Verdi beschuldigt nach Lidl auch Schlecker – Minister Seehofer fordert neues Schutzgesetz
Ist die Spitzel-Affäre beim Lebensmittel-Discounter Lidl nur die Spitze eines Eisbergs? Nach Einschätzung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ist die Überwachung von Angestellten bei zahlreichen Firmen an der Tagesordnung.
Achim Neumann, Handelssekretär des Verdi-Bezirks Berlin-Brandenburg, zu BILD am SONNTAG: „Viele Discounter überwachen ihre Mitarbeiter. Wir dürfen gesichert annehmen, dass zum Beispiel auch Schlecker seine Mitarbeiter durch Überwachung einschüchtert.“
Das Problem sei allerdings die Beweisführung. Neumann: „Die Mitarbeiter, die mit ihren Schilderungen zu uns kommen, haben, wenn sie sich offenbaren, Angst, ihren Job zu verlieren.“
Wie geht Schlecker konkret vor?
Neumann: „Dort spähen schon mal Detektive und Sicherheitskräfte durch Lochwände stundenlang in die Verkaufsräume. Angeblich zum Schutz vor Ladendieben. Aber Mitarbeiter berichten, dass dadurch ja auch ihr persönliches Verhalten und ihre Leistung ausgespäht und überwacht wird.“
Schlecker äußerte sich gestern auf Anfrage von BILD am SONNTAG nicht zu den Vorwürfen.
Diese Woche war bekannt geworden, dass Lidl mit Detektiven Beschäftigte in zahlreichen Filialen systematisch überwacht haben soll. Mit Überwachungskameras sei unter anderem registriert worden, wann und wie häufig Mitarbeiter auf die Toilette gehen.
Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) fordert angesichts der Lidl-Affäre einen schärferen gesetzlichen Schutz von Mitarbeitern.
Seehofer zu BILD am SONNTAG: „Der Vorfall macht deutlich, dass wir in Deutschland ein eigenes Arbeitnehmer-Datenschutzgesetz brauchen. In Zeiten der neuen technischen Möglichkeiten ist ein solches Gesetz ohnehin längst überfällig.“
Zudem sei eine exemplarische Geldbuße unvermeidlich. Seehofer: „Die zuständigen Behörden sind hier aufgefordert, mit der vollen Härte des Gesetzes, eine Strafe zu wählen, die von Großunternehmen nicht aus der Portokasse bestritten werden kann.“
Der CSU-Vizechef übte scharfe Kritik an den Vorgängen: „Die Überwachungsmethoden von Lidl sind unwürdig und mit den Grundwerten unserer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung nicht in Einklang zu bringen.“ Das Vorgehen von Lidl sei inakzeptabel.
Seehofer: „Die scheinbar systematische Bespitzelung von ahnungslosen Mitarbeitern erinnert an Methoden, die man in Deutschland längst überwunden glaubte.“
Auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil kritisierte Lidl scharf, sagte BILD am SONNTAG: „Wie hier die Würde von Arbeitnehmern verletzt wurde, ist widerlich. Mitarbeiter wurden wie Knechte behandelt.“
Heil legte den Verbrauchern nahe, nicht mehr bei Lidl einzukaufen. „Ich bin vorsichtig mit Boykottaufrufen. Aber es sollte die Verbraucher schon interessieren, ob die Menschen in einem Laden nur Jobs haben oder gute Arbeit, von der sie leben können, die nicht krank macht und die Würde der Beschäftigten wahrt.“ |