Verdi, die Wachstumsbremse

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Aus der FTD vom 30.12.2002  
Kolumne: Verdi, die Wachstumsbremse
Von Christoph Keese

Kein Gewerkschaftsführer richtet derzeit mehr Unheil an als Frank Bsirske, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. In den vergangenen Wochen lief er regelrecht Sturm: Stur fordert er für den öffentlichen Dienst mehr als drei Prozent Tariferhöhung, obwohl das weit über dem Produktivitätszuwachs liegt und die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden heillos überfordert.

 

Frank Bsirske


Er opponiert gegen jedes Reformprojekt der Regierung - längere Ladenöffnungszeiten, das Bonus-Modell für Krankenkassen, die Rürup-Kommission oder die Abgeltungssteuer. Dabei holt er immer gleich den gröbsten Knüppel heraus. Den öffentlichen Arbeitgebern droht er mit Flächenstreik, der Regierung kündigt er einen "tief greifenden Konflikt mit den Gewerkschaften" an, falls sie "eine grundlegende Kehrtwende" in der Sozial- und Steuerpolitik vollführt. Drohend erinnert er SPD und Grüne an ihr Wahlkampf-Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit. Die Rürup-Kommission zur Reform des Sozialsystems boykottiert er, bevor sie richtig mit der Arbeit angefangen hat - öffentlich spricht er ihr die Chancen auf eine Einigung ab.

Bsirskes Ton ist apodiktisch und klassenkämpferisch. Von den Sozialdemokraten fordert er Freundschaft ein, spricht selber zu ihnen aber wie ein Schutzgelderpresser, der nur so lange nett ist, wie die Gegenleistung regelmäßig kommt. Er wiegelt seine Zuhörer gegen "die Reichen" auf, die dem Staat angeblich zu wenig geben und die man abkassieren kann. Dafür nutzt er den Duktus populistischer Verführer: Nie bringt er Beweise, nie antwortet er auf Sachargumente, stets grenzt er Gegner wie "die Reichen" aus, ohne zu sagen, welche Einkommensgruppen er damit eigentlich meint.



Alles soll bleiben, wie es ist


Damit steht er in der Tradition großer Populisten wie Lenin oder Reagan, die Meister darin waren, dunkle Gefahren zu beschwören und geheimnisvolle Gegner zu skizzieren. Bsirske hat freilich nicht das Format seiner Vorbilder. Sein Terrain sind die Amtsstuben und Vorgärten. Alles soll möglichst so bleiben, wie es ist, dann kann aus seiner Sicht nichts schief gehen. Selbst ein moderater Reformer wie der Bundeskanzler überfordert Bsirskes Vorstellungskraft. Einem Satz wie Gerhard Schröders "Man muss alles ändern, damit es so bleiben kann, wie es ist" würde er nie zustimmen. Bsirske gehört zu jenen Linken, denen immer erst das komplette System über dem Kopf zusammenbrechen muss, bevor sie begreifen, dass irgendetwas nicht stimmt. Er ist ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Schlechte schafft.


Weil Bsirske nicht für sich selbst, sondern für Verdi spricht, ist er mehr als nur ein Ärgernis. Als Chef der Gewerkschaft kann er Streiks auslösen, hat ständigen Zugang zu den Medien und greift über seine Getreuen im Bundestag massiv in die Gesetzgebung ein. Mit seiner Macht könnte er viel dazu beitragen, die Wirtschaftskrise zu beenden. Doch weil Bsirske ökonomische Fakten hartnäckig ignoriert, stellt er eine inzwischen ernste Gefahr für die Volkswirtschaft dar.


 

Bruttoinlandsprodukt ausgewählter Länder


Die wichtigste Tatsache, der Bsirske nicht ins Auge sieht, ist die anhaltende Wachstumsschwäche. Seit 1995 ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) insgesamt nur um zwölf Prozent gewachsen, in Großbritannien aber um 22 Prozent, in Frankreich 20,2 Prozent, in Italien 13,9 Prozent und im Schnitt der 15 EU-Staaten um 19,4 Prozent (siehe Grafik). Damit gibt es hier weniger Wohlstand zu verteilen als anderswo. Lohnzurückhaltung ist kein freundlicher Akt verständnisvoller Arbeitnehmer, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Bsirske will das nicht einsehen.


Er und andere Gewerkschafter überziehen ständig das Konto, weil sie Ursache und Wirkung verwechseln: Sie glauben, höhere Löhne würden das Wachstum ankurbeln. In Wahrheit ermöglicht nur mehr Wachstum höhere Löhne. Mit ihren übertriebenen Lohnforderungen besonders im Osten haben die Gewerkschaften den Standort geschwächt.



Falsche Lohnpolitik


Das hat jüngst Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut herausgearbeitet*. Die Stundenlohnkosten des deutschen Verarbeitenden Gewerbes stehen international an der Spitze. Wichtige Wettbewerber wie Frankreich oder Großbritannien liegen um ein Viertel darunter, obwohl sie Deutschland beim BIP-Wachstum überholt und im Vergleich keine überbewerteten Währungen haben. Diesen Nachteil könnte Deutschland nur wettmachen, wenn die Produktivität die hohen Kosten aufwöge. Doch das ist längst nicht mehr durchgehend der Fall. Sinn sieht darin den wichtigsten Grund für die Wachstumsschwäche.


Wenn Gewerkschaften schon eine übertriebene Lohnpolitik verfolgen, sollten sie wenigstens andere Wachstumshemmnisse abschaffen helfen. Doch genau das Gegenteil tun sie; das kann nicht funktionieren. Jetzt stehen die Funktionäre vor der Wahl: Entweder fordern sie hohe Löhne und stimmen Reformen zu, um sie zu finanzieren. Oder sie verweigern Reformen und zahlen den Preis dafür mit niedrigeren Löhnen. Beides auf einmal geht nicht. Wenn sie es trotzdem verlangen, verschärfen sie die Krise nur noch weiter.


* Hans-Werner Sinn: "Gründe für Deutschlands Wachstumsschwäche", Ifo 23/2002



© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustrationen:  AP, FTD/um

URL des Artikels:     http://www.ftd.de/pw/de/1040979980869.html
 
E-Mail des Autors:   keese.christoph@ftd.de
 

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