;-) „Zur Hölle mit der Demokratie“ Die sonst nicht zimperlichen britischen Medien haben im Konflikt um die Mohammed-Karikaturen erstaunliche Zurückhaltung demonstriert. Und die Regierung Blair treibt die Angst um vor neuen Terroranschlägen Von Jürgen Krönig Dieses Thema wird von den ZEIT online-Lesern intensiv diskutiert Hassverzerrt waren die Gesichter der muslimischen Demonstranten, die am Wochenende vor der dänischen Botschaft in London aufzogen, dräuend ihre Plakate und Slogans: "Zur Hölle mit der Demokratie", "köpft", "massakriert", "vernichtet" jene, die den Islam beleidigen; auch gereimt wurde auf einigen Plakaten: "Britain will pay - 7/7 is on its way", Großbritannien werde mit neuen Selbstmordanschlägen zu "bezahlen" haben. Die Kalifatspartei Hizb ut - Tahrir, in diversen Ländern Europas verboten, auf der Insel immer noch unbehelligt, war maßgeblich an der Inszenierung der Proteste beteiligt. Trotz der hetzerischen Tiraden und den Aufrufen zu Terror und Mord griff die Polizei nicht ein; was nun mit Empörung registriert wird. Schließlich steht auch in Großbritannien, einem Land mit einer ausgeprägten Tradition von Meinungsfreiheit, die Aufhetzung zu Mordtaten unter Strafe.
Die britische Presse, nicht gerade als zimperlich bekannt, hatte im weltweiten Konflikt um die Mohammed-Karikaturen erstaunliche Zurückhaltung demonstriert. Keine einzige Zeitung veröffentlichte die Abbildungen. Die Sun, größtes Massenblatt des Landes, sprach im Grunde für alle Gazetten: Gewiss müsse das Recht auf Meinungsfreiheit unbedingt verteidigt werden. Doch nachzuziehen und die kontroversen Abbildungen nachträglich zu veröffentlichen, sei unnötig. Muslime könnten dies zu Recht als beleidigend empfinden. Die BBC dagegen, normalerweise äußerst penibel auf politische Korrektheit bedacht, präsentierte die Karikaturen in ihren Fernsehnachrichten, indem sie die Seiten der entsprechenden europäischen Zeitungen kurz ins Bild rückte - im "Interesse des Kontextes", ansonsten könnten die Zuschauer die Hintergründe des Aufruhrs nicht verstehen. Diese journalistische Sorgfaltspflicht heimste der BBC aus muslimischen Kreisen die Drohung einer Fatwa ein, ähnlich der gegen Salman Rushdie, dem Autor der Satanischen Verse. Inzwischen hat sich der Sender öffentlich entschuldigt.
Fanatismus und Maßlosigkeit der muslimischen Reaktion stoßen sich hart im Raum mit dem britischen Bemühen, alles zu tun, um den Konflikt zu entschärfen und eine Eskalation zu vermeiden. London war sogar bereit, eine gewisse Distanz zu anderen europäischen Regierungen in Kauf zu nehmen. Während Paris und Berlin das Recht auf Meinungsfreiheit unterstreichen, betont der britische Außenminister Jack Straw die "Verantwortung", die mit dieser Freiheit verbunden sei und hat die Entscheidung europäischer Zeitungen kritisiert, die dänischen Karikaturen zu publizieren. London treibt die Sorge um, die eigene muslimische Minderheit könne sich noch stärker provoziert und "diskrimiert" fühlen als es ohnehin ständig der Fall zu sein scheint. Man kann es auch anders ausdrücken: Die Regierung Blair treibt die Angst um vor neuen Terroranschlägen. Die Lage gilt nach den Terrorakten vom Juli 2005 als äußerst gespannt. Eine Frage der Zeit sei es nur, bis muslimische Selbstmordbomber erneut zuschlagen würden, hieß es gerade erst in einem Untersuchungsbericht. Um die britischen Muslime zu besänftigen, war die Labourregierung sogar bereit, ein fragwürdiges Gesetz zu verabschieden, das die Anstiftung zu "religiösem Hass" unter Strafe stellt. Muslimische Kreise hatten darauf gedrängt. Mit einer Stimme Mehrheit wies das Unterhaus vergangene Woche den Entwurf der Regierung zurück und verabschiedete ein stark abgeschwächtes, beinahe zahnloses Gesetz. Die Abgeordneten folgten damit den Einwänden von Künstlern, Intellektuellen und Literaten, die das Gesetz als gefährlichen Anschlag auf die Freiheit gebrandmarkt hatten.
In Großbritannien steht man vor dem gleichen Dilemma wie anderswo in Europa: Das Konzept westlicher Freiheit, mitsamt des Rechtes, Religionen verspotten und beleidigen zu dürfen, wird von den meisten Muslimen weder verstanden noch akzeptiert. Deshalb die Forderung aus islamischen Ländern, europäische Regierungen mögen sich für redaktionelle Entscheidungen entschuldigen, deshalb der absurde Appell aus Saudi Arabien, der Papst möge solche Veröffentlichungen untersagen, deshalb der kollektive Schuldspruch, der über europäische Staaten verhängt wird.
Maßlosigkeit und Fanatismus der islamischen Reaktion erschrecken nun auch jene linksliberalen Kreise in Großbritannien, die instinktiv zu multikultureller Beschwichtigung tendieren, die andererseits nichts dabei finden, das Christentum bei jeder sich bietenden Gelegenheit genüsslich mit blasphemischen Attacken zu überziehen. Ein Beispiel lieferte im letzten Jahr die Jerry Springer Oper, in der ein schwuler Jesus in Windeln über die Bühne tanzte. Das Stück lief monatelang im Londoner Westend und wurde von der BBC ausgestrahlt, ungeachtet zahlreicher, allerdings friedlicher christlicher Proteste. Offenkundig schockiert über den Fanatismus, der in der islamischen Welt von Klerikern systematisch geschürt wird, befand der linksliberale Guardian in seinem Leitartikel am Wochenende, die Reaktion in muslimischen Ländern sei "maßlos" und stehe in keinerlei Verhältnis zu jeglicher Beleidigung, "ob eingebildet oder real".
Eines lässt sich nicht übersehen: In der islamischen Welt werden andauernd garstigste Bilder antisemitischen und antichristlichen Charakters verbreitet. Ganz abgesehen von der notorischen Missachtung von Menschenrechten und Bürgerfreiheiten in diesen Ländern. Freie Rede aber ist das Fundament einer freien Gesellschaft. Ohne das Recht darauf kann Freiheit nicht existieren. Aus gutem Grund mag man mehr Selbstdisziplin anmahnen für multiethnische und multireligiöse Gesellschaften, wie sie sich in Großbritannien und anderen europäischen Ländern in den vergangenen Dekaden herausgebildet haben. Auch ist nichts einzuwenden gegen die Forderung nach einem "verantwortlicheren" Umgang mit dem Recht der Meinungsfreiheit, auch wenn man zumeist dann danach verlangt, wenn Auffassungen und Glaubenssätze verspottet oder verunglimpft werden, die einem selbst besonders am Herzen liegen. Am Ende geht es in diesem Konflikt um einen Wert, der für die westliche Zivilisation essenziell und damit unverzichtbar ist. Wer dies nicht begreift, hat die Lektionen der Geschichte nicht verstanden. Totalitäre Herausforderungen lassen sich durch Appeasement, durch Beschwichtigung, nicht friedlicher stimmen. Die totalitären Gegner der Freiheit setzen darauf, dass sich demokratische Gesellschaften einschüchtern lassen. Weicht man zurück, werden sie nur zu weiterer Aggression ermuntert. Würde es heute ein westlicher Verleger noch wagen, die Satanischen Verse Salman Rushdies zu publizieren?
ZEIT online, 6.2.2006 |