Alles Verräter
Die Deutschlandausgabe der Zeitung »Hürriyet« macht Stimmung gegen kritische Deutschtürken
Von Cem Özdemir
Türkische Medien erfreuen sich in Deutschland großen Zuspruchs. Dazu zählen zahlreiche türkische Fernsehsender, die über Satellit empfangen werden, aber auch türkische Zeitungen, die in Deutschland als Europaausgabe erscheinen. Warum informieren sich türkische Migranten auch nach mehreren Generationen aus Medien des Herkunftslandes (der Eltern und Großeltern)?
Die erste Einwanderer-Generation interessiert sich für Entwicklungen in der alten Heimat, die sie regelmäßig besucht. Neueinwanderer sind in der Regel allein schon aus sprachlichen Gründen darauf angewiesen, türkische Medien zu nutzen. Angehörige der jüngeren Generation, falls des Türkischen überhaupt noch mächtig, schlagen eher die Sportseiten auf. Manche pflegen bewusst ihre Transnationalität und interessieren sich gleichermaßen für Deutschland und die Türkei. Wieder andere fühlen sich in Deutschland kaum zu Hause und blicken deshalb auf die Türkei.
Die mit Abstand meistgelesene türkischsprachige Tageszeitung in Deutschland ist Hürriyet (»Freiheit«) mit Redaktionssitz im hessischen Neu-Isenburg. Die verkaufte Auflage liegt in Deutschland bei etwa 53000, die Zahl der Leser ist weit größer. Es sind keineswegs nur türkische Nationalisten, auch gemäßigt Konservative, Liberale und Linke finden sich darunter. In der Türkei ist Hürriyet das auflagenstärkste Blatt. Im Unterschied zur Originalausgabe enthält der in Deutschland erscheinende Druck einige Sonderseiten zu Europa, mit Schwerpunkt Deutschland. Hürriyet kann hierzulande kaum ignoriert werden: 38 Prozent der befragten Türkischstämmigen gaben in einer Umfrage des Bundespresseamtes aus dem Jahr 2001 an, die Zeitung zu lesen. Der Anteil der Leser anderer Zeitungen wie Türkiye oder Milliyet lag unter 10 Prozent. Die Boulevardzeitung pflegt eine populistische Berichterstattung, die ihre Spuren im Meinungsspektrum der deutschen Türken hinterlässt und mitunter an Bild erinnert. Deren Chefredakteur Kai Diekmann sitzt übrigens im Beirat von Hürriyet.
Kürzlich startete Hürriyet eine deutschlandweite Kampagne: »Gegen häusliche Gewalt«. Diese Kampagne des Stammkonzerns der Hürriyet, der in Istanbul ansässigen Dogan-Media Group, lief bereits erfolgreich in der Türkei.
Hürriyet wollte für die Kampagne auch die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes mit ins Boot holen – die lehnte jedoch ab. Auch die Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD), als Schirmherrin angefragt, war nicht für das eigentlich ehrenwerte Vorhaben zu gewinnen. Es ist klar, worauf sich die Bedenken gründen: Angesichts der Diffamierungskampagne der Zeitung gegen türkischstämmige Frauenrechtlerinnen in Deutschland, die ebenjene Gewalt gegen Frauen in türkischen Familien zum Thema machen, scheint es mehr als zynisch, gleichzeitig in derselben Zeitung eine Kampagne gegen häusliche Gewalt zu starten. Die drei türkischstämmigen Publizistinnen Seyran Ates, Necla Kelek und Serap Cileli fühlen sich mittlerweile durch die anhaltend hetzerische Berichterstattung der Hürriyet persönlich bedroht. Anlässlich des Internationalen Frauentags schrieb die Zeitung in Reaktion auf den Ehrenmord an der Berlinerin Hatun Sürücü: »Die Beteiligung einiger unserer Frauen an der Propaganda der deutschen Medien und bestimmter Personen hat Unruhe verursacht« (Hürriyet vom 10.3.2005).
Hürriyet hält sich dabei an ein bewährtes Muster der Diffamierung. Die Abweichler aus den eigenen Reihen müssen aufgespürt und bloßgestellt werden, nach dem Motto »Entweder du bist für oder gegen uns«. Erst werden die Leserinnen und Leser aufgehetzt gegen die vermeintlichen Nestbeschmutzer. In folgenden Ausgaben dürfen sich dann »ehrenwerte« Mitglieder der Community ebenfalls über die »Verräter« empören. Türkischstämmige Journalisten, Politiker und Intellektuelle bekommen von der Hürriyet einen Stempel aufgedrückt, der qualifiziert, ob jemand ein Nestbeschmutzer ist, ob man zu denen gehört, die die Türkei oder Türken öffentlich kritisieren.
Auch in der Debatte um türkische Verbrechen an den Armeniern 1915/16 tut sich das Blatt durch einseitigen Populismus hervor. Jeder, der die offizielle türkische Linie (»Es war kein Völkermord«) infrage stellt, wird scharf attackiert. So wurden türkischstämmige Berliner Abgeordnete in der Zeitung mit der Frage an den Pranger gestellt: »Warum schweigt ihr zum angeblichen Völkermord?« (Hürriyet, 19.4.2005) Im Falle der Vorstandsmitglieder des Türkischen Bunds Berlin-Brandenburg (TBB) reichte bereits ein Abendessen mit dem falschen Gast für tagelange Angriffe. Der TBB habe bisher zu der Debatte »geschwiegen«, so Hürriyet. Bei dem »geheimen Abendessen« mit dem türkischen Historiker Halil Berktay, der den Genozid-Vorwurf »verteidigt«, habe die Organisation jedoch ihr wahres Gesicht gezeigt: Das Spiel des TBB titelte Hürriyet in der Europaausgabe (20.4.2005). Dabei handelte es sich schlicht um ein informelles Essen, das anlässlich einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung zur Armenier-Debatte in einem Berliner Restaurant stattfand. Halil Berktay, die Person des Anstoßes, ist zudem ein Historiker von internationalem Rang. Berktay stellt allerdings die offiziellen Thesen infrage und fordert damit das türkisch-nationalistische Establishment heraus.
Es war eigentlich zu erwarten, dass die Annäherung der Türkei an das liberale Europa zu einer seriöseren Berichterstattung der Hürriyet führen würde. Doch was für andere in Deutschland verlegte türkischsprachige Zeitungen, wie etwa die islamisch-konservative Zaman, durchaus gilt – nämlich ein Prozess der Öffnung und Liberalisierung –, ist bei der Hürriyet nur Kosmetik. Früher berichtete das Blatt in extremer Form über deutsche Politiker und Wissenschaftler. Deutscher Protest bei der Chefredaktion und dem Verleger hatte Erfolg: Der damalige Macher und Hauptagitator der Europaausgabe, Ertug Karakullukcu, musste seinen Posten räumen. Allerdings wurde er nicht etwa fallen gelassen, sondern im Mutterblatt in Istanbul untergebracht.
Die neue Garde in der deutschen Redaktion begann mit einer Charmeoffensive und versprach, dass Kampagnenjournalismus und offene Drohungen der Vergangenheit angehörten. Das war nicht nur Rhetorik, die neue Redaktion ließ tatsächlich Taten folgen. Auch ich wurde nicht mehr als »Spinne«, als »Dolch im Rücken« oder »Feind der Türken« bezeichnet. Das war damals ein großer Schritt für die Hürriyet – von seriösem Journalismus ist die Zeitung allerdings immer noch weit entfernt.
Nach wie vor gibt es bemerkenswerte Unterschiede zwischen der in der Türkei und der in Europa erscheinenden Ausgabe. Zwar ist Hürriyet in der Türkei grundsätzlich bemüht, sich nicht allzu weit von der offiziellen Staatsdoktrin zu entfernen, und versteht sich gewissermaßen als Stimme des Staates – wohlgemerkt nicht der Regierung. Doch spielen Kolumnisten eine herausragende Rolle, und so kann es durchaus geschehen, dass der eine oder andere die Zeitung als »liberales Testlabor« nutzt, um heikle Themen wie die Situation der Kurden, der Armenier, das Kopftuchverbot oder Zypern anzusprechen. In der in Deutschland erscheinenden Ausgabe ist man jedoch ganz besonders darum bemüht, die türkische Fahne zu schwenken: Sobald die Türkei kritisiert wird, steht Hürriyet Gewehr bei Fuß.
Trotz alledem tritt Hürriyet für den EU-Beitritt der Türkei ein. Nur warum tut sie mit ihrer Berichterstattung alles dafür, dass ihre türkischen Leser in Deutschland den Eindruck gewinnen, sie befänden sich in Feindesland? Es wäre wünschenswert, dass sich die Zeitung mit demselben Eifer, mit dem sie ihren Kampagnenjournalismus betreibt, für die Integration türkischstämmiger Migranten einsetzt – allein eine sachliche Berichterstattung wäre hierfür schon hilfreich. Oder befürchtet Hürriyet etwa, die zunehmende Integration würde dazu führen, dass sie ihre Leserschaft verliert?
DIE ZEIT Nr.24
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