"Made in Vietnam" kommt in Mode
Steigende Löhne und die Renminbi-Aufwertung schmälern Chinas Kostenvorteil. Vietnam wird zur ernsthaften Konkurrenz für die chinesische Textilindustrie. Auch deutsche Firmen zieht es an den Mekong.
Das Surren und Klappern der Nähmaschinen erfüllt die neonerleuchtete Halle. Weiße Hemden türmen sich auf den Nähtischen der dunkelhaarigen Vietnamesinnen. Geschäftig wuseln ihre Vorgesetzten, die an gelben T-Shirts zu erkennen sind, durch die sterile Fabrikhalle und kontrollieren die Qualität der Hemden. Hat der Stoff die richtige Farbe? Sitzt die Naht?
Rund 900 Mitarbeiter beschäftigt der Hemdenhersteller Seidensticker aus dem nordrhein-westfälischen Bielefeld in Vietnam. Erst im Herbst 2007 eröffnet, soll das Werk schon bald 2400 Angestellte beschäftigen. Wie die Firma Seidensticker zieht es in letzter Zeit immer mehr ausländische Unternehmen nach Vietnam, vor allem aus dem benachbarten China. "China droht seinen Kostenvorteil zu verlieren, vor allem in den arbeitsintensiven Industrien wie der Textil- oder Spielzeugherstellung", schlussfolgert eine am Mittwoch veröffentlichte Studie der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton.
"Steigende Löhne in China sowie die Aufwertung des Renminbi veranlassen Unternehmen, ihren Standort nach Vietnam zu verlagern", sagt Kaj Grichnik, Geschäftsführer bei Booz Allen Hamilton und einer der Autoren der Studie. Unter 66 multinationalen Unternehmen in China planen knapp 20 Prozent der befragten Firmen, ihren Produktionsstandort zu verlagern, weil die steigenden Löhne und der starke Renminbi auf die Gewinnmargen drücken. Zwei von drei Unternehmen wollen nach Vietnam gehen.
Sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis
Vor allem im Süden Chinas, in der Provinz Guangdong, beobachtet man diese Entwicklung. Hier hatten sich bereits vor 25 Jahren taiwanische Textil- und Spielzeughersteller angesiedelt, die auf niedrige Lohnkosten angewiesen sind. Doch diese Zeiten sind vorbei: "Es gibt Regionen in China, in denen man nicht mehr genügend Arbeitskräfte findet", sagt auch Gerd Oliver Seidensticker, der neun Jahre lang die Asienproduktion des Hemdenherstellers verantwortet hat. Folglich steigen die Löhne. Bei Arbeitern im Schnitt um 7,6 Prozent jährlich, die Managergehälter legen sogar um 9,7 Prozent zu.
"In Vietnam ist das Preis-Leistungs-Verhältnis sehr gut", konstatiert Silvia Jungbauer vom Gesamtverband Textil Mode. In der Textilbranche liegen die Lohnkosten um zehn Prozent unter denen Chinas. "Vor allem im unteren und mittleren Segment hat sich die vietnamesische Textilindustrie sehr gut behauptet", sagt Jungbauer. Inzwischen machen die Ausfuhren von Schuhen und Bekleidung 24 Prozent der schnell wachsenden vietnamesischen Exportindustrie aus. Denn gegenüber Niedriglohnkonkurrenten wie Laos und Kambodscha hat Vietnam einen geografischen Vorteil: "Die lange vietnamesische Küste garantiert kurze Transportzeiten", sagt Chinachef Ronald Haddock von Booz Allen Hamilton. Zudem unterliegt Vietnam - anders als lange Zeit China - keinen Handelsbeschränkungen der EU. "Die Einfuhrquoten auf chinesische Textilien waren ein Problem für uns", sagt Seidensticker. Die Ausfuhrlizenzen mussten teuer gekauft werden. Waren sie vergeben, kam kein Hemd mehr aus China. Zwar sind die Einfuhrbeschränkungen heute aufgehoben. Doch auf Textilien "made in Vietnam" werden keine Einfuhrzölle in die EU fällig, da Vietnam ein Entwicklungsland ist. Waren aus China werden mit zwölf Prozent verzollt.
Mittlerweile zählt jedoch nicht nur das Kostenargument. Auch die Hersteller höherwertiger Produkte zieht es an den Mekong. "Die vietnamesischen Arbeiter sind sehr gut ausgebildet", sagt Seidensticker. Vietnam kann auf jahrelange Erfahrung in der Textilverarbeitung zurückblicken. Aus- und Weiterbildung sind daher auch ein Thema beim heutigen Deutsch-Vietnamesischen Dialogforum anlässlich des Besuchs von Premierminister Nguyen Tan Dung in Berlin.
Von Nachteil für die vietnamesische Industrie ist indes, dass das Land nicht über eine eigene Baumwollproduktion verfügt und damit auch nicht über die gesamte Wertschöpfungskette. Einige Unternehmen, die über steigende Kosten in China klagen, bleiben letztendlich doch im Reich der Mitte, weil der Aufbau einer Zulieferindustrie in Vietnam mit hohen Investitionen verbunden wäre, ergibt die Studie von Booz Allen Hamilton.
Von Christiane von Hardenberg
Quelle: Financial Times Deutschland
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