Droht vielen Kleinanlegern bald der Rauswurf? Von Monika Lier
"Fairer Preis" bei geplanter Abfindung von Minderheitsaktionären sorgt für viel Unmut. Einstieg in Titel mit geringem Streubesitz kann lohnen.
Als der Neue Markt so richtig in Schwung kam, entschlossen sich die Eigentümer der XY AG, 30 Prozent ihrer Anteile an die Börse zu bringen. Einem hohen Emissionspreis folgte ein kurzes Kursfeuerwerk. Dann verließ Analysten und institutionelle Anleger die Euphorie für die XY-Branche. Managementfehler und eine verfehlte Kommunikationspolitik taten ein Übriges, den Kurs weit unter das Ausgabeniveau zu drücken.
Ein Gründeraktionär glaubte unverdrossen an den Erfolg seiner XY AG, übernahm die Anteile der übrigen Altgesellschafter und kaufte sukzessive Aktien an der Börse hinzu. Dann machte der Mehrheitsaktionär von der Möglichkeit des so genannten Squeeze-out Gebrauch und fand die wenigen verbliebenen Privatanleger ab.
Die Höhe der legalen Zwangsabfindung war meilenweit vom einstigen Emissionskurs entfernt - denn ihre vom Gesetzgeber definierte Richtgröße war der durchschnittliche Börsenkurs des letzten halben Jahres.
So oder so ähnlich könnte es künftig Privatanlegern ergehen. Denn das geplante "Gesetz zur Regelung von Unternehmensübernahmen" wird dem Hauptaktionär die zwangsweise Abfindung der so genannten Streubesitzaktionäre erlauben, sofern diese weniger als fünf Prozent aller Unternehmensanteile halten.
Gesetz tritt 2001 in Kraft
Die Beteiligung von Minderheitsaktionären stelle einen erheblichen - kostspieligen - Formalaufwand dar, der sich aus der Beachtung zwingender minderheitsschützender Normen ergebe, heißt es im Entwurf für das Gesetz, das eigentlich schon in diesem Herbst, wegen Verzögerung bei der EU-Übernahmerichtlinie nun aber erst im kommenden Jahr in Kraft treten soll. "Rund 600.000 DM fallen im Durchschnitt allein für die Vorbereitung und Durchführung einer Hauptversammlung an. Selbst bei kleineren Gesellschaften kommen wegen der vielen Formalitäten schnell 300.000 DM zusammen", erklärt Lars Labryga von der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre.
Aber nicht nur weil die Verwaltung und Information von Kleinaktionären teuer ist, soll die bereits in einigen EU-Mitgliedsstaaten praktizierte Regelung auch im deutschen Aktienrecht Einzug halten. Die Praxis zeige, so der Entwurf, dass Kleinstbeteiligungen oftmals im Zusammenhang mit Anfechtungsklagen missbraucht würden, um den Mehrheitsaktionär bei der Unternehmensführung zu behindern und ihn zu finanziellen Zugeständnissen zu veranlassen.
Die Minderheitsaktionäre würden, so betont der Gesetzgeber, aber nicht enteignet, sondern der Hauptaktionär werde "zu einer Umgestaltung der privatrechtlichen Beziehung zwischen den Aktionären bei bestimmten Mehrheitsverhältnissen ermächtigt". Für den Verlust seiner Rechtsposition solle der Aktionär "wirtschaftlich voll" entschädigt werden.
Streit um den "fairen Preis"
Dem Entwurf liegen viele Abhandlungen über den "fairen Preis" zugrunde. Doch genau das ist der wunde Punkt. "Da der Hauptaktionär den Sachverständigen zur Bewertung selbst bestellen darf, rechnen wir nicht mit vernünftigen Angeboten", ist Labryga pessimistisch. Laut Entwurf soll sich die Abfindung am durchschnittlichen Börsenkurs des letzten halben Jahres orientieren, beziehungsweise diese darf, sofern der Hauptaktionär in dieser Zeit selbst noch Aktien erworben hat, 85 Prozent des Börsenhöchstkurses der vergangenen sechs Monate nicht unterschreiten.
"Als Folge dieser Regelung werden bestimmt einige Kurse systematisch nach unten gepflegt werden", fürchtet Carsten Heise von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Die Kurse von Gesellschaften mit geringem Streubesitz seien ohnehin wenig aussagefähig. Schließlich ist ihr Handelsvolumen meist nur klein und damit sehr störanfällig.
Selbst beim deutschen Aktieninstitut, das ob seiner Mitgliederstruktur mit börsennotierten Unternehmen naturgemäß andere Interessen vertritt, rechnet man mit Bewertungsproblemen, die letztlich wieder Spruchstellenverfahren nach sich ziehen werden. Doch die Überprüfung der angebotenen Barabfindung vor den Landgerichten mit Gutachten, Gegengutachten und Obergutachten braucht Jahre. "Das Spruchstellenverfahren ist für den Aktionär ein dornenreicher Weg, um zu seinem Recht zu gelangen", urteilt Heise.
"Wer es sich leisten kann, sollte Abfindungsangebote überprüfen lassen", rät Labryga. "Denn der Ausgang der Spruchstellenverfahren, die vor Jahren auf Grund anderer unternehmerischer Entscheidungen wie Fusionen und Beherrschungsverträgen angestrengt wurden, zeigt, wie groß die Bewertungsspielräume für die Wirtschaftsprüfer sind. Die Quote der Nachbesserungen zu Gunsten der Kleinaktionäre ist enorm hoch."
Keine Alternative zum Spruchstellenverfahren
Eine Alternative zu den im Regelfall ein Jahrzehnt währenden Spruchstellenverfahren hat der Gesetzgeber nicht. Beim Aktieninstitut in Frankfurt hofft man, dass der Ende September in Leipzig stattfindende Juristentag eine Lösung findet, wie das Procedere abgekürzt werden kann.
Die Aktionärsschützer wünschen sich, dass die Minderheitsaktionäre über die Abfindungshöhe abstimmen. Denkbar wäre eine erforderliche Zweidrittelmehrheit, wie sie das Aktienrecht auch in anderen, gesellschaftsrechtlichen Fällen vorgibt.
Wie viele Unternehmen vom Squeeze-out Gebrauch machen werden, bleibt abzuwarten. In Branchenkreisen hat man bereits potenzielle Kandidaten ausgemacht.
Unternehmen wie Felten & Guilleaume oder die Rheinisch-Westfälischen Kalkwerke passen als kapitalmarktorientierte AGs nicht in die mittelständischen Gruppen ihrer Hauptaktionäre (Moeller-Gruppe beziehungsweise Readymix). Die Kölner Ford-Werke gelten allgemein nur als Anhängsel innerhalb der europäischen Gruppe. Über kurz oder lang könnten aber auch Alcatel SEL, Mannesmann Vodafone, Hoechst und Schmalbach-Lubeca vom Kurszettel verschwinden.
Für Privatanleger wird der Blick auf die Aktionärsstruktur vor dem Hintergrund der geplanten Gesetzesänderung wichtiger denn je. Der Einstieg bei einem vom Squeeze-out-bedrohten Unternehmen kann lohnen, wenn der durchschnittliche Börsenkurs deutlich geringer ist als die zu erwartende Nachbesserung durch das Spruchstellenverfahren.
Spruchstellenverfahren sind zwar für den Aktionär kaum mit Kosten verbunden, und Nachbesserungen werden verzinst, doch für die Durchsetzung der Rechte braucht es einen langen Atem. Und außerdem die Kenntnisse darüber, ob der Börsenkurs den wahren Unternehmenswert nicht vielleicht doch wiedergibt. |