Kommentar
Politik der harten Hand Warum der Kanzler trotz der Massenproteste gegen Hartz IV standhaft bleiben sollte. Von Ulrich Schäfer
Gerhard Schröder ist am Mittwoch aus dem Urlaub zurückgekehrt. Damit es alle merken, hat er als Erstes seine wichtigsten Minister ins Kanzleramt einbestellt. Es ging natürlich um Hartz IV. Die Botschaft, die die PR-Strategen der Regierung verbreiten wollten, ist klar: Schröder kümmert sich um die Nöte der Menschen und greift ein – wenn es sein muss. Die Frage ist bloß: Muss es sein? Ist die Arbeitsmarktreform tatsächlich so missraten, dass nun über allerlei Korrekturen nachgedacht wird? Und vor allem: Sind diese Korrekturen sinnvoll?
Die Eile, mit der Schröder das Treffen einberufen hat, lässt Schlimmes befürchten. Allzu schnell folgt es auf die Montagsdemonstrationen. Allzu schnell beugt Rot-Grün sich dem Druck der Boulevardmedien, die aus Falschem eine Kampagne gemacht hatten: Die bunten Blätter beklagten, dass die Regierung nach den Sparbüchern der Kinder greife; dabei sind die Freigrenzen für Sparbücher künftig dreimal so hoch wie heute in der Sozialhilfe.
Gleichwohl wollen Müntefering und Co. nun für Ausbildungsversicherungen eine Extra-Regel schaffen. Was das nützt? Nichts. Denn solche Versicherungen gibt es in Deutschland praktisch nicht.
Es wird also kuriert, aber an Schein-Symptomen. Es wird in der Koalition debattiert, aber über Nebensächlichkeiten. Es wird gestritten, doch nicht über Wesentliches. Wenn er dauerhaft zu Hartz IV stünde und die Arbeitslosigkeit sänke, könnte Schröder an Statur und Stärke gewinnen.
Streit um die virtuelle Sekunde
Eine Politik der harten Hand wäre notwendig, um diese Reform den Menschen zu erklären, doch stattdessen zittert die Hand des Kanzlers. Ein Beleg dafür ist auch der Streit um die vermeintliche Zahlungslücke im Januar. In Wahrheit dreht es sich dabei um eine virtuelle Sekunde. Hätte Clement von vornherein gesagt, das Arbeitslosengeld II würde erstmals am 31. Januar ausgezahlt, also kurz vor Mitternacht, hätte sich niemand aufgeregt; im Januar fließt ja noch Geld.
Tatsächlich sonll dies ach seinem Willen erst ab dem 1. Februar geschehen, nach Mitternacht also – Anlass für einen Koalitionskrach und für den Eingriff des Kanzlers. Was kommt als nächstes? Werden die Vermögensfreibeträge für ältere Menschen ein wenig erhöht? Muss Clement, obwohl er dies nicht will, eine detaillierte Liste von Härtefällen aufstellen, die geschont werden?
Zweifellos hat das Hartz-IV-Gesetz Schwächen. Es widerspricht dem Prinzip der Altersvorsorge, dass Arbeitslose notfalls ihre Lebensversicherung auflösen müssen. Es widerspricht dem Ziel, Arbeitslose zur Aufnahme eines Jobs zu bewegen, wenn sie vom Zusatzverdienst nur 15 Prozent behalten dürfen. Hierüber lohnt es sich zu diskutieren. Stattdessen hat die Koalition eine Hysterie erfasst, die sich von jener der Demonstranten nicht sonderlich unterscheidet.
Vielleicht sollte sich also die Informationskampagne, die die Regierung nun angekündigt hat, nicht nur an den Osten wenden, sondern auch an die eigenen Leute.
(SZ vom 11.8.2004) |