Was kostet die Erweiterung und was bringt sie uns?
Kaum ein Thema im Zusammenhang mit der Erweiterung der Europäischen Union (EU) wird so häufig diskutiert wie die Frage der möglichen Kosten. In Deutschland haben viele Menschen Sorge, die Erweiterung der EU könnte am Ende zu einem Ressourcentransfer in Höhe jener Mittel führen, die seit 1990 für die neuen Bundesländer aufgebracht werden. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands nun auch noch die Vereinigung Europas? Und dies auf Kosten der Deutschen?
Die wichtigste Antwort ist eindeutig: Anders als nach der Wiedervereinigung Deutschlands haben die Menschen der EU-Kandidatenländer auch nach dem Beitritt zur Europäischen Union keine Möglichkeit, auf unsere deutschen Sozialsysteme - Renten, Arbeitslosengeld etc. - zurückzugreifen. Daher können die Kosten der Erweiterung der EU niemals mit den Kosten der Wiedervereinigung DEutschlands verglichen werden.
Die Diskussion ist verständlich, wenngleich sie sachlich geführt werden muss. Darüber hinaus konzentrieren sich die Fragen auf drei Themenkomplexe:
Wie hoch sind die öffentlichen Transferzahlungen aus den Haushalten der EU beziehungsweise ihrer heutigen Mitgliedstaaten?
Welche Auswirkungen hat die Erweiterung auf die Arbeitsmärkte in den heutigen Mitgliedstaaten, vor allem in jenen, die wie Deutschland und Österreich unmittelbar an einzelne Kandidatenländer angrenzen?
Wird es zu größerer Einwanderung aus den Kandidatenländern in die heutigen EU-Mitgliedstaaten kommen, und kann dies zu Lohnsenkungen und Einschränkungen der sozialstaatlichen Leistungen gegenüber den eigenen Bürgern führen?
Eine Antwort muss vor allem festgehalten werden:
BORDER=0> Deutschland profitiert aufgrund seiner Lage im Zentrum Europas in besonderer Weise von der Erweiterung der EU nach Osten und Südosten. |
Als stark außenwirtschaftlich orientiertem Land kommt Deutschland die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den Kandidatenländern besonders zugute. Wenn sie Mitglied der EU geworden sind, steigen Deutschlands Wettbewerbschancen auf einem größer gewordenen Markt mit einheitlichen Rechtsregeln. Das sichert und schafft auch Arbeitsplätze in Deutschland.
Die vom http://www.eiz-niedersachsen.de/themen/eu-rat.htm" TARGET="_new" rel="nofollow">Europäischen Rat unter deutscher Präsidentschaft 1999 beschlossene »AGENDA 2000« hat unter anderem die Kosten im Zusammenhang mit der bevorstehenden EU-Erweiterung für den Zeitraum 2000 bis 2006 präzise definiert und unveränderbar festgelegt.
BORDER=0> Insgesamt stellt die EU für diesen Zeitraum rund 80 Milliarden Euro aus ihrem Haushalt zur Verfügung, davon 22 Milliarden Euro für so genannte Vor-Beitrittshilfen und 58 Milliarden Euro für Ausgaben nach einem eventuellen Beitritt vor 2006. |
Die Regierungen der EU haben also schon 1999 vorsorglich dem UMstand REchnung getragen, dass es bereits vor dem Ende der derzeitig gültigen Budgetaufteilung 2006 neue EU-Mitgliedstaaten geben wird.
Die 1999 in Berlin beschlossene finanzielle Vorausschau bis 2006 bleibt weit unterhalb des maximalen Ausgabenvolumens (Eigenmittelobergrenze) von 1,27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU für die gesamte EU einschließlich der Beitrittskandidaten.
BORDER=0> Bruttoinlandsprodukt
Die Zusammenfassung des Wertes aller produktiven Leistungen, die von sämtlichen im Inland aktiven Produktionsfaktoren erbracht werden. Nicht unterschieden wird dabei, ob dieses Produkt von Inländern oder Ausländern erzeugt wird. |
Ab 2005 wird es zu neuen Verhandlungen über die Festlegung des Budgetrahmens der EU für die Jahre nach 2006 kommen, wobei wiederum mit einem mehrjährigen Zeitraum zu rechnen ist. Welche Ausgaben dann für die neuen Mitgliedsländer der EU vorgesehen sein werden, wird vom Grad der bis dahin erreichten Reformfortschritte in den neuen Mitgliedsländern der EU, aber noch mehr von den Auswirkungen weiterer Begrenzungen in den Ausgaben der EU für die heutigen Unionsstaaten, vor allem in den Bereichen der Struktur- und der Agrarpolitik, abhängen.
Immer wieder ist im Zusammenhang mit der »AGENDA 2000« kritisch angemerkt worden, dass die Reformaufgaben in den Kandidatenländern ein Mehrfaches an Mitteln gegenüber den bis 2006 zur Verfügung stehenden 80 Milliarden Euro erfordern. Aber: Die Hauptlast tragen die Beitrittsländer. Es wäre daher unzureichend, allein auf die öffentlichen Transfermittel zu schauen, um eine Gesamtanalyse der Situation zu versuchen. Innerhalb der kommenden Jahre wird das Wirtschaftswachstum in den Kandidatenländern weiter anhalten.
BORDER=0> Ökonomen erwarten in den Kandidatenländern bis zum Jahr 2010 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 4,5 bis 5,5 Prozent jährlich. |
Die allgemein als günstig angesehene wirtschaftliche Entwicklung in den jetzigen Kandidatenländern wird dafür sorgen, dass ihr Bedarf an zusätzlichen Ressourcentransfers aus dem Budget der EU nicht erheblich wachsen wird, sondern sich auch nach 2006 in Grenzen halten lässt.
In die Berechnung von Kosten und Nutzen der Erweiterung muss die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung in den Kandidatenländern einbezogen werden - nicht nur im Blick auf mögliche Folgen für den Haushalt der Europäischen Union. Angesichts der zunehmenden Wirtschaftskraft in den Kandidatenländern werden die Volkswirtschaften der heutigen Mitgliedstaaten - vor allem derer, die in besonderer Weise mit den Kandidatenländern verbunden sind - von den dortigen Reformfortschritten profitieren.
BORDER=0> Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von Wachstumseffekten für die heutigen Mitgliedstaaten und berechnen diese für Deutschland und Österreich - als die beiden Länder mit unmitelbaren Grenzen an die Reformstaaten - je nach Studie auf 0,5 bis ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts. |
Nach Abzug der Kosten - zum Beispiel für die Strukturfonds, die Agrarpolitik und spezifische Heranführungs- bzw. Beitrittshilfen - entstehen für Deutschland und Österreich, jeweils geschätzt, Wohlfahrtsgewinne zwische 0,1 und 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Auf unterschiedliche Weise ist die Erweiterung gerade für die deutsche Volkswirtschaft, aber auch für die EU insgesamt, eine große Chance. Für die deutsche Wirtschaft wird dadurch der Zugang zu den Wachstumsmärkten in den Kandidatenländern verbessert und berechenbarer. Dies sichert und schafft auch in Deutschland Arbeitsplätze. Vor allem, weil sich der Außenhandel in den Kandidatenländern fast vollständig auf die EU hin orientiert hat. Dass fast alle der Kandidatenländer, wie die EU in ihren regelmäßigen "Fortschrittsberichten" festgestellt hat, funktionierende Marktwirtschaften sind - lediglich Länder wie Bulgarien und Rumänien haben noch Nachholbedarf -, verstärkt die Chancen der deutschen Wirtschaft auf diesen Märkten.
In Deutschland sind seit 1990 regelmäßig Handelsbilanzüberschüsse in den Wirtschaftsbeziehungen mit den Kandidatenländern zu verzeichnen. Dies bedeutet auch einen Zugewinn an Arbeitsplätzen in Deutschland. Schon heute sichert der Handel mit den Kandidatenländern jeden zehnten Arbeitsplatz in Deutschland, der vom Export abhängig ist. Nach Schätzungen von Ökonomen sichern die Handelsbilanzüberschüsse bereits heute rund 77.000 Arbeitsplätze in Deutschland, 114.000 sind es in der gesamten EU.
Alle Experten gehen davon aus, dass die weitere wirtschaftliche Entwicklung in den Kandidatenländern die Nachfrage nach Investitions- und Konsumgütern aus Deutschland und anderen der heutigen Mitgliedstaaten weiter steigen lässt. Damit werden auch die positiven Beschäftigungseffekte bei uns weiter steigen.
Deutschlands Handel mit den Kandidatenländern ist in den vergangenen Jahren um jeweils rund 20 Prozent gestiegen. Die Einfuhren aus den Kandidatenländern beliefen sich (Stichjahr 1999) auf ca. 37,5 Milliarden Euro, die Ausfuhren aus Deutschland auf ca. 42,2 Milliarden Euro. Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren weiter verstärken.
BORDER=0> In besonderer Weise profitiert Deutschland vom Handel mit Polen. Polen ist der größte Handelspartner Deutschlands unter den Kandidatenländern. |
Die Produktionsstrukturen in der EU und in den Kandidatenländern haben während der neunziger Jahre eine immer größere Komplementarität erreicht, das heißt sie ergänzen sich und beziehen sich dadurch immer besser aufeinander: Während die eher kapitalintensiven Produktionen in der EU erfolgen, finden arbeitsintensivere Produktionen vermehrt in den Kandidatenländern statt. Niedrigere Lohnkosten als in der EU und zugleich ein großes Potenzial qualifizierter Fachkräfte bieten Unternehmen aus der EU Anreize, ihre Produktion in die Kandidatenländer zu verlagern.
In anderen Branchen sichern aber gerade die Unterschiede in der Lohnstruktur Arbeitsplätze in Deutschland, indem Teile der arbeitsintensiveren Produktionsprozesse in die Kandidatenländer verlagert werden und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens insgesamt gesichert und verbessert wird.
Dies gilt beispielsweise für deutsche Werften, die bestimmte Fertigteile kostengünstig in Polen produzieren. In einem solchen Falle ist die Verlagerung der Produktion in ein Kandidatenland geradezu eine Vorbedingung für den Erhalt von Arbeitsplätzen bei uns.
Insgesamt ist es zweifellos zum Nutzen aller Beteiligter, wenn sich die Handelsbeziehungen zwischen der heutigen EU und den Kandidatenländern weiter ausdehnen.
Quelle und weitere Informationen zum Thema:
Die Europäische Union - Fragen zur Erweiterung
Gemeinsame Broschüre des Auswärtigen Amts und der
Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland
November 2001 |
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