Rauswurf reicht Opposition nicht
Wulff: „Die Bundesagentur löst keine Probleme“
Den Kritikern der Bundesagentur für Arbeit geht die Entlassung von Florian Gerster nicht weit genug. Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) forderte eine radikale Reform der Arbeitsvermittlung. Die BA sei das größte Problem bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, sagte Wulff der „Bild am Sonntag“. „Die Bundesagentur löst keine Probleme, sondern stellt mit ihrer zentralen, verkrusteten Struktur selbst das größte Problem dar.“
Nach Auffassung des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelles ist die Nürnberger Mammutbehörde überhaupt nicht reformierbar und soll stattdessen aufgelöst und in kleinere, regionale Einheiten aufgegliedert werden.
Opposition spricht von „Bauernopfer“
Westerwelle hatte den Abgang Gersters schon zuvor als „Bauernopfer“ bezeichnet. „Der Reformer muss gehen, die Blockierer dürfen bleiben.“ Gerster habe Fehler gemacht, aber ihm seien bei seiner Reformarbeit ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen worden.
Clement in der Kritik
Nach der Entlassung Gersters hat die Opposition schwere Vorwürfe gegen Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) erhoben. Es stelle sich die Frage, ob Clement bei der Rechtsaufsicht „schlampig gearbeitet hat oder ob hier etwas vertuscht wird“. Die Regierung müsse noch in dieser Woche vor dem Parlament für Klarheit sorgen, verlangte FDP-Vize Rainer Brüderle in der „Welt am Sonntag“. Sonst sei die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zwingend. „Kanzler Gerhard Schröder und Clement können sich nicht hinter einem Bauernopfer verstecken.“
CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer sagte: „Endlich wird unter den Skandal Gerster bei der Bundesagentur ein Schlussstrich gezogen.“ Clement warf er vor, durch sein Zögern entscheidenden Anteil an der Dauer der Krise gehabt zu haben. Der Minister habe „dafür gesorgt, dass die Affäre Gerster die deutsche Arbeitsverwaltung in die größte Krise ihrer Geschichte geführt hat“, sagte Meyer.
Gerster arbeitslos
Unmittelbar nach dem Misstrauensvotum des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit hatte Clement Behörden-Chef Gerster am Samstagabend entlassen. Der Minister begründete seine Entscheidung mit dem gestörten Vertrauensverhältnis zwischen dem Verwaltungsrat und Gerster. Er betonte, das Wichtigste sei die Fortsetzung des Reformprozesses der Bundesagentur für Arbeit. Für die Suche eines Nachfolgers bleibe eine Frist von vier Wochen.
„Es geht um die Besten, die wir finden können, sagte Clement.“ Die Geschäfte würden bis zur Neubesetzung von den anderen Vorstandsmitgliedern geführt. Zugleich würdigte der Minister den Anteil Gersters am Umbau der BA. Er forderte die Beteiligten auf, sich nach der Unruhe der vergangenen Wochen nun wieder auf die Arbeitsmarktreformen zu konzentrieren.
„Es hat viel drumherum stattgefunden“
Clement sieht den entlassenen BA-Chef als Opfer einer Kampagne. Opposition, Medien, Justiz und Mitarbeiter der Bundesagentur hätten auf Gersters Sturz hingearbeitet. „Es hat viel drumherum stattgefunden“, beklagte Clement am Samstagabend im ZDF-"heute journal“.
So habe etwa die Union mit einem Untersuchungsausschuss gedroht. Auch die Medien hätten mit ihren ständigen Fragen nach Gersters Ablösung „ihren Teil daran“, dass es nun so gekommen sei. Kritik übte Clement außerdem an der Nürnberger Staatsanwaltschaft, die am Samstag in einem Interview erklärt hatte, seit Dezember laufe gegen Gerster ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Untreue. Das sei „ungewöhnlich auf den Punkt gekommen“.
Kritisch äußerte sich der Minister auch über das Verhalten einiger Mitarbeiter der Bundesagentur, denen die neue Ausrichtung der Behörde offensichtlich nicht passe. „Da ist indiskretioniert worden auf Deubel komm 'raus.“
20:1 gegen Gerster
Zuvor hatte der Verwaltungsrat der BA sich nach einer mehrstündigen Sondersitzung für eine Trennung von Gerster ausgesprochen.
Die Vorsitzende des Gremiums, die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer, las einen Beschluss des Verwaltungsrates vor, wonach dieser „eine Störung des Vertrauensverhältnisses“ festgestellt hat. Das Ergebnis der geheimen Abstimmung sei im Verhältnis 20:1 gegen Gerster ausgefallen.
Engelen-Kefer sagte, der Umbauprozess der Bundesagentur sei nach Einschätzung des Verwaltungsrates durch „eigenes Handeln“ des Vorstandsvorsitzenden Gerster gestört worden. Gerster als Person schade dem Reformprozess inzwischen mehr als dass er nutze, sagte Engelen-Kefers Stellvertreter Peter Clever, der für die Arbeitgeber im Präsidium des Verwaltungsrates sitzt.
14 Beanstandungen, davon zwei gravierende
Gerster war wegen nicht korrekt ausgeschriebener Beraterverträge in die Kritik geraten. Eine interne Revision habe ergeben, dass von 49 Verträgen 27 in nichtöffentlicher Ausschreibung vergeben worden seien, sagte Clever. Davon seien 13 überhaupt nicht zu beanstanden. Bei den übrigen 14 gebe es Beanstandungen, allerdings in sehr unterschiedlichem Umfang. In zwei Fällen seien gravierende Verstöße gegen das Vergaberecht festgestellt worden.
Bei den beiden umstrittenen Verträgen handelt es sich nach Angaben der BA um Vereinbarungen mit IBM Business Consulting Services über eine Volumen von 684 000 Euro und mit der Firma Roland Berger über 625 625 Euro. Roland Berger sollte die BA bei der Neuausrichtung der Kindergeldabteilung und der Arbeitsmarktinspektion unterstützen. Dabei habe die Innenrevision auch die Erweiterung des Roland-Berger-Vertrags mit einem Volumen von knapp 400 000 beanstandet.
Bei zehn der 14 kritisierten Verträge stellte die Innenrevision nach BA-Angaben dagegen nur formale Fehler bei der Umsetzung des Vergaberechts fest. So werde beispielsweise beanstandet, der Vorstand oder die zuständigen Abteilungen hätten nicht in allen Fällen ausreichend begründet, warum die BA bei der Auftragsvergabe von der Regel des Offenen Verfahrens abgewichen sei. Bei allen diesen Kontrakten handele es sich um Aufträge im Bereich der Informationstechnologie.
Auch ohne Job Auskommen gesichert
Als Ersatz für Gerster wird in Regierungskreisen Vorstandsmitglied Frank-Jürgen Weise favorisiert, wie FOCUS berichtet. Weise solle bis auf Weiteres die Geschäfte führen und komme auch als Dauerlösung in Betracht.
Trotz der Ablösung erhält Gerster FOCUS zufolge weitere drei Monate sein volles monatliches Gehalt von 20 833 Euro brutto. Danach gibt es 35 Monate lang, bis zum ursprünglich vorgesehenen Ende seiner fünfjährigen Amtszeit, noch halbe Bezüge von 10 416 Euro im Monat. Daraus ergibt sich eine Gesamtabfindung von knapp 430 000 Euro. 25.01.04, 13:40 Uhr http://news.focus.msn.de/G/GN/gn.htm?snr=128975&streamsnr=7&q=1 |