Dietz' Doping-Geständnis Die Epo-Dosen kamen per Post
| Amateur-WM 1993: Bert Dietz am Hinterrad von Jan Ullrich | 22. Mai 2007 Ex-Radprofi Bert Dietz hat mit seinem mutigen Doping-Geständnis eine Lawine ausgelöst. Einen Tag nach der Beichte des ehemaligen Telekom-Fahrers in der ARD-Sendung „Beckmann“ kündigte das Nachfolge-Team T-Mobile am Dienstag erste Konsequenzen an. Dietz, von 1994 bis 1998 Mitglied des Telekom-Teams, hatte neue konkrete Vorwürfe gegen die Teamärzte Lothar Heinrich und Andreas Schmid von der Freiburger Uni-Klinik, gegen die bereits die Staatsanwaltschaft ermittelt, erhoben.Zum Ende der Saison werde Freiburg nicht mehr zuständig sein für die sportmedizinische Betreuung, sagte der Kommunikationschef von T-Mobile, Christian Frommert. Er bekräftigte er, dass ein Ausstieg der Telekom aus dem Radsportsponsoring aber nicht in Frage komme. Schon vor einigen Monaten hatte sich T-Mobile bis 2010 als Sponsor beim Team verpflichtet. Godefroot habe den Geldfluss geregelt | Bert Dietz: „Sie haben es angeboten... Es war schon eindeutig” | Allerdings muss sich Ex-Profi Rolf Aldag, zu Dietz' Zeiten beim Team Telekom an der Seite von Jan Ullrich, Bjarne Riis und Erik Zabel, womöglich auf harte Zeiten vorbereiten. „Auch mit Rolf werden wir reden und dazu konkrete Aussagen machen, wenn es soweit ist“, erklärte Frommert. Aldag, der zuletzt geleugnet hatte, von der offensichtlich Flächen deckenden Doping-Praxis im Team in den 90er Jahren etwas mitbekommen zu haben, wurde für den Neuanfang nach dem Ullrich-Eklat vor der Tour de France 2006 zum Teamchef der „neuen“ T-Mobile-Mannschaft gemacht. Heinrich, dem Dietz in der ARD-Sendung Beckmann“ wie zuvor der Ex- Betreuer Jef d'Hont aktives Doping vorwarf, wurde an die Spitze der neuen, strengen Anti-Doping-Bewegung im Bonner Team gestellt. Anders als vor knapp zwei Monaten ein stammelnder und sich in Widersprüche verwickelnder Ullrich, waren die Aussagen des mittlerweile 38-jährigen Dietz am Montagabend bei Beckmann von anderem Kaliber. Dietz fordert Amnestie | Bert Dietz: "Wirkungen und Nebenwirkungen" | „Wenn sie vor Ort waren“ hätten die Ärzte Epo, für ihn seit 1995 fast eine Selbstverständlichkeit wie Massage und Training, „selbst gespritzt“. Die Epo-Dosen seien zum Teil direkt von der Freiburger Klinik per Post bei Dietz eingetroffen, „oder durch die Pfleger“. Heinrich und Schmid hätten den Epo-Gebrauch „angeboten, aber natürlich in so einer Form, dass jeder wusste: wenn ich es jetzt nicht nehme, habe ich wahrscheinlich am Jahresende so schlechte Ergebnisse, dass mein Vertrag nicht verlängert wird“, sagte Dietz, der eine Amnestie forderte, um dem Radsport wirkungsvoll zur radikalen Umkehr bewegen zu können. Mit Fingern auf andere zeigen - das wolle er nicht. Aber bei seinen Schilderungen ist schwer vorstellbar, dass der „kleine Profi“ Dietz mit relativ bescheidenen Erfolgsaussichten der einzige im Team gewesen sein soll, dem das Blut-Doping-Mittel Epo verabreicht worden war. Der jetzige Fahrrad-Händler aus Leipzig, der sich nie für das Tour-Team qualifizieren konnte, berichtete zudem, dass er seine Drogen-Kuren selbst bezahlen musste: „1995 so um die 5000 Mark.“ Der damalige Manager Walter Godefroot, jetzt hochrangiger Berater des neuen kasachisch-schweizerischen Astana-Teams mit Andreas Klöden und Alexander Winokurow an der Spitze, hätte den Geldfluss für die Doping-Präparate geregelt. Lob von Jörg Jaksche Im Trainingslager 1995 auf Mallorca hätten Heinrich und Schmid zum ersten Mal über das Thema Doping geredet. Im Folgejahr war beim Team Telekom eine Leistungs-Explosion, die in dem Toursieg des Dänen Bjarne Riis gipfelte, zu verzeichnen gewesen. 1997 gewann Ullrich, gegen den inzwischen zwei Staatsanwaltschaften ermitteln, als erster Deutscher das schwerste Radrennen der Welt. Dietz, der für seinen TV-Auftritt auch Lob des ebenfalls Doping- verdächtigten Ex-Telekom-Profis Jörg Jaksche erhielt, verdeutlichte die Zwickmühle, in der sich die Profis drehten: Der Sponsor fordert Erfolg. Wenn der sich nicht einstellt, kann die Zukunft des Teams auf dem Spiel stehen oder der persönliche Vertrag disponibel werden. „Der Druck besonders als Familienvater war enorm. Ich hatte anfangs nur einen Ein-Jahres-Vertrag“, sagte Dietz. Gesetz des Schweigens und Wegschauens „Das klang ehrlich und er hat klar gemacht, dass wir das schwächste Glied in einer Kette sind. Fahrer werden gekündigt oder suspendiert, während andere sich weiterhin den Hintern im Begleitwagen platt sitzen dürfen“, sagte der Ansbacher Jaksche, der am Mittwoch in Frankreich bei der Tour de Lorraine sein Debüt für sein neues Tinkoff-Team geben soll, nachdem ihn die Mannschaft wegen seiner Verwicklungen in die Doping-Affäre Fuentes vor dem Giro-Start vorübergehend suspendiert hatte. „Wer noch im System ist, kann sich nicht outen, ohne direkt seinen Job zu riskieren“, sagte Dietz und nannte damit den Hauptgrund für das eiserne Radsport-Gesetz des Schweigens und Wegschauens. Dietz fordert für den dringend erforderlichen Neuanfang des verseuchten Radsports eine Amnestie, mit kompletter Aufarbeitung der Vergangenheit ohne Strafe-Androhung. Dem stimmte auch Jaksche zu: „Dazu bräuchten wir eine Art Friedensrichter.“ Text: FAZ.NET Bildmaterial: dpa, picture-alliance / dpa, Roth |