Für seine Ausfälle gegen die Steuerfluchtziele Luxemburg und Schweiz bezieht der Finanzminister von allen Seiten Prügel. Dabei sollte man den Sozialdemokraten für seine offenen Worte küssen.
Peer Steinbrück macht es Menschen leicht, ihn nicht zu mögen. Er ist selbstgefällig und arrogant. Er hält sich für kompetenter als den Rest des Kabinetts, womit er vermutlich recht hat, und für intelligenter als die komplette Berliner Journaille, womit er ziemlich sicher recht hat. Sollte sich unter der harten Schale ein weicher Kern verbergen, hätte er das erfolgreich vertuscht.
Aber: Für seine verbalen Attacken gegen die Schweiz und Luxemburg möchte man den deutschen Finanzminister küssen. Nicht weil es grundsätzlich etwas gegen Zwergstaaten vorzubringen gäbe. Kein Stück! Der zugegeben verstörende Wunsch nach zärtlicher Nähe zu Peer Steinbrück entspringt allein der Freude darüber, dass ein Politiker offen redet. Ein Minister wohlgemerkt - kein Politclown aus einer Randgruppenpartei.
Der Bundesfinanzminister findet es unerträglich, dass einige Staaten in Europa mehr oder weniger offen unversteuertem deutschem Geld Asyl gewähren. Man muss diese Abneigung nicht teilen. Man kann stattdessen das deutsche Steuersystem verdammen. Und man kann auch die Meinung vertreten, dass es nicht die Sache der Schweizer und Luxemburger ist, sich darum zu kümmern, ob der Deutsche seine Steuern zahlt. Aber man muss einem Finanzminister wenigstens zugestehen, dass er versucht, Steuerflucht zu bekämpfen. Dafür wird er bezahlt.
Scherze auf Kosten von Zwergstaaten
Es geht also wie so oft nicht um die Sache, sondern um den Ton. Ein normaler Berliner Politiker hätte seine Kritik an Deutschlands Nachbarstaaten so verkauft: "Trotz kleinerer Meinungsverschiedenheiten sind wir im Dialog mit unseren europäischen Partnern auf dem Weg zu harmonisierten Steuerregeln ein gutes Stück vorangekommen." Peer Steinbrück ist aber, dem Herrn sei Dank, kein normaler Berliner Politiker.
Er redet nicht von anonymen Partnerländern im Kampf gegen böse Steuerhinterzieher, sondern er nennt die Schweiz Schweiz und Luxemburg Luxemburg. Wahnsinn! Er sagt, dass die Kavallerie gar nicht immer ausreiten müsse. Es reiche oft, wenn die Indianer wüssten, dass sie da ist. Skandal - ein Scherz auf Kosten kleiner Länder. Er wolle nicht nur die Schweiz und Luxemburg zu einer Konferenz über Steueroasen einladen, sondern auch Burkina Faso. Uiuiui - ein Witz über Luxemburg! Ja, wie redet denn der?
Und sofort kommen alle aus den Löchern, die wissen, wie es ist, sich klein zu fühlen. "Steinbrück ist als Diplomat erkennbar unterbegabt", poltert CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Hallo? Jemand zu Hause? Peer Steinbrück ist kein Diplomat. Er ist Finanzminister und nicht den sprachlichen Gepflogenheiten des Auswärtigen Amts im Umgang mit befreundeten Potentaten verpflichtet, selbst wenn unsere Nachbarn das offenbar anders sehen: Die Schweizer bestellen den deutschen Botschafter ein, und in Luxemburg verabschiedet das Parlament eine Resolution, in der Steinbrücks Gepolter verurteilt wird. Das Parlament! Eine Resolution!
Was machen die eigentlich den ganzen Tag, die Luxemburger Abgeordneten? Schauen in ihrem kleinen Staat deutsches Fernsehen, stampfen mit ihren kleinen Füßen auf, marschieren in ihr kleines Parlament und beschließen eine kleine Resolution - wegen eines kleinen Witzes von Peer Steinbrück? Haben die sonst nichts zu tun? Der großherzogliche Außenminister Jean Asselborn mahnte im Gespräch mit Spiegel Online, dass sein Land zwischen 1940 und 1944 von deutschen Truppen besetzt war: "Jeder Luxemburger erinnert sich mit Grauen an eine Zeit, in der aus Deutschland, anfangs durch Worte und Reden, Erniedrigungen und Angst herüberschwappte."
Dazu zwei Anmerkungen, Herr Außenminister: Erstens gibt es in Luxemburg hoffentlich zwei, drei Menschen, die sich nicht mehr an die deutsche Besatzung erinnern können, sonst bekommen Exzellenz nämlich bald ein Problem mit der Alterspyramide, gegen das der versiegende Geldfluss aus Deutschland gar nichts ist. Und zweitens: Warum wettern Sie die ruppigen Anwürfe ihres Kollegen nicht aufrecht und mit breiter Brust ab, wie es sich für einen Primaten gehört?
Öfter mal die Wahrheit
Sagen Sie ihm einfach, dass er sich gehackt legen kann; Sie brauchen das Geld - egal ob versteuert oder nicht! Und wenn er das nicht akzeptieren will, dann soll er sein Steuersystem so ändern, dass ihm die Leute nicht in Scharen davonlaufen. Aber statt solches zu tun, werfen Sie und Ihr Premier Jean-Claude Juncker sich winselnd auf den Boden und schreien Nazi, Nazi. Muss doch nicht sein!
Erfreulich wäre es, wenn sich mehr Politiker - auch in Deutschland - locker machten und geradeheraus sagten, was ihnen nicht passt. Aber anders als der Finanzminister verwenden Berliner Vorderbänkler viel Zeit darauf, mit feuchtem Beinkleid unangenehme Botschaften so zu verschwurbeln, dass die meisten sie nicht verstehen und die Übrigen nicht beleidigt sind. Wenn mehr Minister reden würden wie Peer Steinbrück, dann könnten mehr Menschen begreifen, was Politiker wirklich wollen. Und man müsste nicht drei verschiedene Zeitungen lesen, um nach einem G8-Gipfel zu verstehen, ob die Welt gerettet ist oder nicht.
Aus der FTD vom 11.05.2009 http://www.ftd.de/meinung/kommentare/...ht-hat/511876.html?mode=print |