HANDELSBLATT,13. März 2005+Henri Lachmann+ALSTOM.SIEMENS Interview: Schneider Elektrik-Chef Henri Lachmann
"Trichet liegt vollkommen falsch"
Von Holger Alich
Mit dem Handelsblatt spricht Schneider Elektrik-Chef Henri Lachmann über deutsch-französische Beziehungen, Wirtschaftspolitik und die Zukunft seines Unternehmens. Der 66-jährige gilt als eine der einflussreichen französischen Unternehmerpersönlichkeiten.
Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich werden Unternehmen häufig von Politikern dafür angegriffen, dass sie Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Wieso gibt es diese politische Debatte?
Die Politik versteht einfach die Zusammenhänge nicht. Die Industrie muss nahe am Kunden produzieren. Wir können doch nicht alles in Frankreich herstellen und dann exportieren.
Auch Sie wollen Arbeitsplätze außerhalb des Euroraums schaffen. Handeln Sie nicht unpatriotisch?
Überhaupt nicht. Schneider Electric macht rund 50 Prozent seines Umsatzes in Euro, aber rechnet rund 60 Prozent der Kosten in Euro ab. Dieses Ungleichgewicht wiegt schwer. Die Dollar-Schwäche hat uns zwei Prozentpunkte an Marge in den vergangenen zwei Jahren gekostet. Dazu sind unsere Transport-Kosten heute fast so hoch wie die Lohnkosten. Ich habe also überhaupt keine Wahl, und muss meine Produktion näher an meine Kunden heranführen.
Hinter der Debatte um Stellenverlagerung steckt die Sorge, wie wettbewerbsfähig die Industrieländer Frankreich und Deutschland noch sind. Was muss ihrer Meinung nach geschehen?
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir mehr in neue Technologien und Innovationen investieren. Dazu ist Frankreich alleine aber nicht groß genug. Wir brauchen Partner, vor allem Deutschland.
Gerade in Deutschland ist man in Bezug auf Partnerschaften vorsichtig geworden. Denn man hat den Eindruck, dass Frankreich von Partnerschaften redet, tatsächlich aber egoistisch handelt, siehe Alstom, EADS oder die Aventis-Übernahme.
Die Fälle dürfen Sie nicht durcheinander bringen. Beispiel Alstom: Der Staat hatte meiner Meinung das Recht, dem Unternehmen zu helfen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Aber die bei Alstom gefundene Lösung halte ich für schlecht.
Wieso?
Der Staat und der Steuerzahler sind nicht dazu da, bei Alstom eine Kapitalerhöhung zu zeichnen. Die einzig richtige Lösung wäre ein ausgewogenes deutsch-französisches Projekt mit Siemens gewesen. Die Energie-Sparte hätte zum Beispiel bei Siemens, die Transport-Sparte bei Alstom angesiedelt werden können. Ich habe das der Regierung vorgeschlagen, leider ist man dem nicht gefolgt.
Sie halten das Gerede von „nationalen Champions“ für Unfug?
Man sollte nicht mehr von nationalen Champions reden, eher von bi-nationalen oder europäischen Champions. Die Politik sollte sich vor allem heraushalten, auch beim Flugzeugkonzern EADS hat der staatliche Einfluss gestört.
Wie groß ist denn der Einfluss der französischen Regierung in der Wirtschaft?
Die Regierung kann nicht mehr viel machen, auch wenn sie es versucht. Die Regierung hat mich einmal angerufen, um mich aufzufordern, dass ich Alstom helfen solle. Und ich habe ganz klar geantwortet: „Nein“.
Wie bitte?
Der Regierung schwebte eine Fusion oder etwas Ähnliches vor. Ich habe aber klipp und klar „Nein“ gesagt, denn die Regierung hat auf Scheider Electric keinen Einfluss. Was kann die Regierung schon tun? Sie vergibt keine Aufträge an uns, ist kein Aktionär und Frankreich macht nur 13 Prozent unseres Umsatzes aus.
Auf jeden Fall ist das deutsch-französische Klima durch die Staatsinterventionen vergiftet.
Deshalb wäre ja ein ausgeglichenes Projekt zwischen Siemens und Alstom so sinnvoll gewesen. Ich bin immer noch davon überzeugt.
Ist denn die deutsch-französische Achse überhaupt noch sinnvoll? Warum keine deutsch-britische, oder französisch-italienische Achse?
Trichet liegt vollkommen falsch"
Sie brauchen immer eine Lokomotive. Und diese Lokomotive in Europa bildeten immer Deutschland und Frankreich. Sie müssen Europa voranbringen, aber es gibt leider viele Missverständnisse. Ich betone, Missverständnisse, keine Meinungsverschiedenheiten. Mir liegt viel am Herzen, dass Frankreich und Deutschland ihre Missverständnisse überwinden und mehr gemeinsam machen. Es müsste mehr gemeinsame Projekte geben.
Etwa in der Industriepolitik? Die Franzosen sind für Eingriffe in die Wirtschaft, Deutschland denkt eher an günstige Rahmenbedingungen?
Klar gibt es die Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland. Frankreich ist nach wie vor interventionistischer. Dafür sorgt allein schon der eng verflochtene Clan der Abgänger von den Eliteschulen wie ENA, Polytechnique und Ecole des Mines, mit denen in Frankreich fast alle Spitzenpositionen besetzt werden. So etwas gibt es in Deutschland nicht.
Was halten Sie denn von den Vorschlägen von Saint-Gobain-Chef Beffa, eine Innovations-Agentur schaffen zu wollen?
Viele Ideen von Beffa halte ich für gut, vor allem, große und kleine Unternehmen sowie staatliche Forschungszentren zusammenzubringen. Von dieser neuen Agentur halte ich nicht so viel. Die eine Milliarden Euro, die diese Agentur pro Jahr bekommen soll, sind sowieso nicht viel Geld. Allein Schneider Electric gibt pro Jahr 600 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung aus. Der Ansatz zur Förderung von industriellen Innovationen sollte aber auf Europa, zumindest auf Deutschland ausgedehnt werden. Frankreich allein reicht nicht.
Sie sprachen Reformen an. Frankreich scheint furchtbar Angst vor Wettbewerb und Veränderungen zu haben. Woher kommt das?
15 Prozent der Wähler stimmen für den Rechtsradikalen Le Pen, offenbar ist Frankreich irgendwie ein bisschen ängstlich. Oder nehmen Sie die Schulreform: Ein Viertel unserer Arbeitslosen ist jünger als 25 Jahre alt. Jedes Jahr verlassen zudem 150 000 junge Menschen die Schulen, ohne einen Abschluss zu haben. Unser Schulsystem ist am Ende. Die Regierung plant eine Mini-Reform, doch sofort gibt es Demonstrationen, und die Regierung zieht sich zurück.
Was muss passieren, damit die notwendigen Reformen in Frankreich gemacht werden können?
Man muss mehr Aufklärung betreiben, direkter darstellen, wie die Lage wirklich ist. Wir sind die Schlechtesten in Europa in punkto Jugendarbeitslosigkeit. Wir haben außerdem die meisten Langzeitarbeitslosen in Europa. Und dann fehlt unseren Politikern noch der Mut.
Ein anderer Punkt: Vor kurzem hat der Europäische Gerichtshof der EU-Kommission im Fall Tetra-Laval eine weitere Niederlage beigefügt und die Fusion der beiden Verpackungshersteller nachträglich genehmigt. Erfüllt Sie das mit Genugtuung, nachdem der frühere Wettbewerbskommissar Monti auch Ihnen die Fusion mit Ihrem Konkurrenten Legrand zunächst untersagt hatte, der EuGH dafür später aber doch grünes Licht gab?
Ich empfinde keine Schadenfreue.
Die EU-Kommission hatte Ihnen doch mit dem Verbot der Legrand-Übernahme Ihr Lebenswerk zerstört. Ist das Kapitel für Sie abgeschlossen?
Ja. Das ist vorbei. Ich glaube aber, dass die EU-Wettbewerbspolitik einer industriellen Strategie dienen muss. Da es diese EU-Strategie aber nicht gibt, muss die Kommission danach suchen. Zweitens muss die Definition der relevanten Märkte neu gefasst werden. Wenn man Europa aufbaut, kann nicht der nationale Heimatmarkt der relevante Markt sein. Das ist unlogisch.
Wer soll denn diese industrielle Vision formulieren? Die Politik?
Ich kann Ihnen nicht sagen, wer und wie diese Industrie-Strategie formulieren soll. Ich stelle nur fest: Wir haben keine. Und das ist ein Problem. Denn damit fehlt der EU-Kommission eine klare Leitlinie, an der sie ihre Wettbewerbspolitik ausrichten kann.
Mehr und mehr kommen chinesische Unternehmen nach Europa. Wie geht man mit diesen neuen Wettbewerbern um?
Ich bin davon überzeugt, dass der nächste große Konkurrent von Schneider in zehn Jahren ein chinesisches Unternehmen sein wird. Wir müssen daher einen Abstand wahren und innovative Produkte anbieten. Dazu müssen wir auch das Geschäft internationalisieren und vor allem einen weltweiten Vertrieb haben.
Auf der Kostenseite muss also nichts passieren? In Frankreich ist die 35-Stunden-Woche besonders umstritten?
Selbstverständlich ist das ein Problem. Doch die schlimmste Folge der 35-Stunden-Woche sehe ich nicht in Kosten, sondern darin, dass dadurch die Arbeit entwertet worden ist. Früher sprachen Manager nie über ihre Arbeitszeit. Heute diskutieren sie, was sie mit ihren Überstunden anfangen werden. Dabei ist die Arbeit eine Basis für das soziale Leben. Die 35-Stunden-Woche ist daher in meinen Augen vor allem ein sozialer Irrtum, eine Dummheit.
Sie hatten vergangenes Jahr eine Umsatzsteigerung für 2004 von acht bis zehn Prozent prognostiziert. Jetzt sind es 18 Prozent geworden. Neigen Sie zu Untertreibungen?
Ich bin vorsichtiger Mensch. Ich weiß aber auch, dass die Finanzwelt Überraschungen nicht mag. Die hohe Wachstumsrate hat zwei Gründe. Zum einen das starke organische Wachstum von 8,5 Prozent; zum anderen Akquisitionen und Währungseffekte. Beim organischen Wachstum haben vor allem das US-Geschäft und Europa positiv überrascht.
Leiden Sie denn nicht unter dem schwachen Dollar?
Trichet liegt vollkommen falsch"
Der schwache Dollar ist ein sehr großes Handicap für uns. Daher glaube ich, dass Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank, mit seiner Geldpolitik vollkommen falsch liegt.
Wieso denn das?
Die Zinsen sind viel zu hoch. Der Gegner ist doch nicht die Inflation. Der Kampf geht um Wachstum und um Arbeitsplätze. Trichet war schon früher für den „Franc fort“, den starken, vor allem am Zinssatz orientierten Franc. Jetzt ist er für den starken Euro. Doch damit ist er auf der falschen Baustelle.
Wie kommt es, dass Ihr Geschäft in Europa positiv überrascht?
Zum einen zählen wir zu Europa auch die neuen EU-Staaten im Osten. Darüber hinaus hatten wir erneut ein sehr gutes Jahr in Spanien, einer unserer besten Märkte. Spanien holt noch stark auf und wir haben dort eine starke Management-Mannschaft.
Wie sieht ihre Deutschland-Strategie aus?
Wir orientieren uns nicht an Siemens. Wir wollen in einigen Bereichen den Kunden eine Alternative zu Siemens bieten, zum Beispiel den Maschinenherstellern im Bereich Automatisierung. Auf jeden Fall wollen wir in Deutschland wachsen. Derzeit machen wir in Deutschland über 300 Millionen Euro Umsatz. Das wollen wir ausbauen – auch durch gezielte Akquisitionen.
In welchen Bereichen wollen Sie denn zukaufen?
Als wir uns von Legrand auf Druck der EU-Kommission trennen mussten, lief der Verkauf gegen Bargeld. Aus diesem Grund haben wir jetzt faktisch keine Schulden. Diese Position der Stärke wollen wir nutzen, um uns auszudehnen. Das bedeutet aber nicht, dass wir den Konzern diversifizieren wollen. Wir werden kein unübersichtliches Konglomerat. Wir gehen sehr gezielt vor und haben unsere Zukäufe zum Beispiel auf Gebäudetechnik beschränkt.
Wenn Sie zukaufen, dann doch in der Regel Mittelständler?
Das liegt einfach daran, dass nur wenige Große zu haben sind. Dazu löst der Zukauf etwa eines Unternehmens mit einem Umsatz von drei Milliarden Euro sofort Kartellprobleme aus. Meistens kaufen wir Unternehmen mit einem Umsatz zwischen 300 und 600 Millionen Euro.
Kommen wir zu Ihrer Nachfolge: Bei L’Oréal hat Lindsay Owen-Jones angekündigt, dass er in den Aufsichtsrat wechselt. Ist das ein Modell für Schneider?
Ich glaube an die Trennung von Aufsicht und Exekution. Die Struktur mit Aufsichtsrat und Vorstand ist gut, wenn ganz klar ist, dass der Vorstandschef auch wirklich das Sagen hat. Wenn der Vorstandsvorsitzende später Aufsichtsratschef wird, dann sollte das nur für eine kurze Zeit sein, höchstens fünf Jahre. Dies kann eine Hilfe sein, den neuen Vorstandschef eine Zeit lang zu begleiten.
Der derzeitige Schneider-Generaldirektor Jean-Pascal Tricoire gilt als heißer Anwärter auf ihre Nachfolge?
Das ist nicht ganz falsch. Aber die Entscheidung fälle nicht ich, sondern der Verwaltungsrat. Außerdem ist die Stunde dafür noch nicht gekommen. Ich halte nichts davon, über ein Jahr im voraus den Chefwechsel anzukündigen. Damit lähmt man nur das Unternehmen, weil alle abwarten, bis der Neue da ist.
Haben Sie denn schon Pläne für die Zeit danach?
Ich muss nicht mein ganzes Leben Unternehmenschef sein. Wenn ich nach meiner Zeit bei Schneider etwas für die deutsch-französischen Beziehungen tun kann, dann würde ich das gerne tun.
Eine zweite Karriere in der Politik?
Oh nein, bloß nicht!
Der US-Firmenaufkäufer Guy Wyser-Pratte hatte einst versucht, das damals von ihnen geleitete Unternehmen Strafor aufzulösen. Sie wehrten das erfolgreich ab. Jetzt greift Wyser-Pratte den deutschen Maschinenbau-Konzern IKWA an. Haben Sie einen Tipp, wie man mit Wyser-Pratte umgeht?
Ich habe grundsätzlich etwas gegen solche Spekulanten. Sie wollen kurzfristig viel Geld verdienen, ohne Werte zu schaffen. Man muss einfach dagegen kämpfen und darf nicht aufgeben.
Die Fragen stellte Holger Alich.
Schneider Electric hat zwei Geschäftsbereiche: Elektrische Energieverteilung vom Kraftwerk bis zur Steckdose sowie industrielle Automatisierung. 2004 erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von 10,4 Milliarden Euro und einen Netto-Gewinn von 565 Millionen Euro. 2001 wollte Schneider-Chef Henri Lachmann den Wettbewerber Legrand übernehmen. Damit wäre Schneider zu einem der weltgrößten Elektronik-Konzernen geworden. Doch EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti untersagte die Übernahme. Schneider klagte gegen die Entscheidung und bekam Recht. Doch es war zu spät: Die Fusion war nicht mehr zu retten.
HANDELSBLATT, Sonntag, 13. März 2005, 19:16 Uhr
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