Vollstrecker aus Texas

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Vollstrecker aus Texas

Von Beat Balzli und Christoph Pauly

Vielen Tausenden Hausbesitzern droht ein GAU: Deutsche Banken haben in den Krisenjahren milliardenschwere Immobilienkredite verkauft, um ihre Bilanzen zu sanieren. Jetzt verwerten Käufer wie der US-Finanzinvestor Lone Star die erworbenen Schulden, ohne Rücksicht auf Verluste.


Die Hände von Brigitte Urban zittern. Ihre Stimme droht zu versagen. Wenn die 51-jährige Mutter von zwei Kindern über ihre jüngsten Erlebnisse mit der internationalen Hochfinanz spricht, kann sie kaum noch klar denken.




DPA
Neubausiedlung (bei Mainz): Viele können quasi über Nacht zum Opfer werden
Vor wenigen Wochen hat Hudson Advisors mit Hauptsitz im amerikanischen Dallas die Zwangsversteigerung von Urbans Mehrfamilienhaus in Dresden angekündigt. Der Familie nutzte es nichts, dass sie ihren Immobilienkredit immer brav bedient hatte. Die Einnahmen aus der Zimmervermietung reichten dazu völlig aus. Dachte Frau Urban.

Doch am 9. Dezember 2004 war die gelernte Buchhalterin, ohne es zunächst zu merken, mit ihrem Kredit an besonders gierige "Heuschrecken" verkauft worden. Damals teilte ihr die Münchner Hypo Real Estate lapidar mit, dass ihr Immobiliendarlehen aufgrund einer "Neuausrichtung der Bank" einer anderen Gesellschaft übertragen worden sei.

Es klang so harmlos, als kündigte das Institut an, die Farbe seines Briefpapiers zu ändern. Tatsächlich hatte man Frau Urban und ihre Schulden verkauft.

Denn hinter der neuen Gesellschaft versteckt sich die texanische US-Beteiligungsgesellschaft Lone Star, die viele Milliarden Dollar bei Großinvestoren wie US-Pensionsfonds eingesammelt hat. Deren Fonds haben in den vergangenen Jahren Verbindlichkeiten von vielen tausend deutschen
Hausbesitzern übernommen. Kredite im Wert von schätzungsweise 38 Milliarden Euro wechselten von den vertrauten Banken mit einem Rabatt an sogenannte Private-Equity-Firmen wie Lone Star.


Kompromissfähigkeit gehört nicht zu deren Kernkompetenz - eher schon die Fähigkeit zu filetieren, abzuspalten, auszupressen und weiterzuverkaufen. Kurz: Sie gieren nach schnellem Bargeld und schnüren dabei vielen Kreditnehmern rigoros die Luft ab. Für Lone Star übernimmt die Schwesterfirma Hudson Advisors die Schmutzarbeit.

Zahlreiche, mittlerweile vor Gericht anhängige Verfahren zeigen, dass viele Besitzer einer kreditfinanzierten Immobilie quasi über Nacht Opfer der rabiaten Methoden werden können. Wer nicht schnell seinen Kredit durch eine andere Bank ablösen lassen kann, bekommt Probleme.

Mal hilft den Amerikanern die Unbedarftheit ihrer Opfer, mal deren wacklige Finanzlage. Immobilienbesitzer etwa, die in einer Krisenregion wohnen oder als Selbständige kein regelmäßiges Einkommen vorweisen können, finden oft nicht schnell genug einen neuen Finanzpartner. Die Abwickler lassen dann Konten pfänden, schicken den Gerichtsvollzieher oder gleich den Zwangsvollstrecker vorbei.

Angesichts der beinharten Taktik der Kreditverwerter erweist sich das deutsche Immobilienrecht als schlechter Schutz. Zwar kann es sein, dass irgendwann der erste ausgenommene Kläger vor dem Bundesgerichtshof Recht bekommt. Doch die Gesellschaften sind dann schon längst über alle Berge, das Objekt verkauft.



"Die Karawane zieht nach einer Abarbeitungsphase von drei bis vier Jahren weiter", beschrieb Karsten von Köller, der Deutschland-Chef von Lone Star, schon im vergangenen Jahr bei einem Vortrag in Frankfurt am Main die Taktik seiner Branche. In den neunziger Jahren erzielte sein Unternehmen zweistellige Renditen bei der Abwicklung fauler Kredite in den USA. Dann kamen Japan und Südkorea dran. Nun ist Lone Star in Deutschland mit einem Forderungsbestand jenseits von 20 Milliarden Euro Marktführer.

Als die Firma 2003 anfing, fand sie aus ihrer Sicht paradiesische Zustände vor. Hiesige Banken saßen auf faulen Krediten, die auf insgesamt 250 Milliarden Euro geschätzt wurden. Viele Kreditinstitute hatten beispielsweise oftmals unsinnige Immobilienprojekte finanziert, vor allem in den neuen Bundesländern. Nun waren sie bereit, komplette Kreditpakete oft zur Hälfte des Nominalwertes abzugeben.




Investoren-Opfer Schubbert (vor zwangsversteigertem Eigenheim
So kam 2004 auch ein Kreditpaket der Hypo Real Estate in den Besitz von Lone Star. Und schnell machten sich die Profis auch an die Liquidierung jener Sicherheiten, deren Kredite gar keine Probleme aufwiesen. Das bekam auch die Dresdnerin Urban zu spüren.

Normalerweise verpflichtet sich die Bank, bei Ablauf der Zinsbindung ein neues Angebot zu unterbreiten. Auch Urban hatte sich auf die vertragliche Zusage ihrer alten Bank verlassen, ihr "dann übliche Konditionen" anzubieten.

Die von Lone Star beauftragten Hudson-Leute forderten stattdessen einen Zins von 9,39 Prozent plus einem Prozent Tilgung, 50 Prozent mehr, als die Hypo Real Estate vorher verlangt hatte. Urban sollte 500 Euro pro Monat mehr bezahlen. Das hätte für sie den Ruin bedeutet.

Man sei ja gar keine Bank und dürfe eigentlich gar keine Kreditverträge abschließen, begründete Hudson die Zinsexplosion zunächst gegenüber Urbans Anwalt Leonhard Baur, dann auch gegenüber dem SPIEGEL. Nach langen Verhandlungen gewährte die Firma Frau Urban einen Zins von 6,5 Prozent plus einem Prozent Tilgung. Zudem wollte sie dafür sorgen, dass der Kredit auf die Mitteleuropäische Handelsbank übertragen wird - seit 2005 im Besitz von Lone Star.

Doch der Waffenstillstand hielt nicht lange. Im März dieses Jahres schraubte Hudson den Zins erneut auf neun Prozent hoch. Für den Fall, dass die Zahlungen ausblieben, wurde unmissverständlich mit der Zwangsversteigerung gedroht. "Dallas gibt Anweisung und macht Druck", bekam Anwalt Baur zu hören.

Die neuen Gläubiger wollen die billig erworbenen Kredite nicht verwalten, sondern möglichst schnell verwerten - ohne Rücksicht auf Verluste.




Investoren-Opfer Urban (vor Haus in Dresden): Plötzlich die Zinsen erhöht
"Wir machen Sie platt", bekommen Immobilienbesitzer schon mal am Telefon zu hören. Sie hätten sowieso keine Chance, drohen Anrufer, die in einer Art Callcenter von Frankfurt am Main und München aus die Kunden bearbeiten.

Der Rechtsanwalt Ingo Schulz-Hennig hält die Methoden für illegal. Die Abtretung intakter Darlehensforderungen an Inkassogesellschaften sei "eindeutig rechtswidrig und wegen Gesetzesverstoßes unwirksam", argumentiert er in mehreren Gerichtsverfahren.

"Die Hypo Real Estate hat in eklatanter Weise gegen das Bankgeheimnis sowie das Bundesdatenschutzgesetz verstoßen", meint der Jurist. Schließlich hätte sie höchst persönliche Daten aus ihren Kreditakten den Aufkäufern überlassen, ohne je ihre Kunden dafür um Erlaubnis gebeten zu haben. Dieses Wissen diene nun den Abwicklern als Hebel, um geeignete Zwangsmaßnahmen einzuleiten.

Natürlich habe man einen aggressiveren Managementstil als die Banken, heißt es bei Hudson. Doch es wird betont, dass alles unter strikter Beachtung der Gesetze erfolge. Die Übertragung fauler Kredite sei ausdrücklich erlaubt. Nur der Transfer bisher störungsfrei laufender Kredite sei strittig und müsse irgendwann höchstrichterlich entschieden werden. Fakt ist: Die neuen Schulden-Herren gehen oft sehr rabiat vor.

"Für 35.000 Euro wird mein Leben zerstört", klagt Ingeborg Biermann-Römmer, der die zweite Etage eines Einfamilienhauses im niedersächsischen Otterndorf gehört. Die Betreuerin von Pflegekindern war nach einer Steuernachzahlung in Zahlungsrückstand geraten und bekam es alsbald mit den Herren der Zweiten Westend GmbH zu tun, einer der zahlreichen Abwicklungsgesellschaften von Hudson.

Die völlig verängstigte Frau unterzeichnete eine Verkaufsvollmacht. "Das ist der Trumpf, den man den Leuten von Hudson Advisors nie überlassen sollte", sagt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Julius Reiter. Ab 1. Oktober können die nun die Hausetage verkaufen.

Ein Vergleichsangebot von Biermann-Römmer, mit Hilfe von Freunden 33.000 Euro der Hauptforderung von 35 900 Euro zurückzuzahlen, war Hudson zu wenig. Nachdem ein zweiter Vergleich die Frau überforderte, weil sie durch den negativen Eintrag bei der Kreditauskunft Schufa keinen anderen Bankkredit bekam, schalteten die Eintreiber auf stur. "Wir werden unsere Befriedigung in der Zwangsversteigerung suchen und im Nachgang hierzu die Eröffnung des Privatinsolvenzverfahrens beantragen", schnarrte die Firma am 3. April im Juristendeutsch. Zu diesem Zeitpunkt verlangte sie für das Darlehen 18 Prozent Zinsen per annum, rückwirkend ab 1998.



Bei solchen Aktionen hilft den "Heuschrecken" sogar deutsches Recht: Denn wer sich von einer Bank Geld für den Kauf eines Grundstücks leiht, muss ihr in der Regel als Sicherheit eine Grundschuld abtreten. Das im Jahr 1879 in Kraft getretene Zivilprozess- und Vollstreckungsrecht ermöglicht es, die Sicherheit zu verwerten.

Was traditionelle Kreditinstitute nur im Notfall einsetzen, ist für die neuen Angreifer ein strategisches Werkzeug. Auf Antrag der Gläubigerin verfügte das Amtsgericht Otterndorf Ende Mai gegen Frau Biermann-Römmer die Zwangsversteigerung. Ein vom Gericht eingesetzter Verwalter aus Cuxhaven wurde "ermächtigt, sich selbst den Besitz des Grundbesitzes zu verschaffen", steht in dem Gerichtsbeschluss.

Immerhin - nachdem der SPIEGEL vergangene Woche bei Hudson wegen des Falls angefragt hatte, bekam der Anwalt von Biermann-Römmer den Anruf, dass man einen Vergleich akzeptieren werde. Die Zwangsversteigerung sei "nicht die beste Lösung", heißt es nun plötzlich.

Wie lukrativ Problemfälle sein können, will Lone Star auch bei einem Giganten des Geschäfts beweisen: der ehemaligen Gewerkschaftsbank AHBR. Die war durch Fehlspekulationen in Schieflage geraten und hat für 2005 einen Verlust von 1,08 Milliarden Euro ausgewiesen. Im Dezember übernahm Lone Star die Bank und damit Immobilienkredite im Wert von über 20 Milliarden Euro.

Dass die neuen Herren aus Dallas keine Angst vor großen Namen haben, demonstrierten sie bereits. Sie beteiligten kurzerhand die Inhaber von AHBR-Genussscheinen und die stillen Einleger der Gewerkschaftsbank an den Verlusten. Nach einem außergerichtlichen Vergleich bekommt beispielsweise die DZ Bank nur noch 25 Prozent ihrer stillen Einlage von 140 Millionen Euro zurück.




Jetzt sind die kleinen Kunden des einstmals drittgrößten deutschen Immobilienfinanzierers dran. Die alte AHBR-Abteilung, die sich um Problemkredite in Höhe von insgesamt 2,5 Milliarden Euro kümmerte, wurde bereits dichtgemacht. Die Gespräche übernehmen demnächst die Hudson-Profis. Diskutiert wird nur selten, wie die Verwertung des Hypo-Real-Estate-Kredits der Familie Schubbert beweist.

Ihr ehemaliges Heim steht am Hang einer Gemeinde unweit der ostdeutschen Kleinstadt Bautzen. In der Nachbarschaft herrscht kleinbürgerliche Idylle. Nur Schubberts ehemaliges Anwesen wirkt heruntergekommen. Der Winterfrost hat den Verputz von den Terrassenwänden gesprengt, das Gras steht kniehoch.

Kein Wunder: Seit dem 5. Dezember steht das Haus leer. Nach einem monatelangen Gefecht erhielt die Zweite R. E. O. Westend GmbH, eine weitere Hudson nahestehende Gesellschaft, bei der Zwangsversteigerung den Zuschlag.

Die Familie musste ihr Haus verlassen. Vertreter von Polizei, Jugend- sowie Ordnungsamt und Hudson Advisors standen damals schon um sieben Uhr früh vor der Tür. "Wir wurden behandelt wie Schwerverbrecher", erinnert sich Jaqueline Schubbert. "Mehrfache Zahlungs- und Gesprächsangebote wurden lapidar übergangen", sagt Schubberts Anwalt Ulrich Büttner.

Aus Sehnsucht nach ihrem alten Zuhause stellte die Familie im März bei den neuen Besitzern eine Anfrage der besonderen Art: Weil sich niemand um das Grundstück kümmerte, wollten die Schubberts wenigstens das Eis des zugefrorenen Teichs aufhacken, um die Fische zu retten.

"Es klingt vielleicht abstrakt, denn uns gehören ja diese ,Dinge' nicht mehr", hieß es in ihrem Brief. "Aber auf der anderen Seite können diese Kreaturen, ob Tiere oder Pflanzen, nichts für die vergangenen Geschehnisse."

Die US-Schuldensammler lehnten die Bitte ab und untersagten ein Betreten des Grundstücks. Es sei ja "nicht davon auszugehen, dass sich nach dem langen Winter noch zu versorgende Fische in dem Teich befinden", war die eisige Antwort.




 

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