Interview mit Richard Hilmer "Höhenflug der Linken ist Ausdruck des Protestes" [Bildunterschrift: "Der Erfolg der Linken kam in diesem Ausmaß überraschend": Richard Hilmer] Seit Wochen befindet sich die Linkspartei in den Umfragen auf dem Höhenflug. Ob der Erfolg anhält, hänge auch davon ab, ob die Volksparteien es schaffen, die Wähler von ihrer Kompetenz zu überzeugen, sagt der Geschäftsführer von Infratest dimap, Richard Hilmer, gegenüber tagesschau.de. Und: Auch die Rechten verlieren Protestwähler an die Linke.
tagesschau.de: Herr Hilmer, erst vor zwei Monaten hat Oskar Lafontaine die Bildung eines Linksbündnisses angeregt. Seitdem legt die Linkspartei in den Umfragen rapide zu, im Osten ist sie sogar stärkste Kraft. Überrascht Sie dieser Erfolg?
Richard Hilmer: Es war schon vorhersehbar, dass die PDS/Linkspartei durch die Zusammenarbeit mit Lafontaine und der WASG profitieren würde. Das Ausmaß kam aber doch überraschend: Seitdem Lafontaine und Gregor Gysi das Zusammengehen von PDS und WASG verkündeten, haben sich die Werte für die PDS/WASG in der Sonntagsfrage fast verdreifacht.
Dass der Zusammenschluss die PDS nicht nur im Westen, wo sie bislang kaum über ein Prozent der Stimmen hinauskam, salonfähiger machen würde, war erwartbar. Überrascht hat allerdings, dass die Linkspartei dort auf Anhieb mit den Grünen und der FDP um den dritten Platz kämpfen würde. Am erstaunlichsten ist aber, dass die PDS durch den Schulterschluss mit der WASG auch im Osten so kräftig zugelegt hat.
tagesschau.de: Glauben Sie, dass dieser Höhenflug bis zum 18. September anhält?
Hilmer: Es wäre jedenfalls erstaunlich. Bei einer Bundestagswahl kam es den Wählern bislang vor allem darauf an, wer die künftige Regierung und damit auch den künftigen Kanzler stellt. Da keine Partei mit der Linkspartei koalieren will und sie sich selbst auch als Oppositionskraft versteht, käme die Entscheidung für PDS/WASG einem Verzicht auf die Mitsprache über die Zusammensetzung der nächsten Regierung gleich.
Die derzeit gemessenen Werte für die Linkspartei sind eher ein Ausdruck des Protests gegenüber den etablierten Parteien als ein Zeichen des Vertrauens in eine bessere Politik der Linkspartei. Selbst die eigenen Sympathisanten schreiben ihr in den entscheidenden Bereichen Wirtschaft und Arbeitsmarkt kaum Kompetenzen zu. In dem Maße, wie es den anderen Parteien - vor allem den beiden Volksparteien - im Wahlkampf gelingt, enttäuschte Wähler wieder von ihrer Kompetenz zu überzeugen, dürfte der Zuspruch für die Linkspartei wieder abnehmen.
tagesschau.de: Eine mögliche Koalition mit den Linken wird von führenden Sozialdemokraten und Grünen zur Zeit noch strikt abgelehnt. Gesetzt den Fall, ein rot-rot-grünes Bündnis wäre rechnerisch möglich und käme zustande, könnte eine solche Koalition auf Zustimmung beim Wähler hoffen?
Hilmer: Die große Mehrheit der Bevölkerung lehnt eine Beteiligung der Linkspartei strikt ab, zumindest im Westen. Das Meinungsbild in den neuen Bundesländern ist in dieser Frage gespalten.
tagesschau.de: Thema Ostdeutschland: Die Linke.PDS setzt auf das Thema Ostförderung und auf einen speziellen "Ostwahlkampf". Kommt das 15 Jahre nach der Einheit noch beim Wähler an?
Hilmer: Die Probleme, die Deutschland zu bewältigen hat, sind gesamtdeutsche Probleme. Das weiß auch die große Mehrheit der Bürger in Ost und West. Deshalb erwarten die Wähler von den Parteien Konzepte, die Deutschland insgesamt voranbringen. Da es aber spezifische Ausprägungen der Probleme in den alten und neuen Bundesländern gibt - Rückbau der Steinkohleförderung hier, Schaffung eines selbst tragenden Wirtschaftsaufschwungs dort, etc. - gibt es auch spezifische Erwartungen an die Politik. Die Parteien sind gut beraten, darauf mit entsprechenden Lösungsansätzen zu reagieren.
tagesschau.de: Vor nicht einmal einem Jahr zog die NPD in den sächsischen Landtag ein. Zur Bundestagswahl hat sie ihre Listen für ein Bündnis mit der DVU von Gerhard Frey geöffnet. Wo stehen die Rechten jetzt?
Hilmer: Rechtsradikale Parteien kommen bei der Sonntagsfrage derzeit zusammengenommen auf nicht einmal zwei Prozent der Wählerstimmen. Als klassische populistische Protestparteien leiden sie derzeit nicht zuletzt unter dem Erfolg der Linkspartei, die ihnen mit zum Teil gleich lautenden Forderungen das Wasser abgräbt.
Es gibt auch eine große Schnittmenge der Wählerpotenziale. So könnte sich jeder zweite Wahlberechtigte, der sich eine Stimmabgabe für eine rechtsradikale Partei vorstellen könnte, gleichzeitig auch vorstellen, PDS/WASG zu wählen. Der aktuell niedrige Wählerzuspruch für NPD, DVU und Republikaner lässt darauf schließen, dass die Linkspartei für diese Wähler tatsächlich derzeit deutlich attraktiver ist.
tagesschau.de: Woher kommen die Wähler der Linkspartei?
[Bildunterschrift: Wählerwanderungen zur Linkspartei (Deutschlandtrend Extra vom 21. Juli 2005)] Hilmer: Den Grundstock bildet mit etwa einem Drittel der alte PDS-Wählerstamm, in etwa gleicher Größenordnung sind frühere SPD-Wähler hinzugekommen, und gut jeder fünfte Sympathisant hat bei der letzten Wahl nicht gewählt.
tagesschau.de: Hat eine Linkspartei aus PDS und WASG dauerhaft eine Chance? Oder wird sie eher das Schicksal anderer nur kurzfristig erfolgreicher Protestparteien ereilen?
Hilmer: In den neuen Bundesländern ist die PDS seit Jahren schon eine bestimmende politische Kraft, was sie auch in den nächsten Jahren bleiben dürfte. Ob sich eine Partei links von der SPD auch im Westen auf Dauer halten kann, lässt sich aus heutiger Sicht nur schwer beantworten. Eine große Rolle dürfte dabei aber in jedem Fall die Rolle Lafontaines spielen und auch die Haltung der Gewerkschaften gegenüber dieser Partei.
tagesschau.de: Zum Abschluss noch eine Frage zu Ihrer Arbeit: Weichen Ihrer Erfahrung nach die Ergebnisse der "Sonntagsfrage" stark vom tatsächlichen Wahlergebnis ab?
Hilmer: Das kommt auf den zeitlichen Abstand zwischen der Erhebung und der jeweiligen Wahl an. In Zwischenwahlzeiten orientieren sich Parteipräferenzen sehr stark an aktuellen Entwicklungen und Ereignissen und sind deshalb zum Teil starken Schwankungen unterworfen. Hinzu kommt, dass sich immer mehr Wähler immer kurzfristiger entscheiden, welcher Partei sie ihre Stimme geben. Betrachtet man aber die letzten Jahre, so gaben die unmittelbar vor den Wahlen veröffentlichten Umfragen den Ausgang einer Wahl ziemlich korrekt wieder.
Äußerst präzise geben dagegen die 18.00-Uhr-Prognosen, die auf Befragungen unmittelbar am Wahltag basieren, Aufschluss über den Wahlausgang. Hier bewegen sich die Abweichungen für die einzelnen Parteien im Schnitt bei weniger als einem halben Prozentpunkt.
Die Fragen stellte Kristina Kaul, tagesschau.de
Stand: 29.07.2005 09:25 Uhr .. |