überraschungen, die deutliche Preissteigerungen auslösen könnten.
Grundstein für den nächsten Preisauftrieb wird schon gelegt
Eine Quelle für unwillkommene Überraschungen haben Fachleute bereits ausgemacht. Es sind die niedrigen Margen der Raffinerien bei der Verarbeitung von Rohöl. Schon seit einiger Zeit wird über Verluste beim Absatz von Benzin berichtet, die bisher noch durch Gewinne bei anderen Nachprodukten aufgefangen worden seien.
Es könne aber durchaus sein, dass auch die Margen beim Absatz dieser Nachprodukte wegen konjunkturell bedingt schwindender Nachfrage und zunehmenden Konkurrenzdrucks schrumpfen, heißt es. Daher sei ein weiterer Rückgang der Kapazitätsauslastung bei den Raffinerien möglich, was einerseits geringeres Angebot an Ölprodukten erwarten und andererseits geringere Nachfrage nach Rohöl bedeuten würde.
Experten geben in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass die Kosten der Raffinerien bei geringer werdender Kapazitätsauslastung überproportional steigen. Für die Zukunft ist das Entscheidende an diesem Prozess, dass Investitionen in Raffinerien nur noch zögernd vorangetrieben oder sogar auf Eis gelegt werden könnten. Dies würde nach dem Ende des laufenden konjunkturellen Abschwungs zu gravierenden Engpässen bei der Versorgung mit Nachprodukten führen.
Energieverschwendung könnte zunehmen
Längerfristig denkende Fachleute zeigen sich zudem besorgt darüber, dass die weit gesunkenen Preise für Rohöl und Ölprodukte den Zwang zum Energiesparen und zur Entwicklung beziehungsweise Erschließung alternativer Energiequellen schwinden lassen könnten.
Unter den gegebenen konjunkturellen Bedingungen sei es unwahrscheinlich, dass selbst die in diesem Bereich progressiven Länder weitere öffentliche Mittel zur Förderung alternativer Energien bereitstellen und Gesetze erlassen, die den Verbrauch von Öl und seinen Nachprodukten einschränken, um ihre Volkswirtschaften nicht noch stärker zu belasten.
Angebotsunsicherheiten
Sehr weit gehen die Ansichten darüber auseinander, in welchem Maße die gesunkenen Ölpreise die Förderung beeinträchtigen werden. Manche Produzenten erklären, sie würden die Förderung nicht drosseln und auch neue Projekte weiterverfolgen. Andere teilen mit, sie müssten ihre Produktion zurückfahren und neue Projekte aufschieben.
Mit besonderer Spannung verfolgen Fachleute, wie sich die Verarbeiter von Ölsand in Kanada verhalten. Es gilt als sicher, dass keines dieser Unternehmen zu den gegenwärtig herrschenden Ölpreisen noch rentabel arbeiten kann. Zur allgemeinen Produktionsentwicklung bei Öl heißt es, sie hänge nicht nur vom Ölpreis, sondern besonders davon ab, wie die Produzenten die Dauer der konjunkturellen Talfahrt und damit auch die ihrer Durststrecke einschätzen.
F.A.Z. Electronic Media GmbH 2001 - 2008
Dies ist ein Ausdruck aus www.faz.net. ----------- "Kaufen sie billig, verkaufen sie nie" Warren Buffett |