Auszug aus dem Gutachten der Monopolkommission (2021). Viel Text, aber durchaus lesenswert, um zu verstehen, warum es mit dem Wettbewerb hakt...
... 2.3 Wettbewerbsfähigkeit der Diensteanbieter im Mobilfunk erhalten
Diensteanbieter sind Mobilfunkanbieter, die über kein eigenes Mobilfunknetz verfügen (sog. Mobile Virtual Network Operator – MVNO). Diese Anbieter sind daher darauf angewiesen, dass sie Zugang zu ei- nem oder mehreren Mobilfunknetzen der etablierten Mobilfunknetzbetreiber haben. Unabhängige, in Deutschland aktive Diensteanbieter sind unter anderem 1&1, Freenet, Lebara, Sipgate und Transatel. Diese bieten teilweise Verträge für Privatkundinnen und Privatkunden an, sind aber mitunter auch im Be- reich des Internet der Dinge und Industrie 4.0 tätig und tragen daher aktiv zu Innovationen am Markt bei. Bei funktionierendem Wettbewerb zwischen Mobilfunknetzbetreibern auf dem Vorleistungsmarkt für den Zugang zu öffentlichen Mobilfunknetzen können Diensteanbieter einen angemessenen Vorleistungs- preis und angemessene technische Zugangsbedingungen mit einem oder mehreren Netzbetreibern aus- handeln. Für den Netzbetreiber ist es in einer solchen Situation vorteilhaft mit dem jeweiligen Dienstean- bieter einen Vertrag abzuschließen, weil er an den Umsätzen und Gewinnen partizipiert. Schließt er den betreffenden Vertrag hingegen nicht ab, läuft er Gefahr, dass die Umsätze einem konkurrierenden Netzbe- treiber zufallen, mit dem der Diensteanbieter stattdessen einen entsprechenden Zugangsvertrag abschließt. Ein solcher Wettbewerb zwischen Netzbetreibern um Diensteanbieter auf dem Vorleistungsmarkt versetzt Diensteanbieter in die Lage, Vorleistungen günstig einzukaufen. Auf dieser Grundlage können sie auf den verschiedenen Endkundenmärkten wettbewerbsfähige Telekommunikationsdienstleistungen anbieten und den Wettbewerb auf diesen Märkten beleben.
Die Befragung von Diensteanbietern durch die Monopolkommission hat Zweifel aufgeworfen, ob ein funktionierender Wettbewerb auf dem Vorleistungsmarkt für den Zugang zu öffentlichen Mobilfunknetzen in Deutschland existiert.
Die Diensteanbieter berichten übereinstimmend von im europäischen Vergleich außerordentlich hohen Vorleistungspreisen in Deutschland und Problemen bei Verhandlungen mit den etablierten Netzbetreibern. Insbesondere wird berichtet, dass bei Verhandlungen über den Zugang zu 5G aufseiten der drei Mobilfunknetzbetreiber nicht erkennbar sei, dass ein erfolgreicher Vertragsabschluss angestrebt wird. Nach Informationen der Monopolkommission verfügt unter den unabhängigen Dienstean- bietern derzeit lediglich 1&1 über einen Vorleistungszugang zu einem 5G-Netz. Für den Erfolg von 1&1 bei den betreffenden Verhandlungen mit Telefónica könnte indes ausschlaggebend gewesen sein, dass Te- lefónica entsprechende Auflagen für den Zugang zu seinem Mobilfunknetz im Rahmen der Fusion mit E- Plus gegenüber 1&1 als die Rechtsnachfolgerin der Drillisch AG zu erfüllen hat.
Die genannten Indizien könnten auf ein Marktversagen hindeuten. Dafür spricht auch eine nationale Besonderheit im deutschen Mobilfunkmarkt. Die drei in Deutschland aktiven Mobilfunknetzbetreiber Deut- sche Telekom AG, Telefónica und Vodafone gehören zu den größten Telekommunikationsunternehmen in Europa. Das bedeutet, dass diese auf einer Vielzahl von nationalen Telekommunikationsmärkten aufeinan- dertreffen. Empirische Studien zeigen, dass solche Multi-Markt-Kontakte in Mobilfunkmärkten eine sog. „stillschweigende Kollusion“ begünstigen können. In einer solchen Situation steht ein Mobilfunknetzbe- treiber exemplarisch z. B. vor der folgenden Wahl:
(a) Der Netzbetreiber kann mit einem Diensteanbieter einen Vertrag abschließen. Durch diesen Vertragsab- schluss partizipiert der Netzbetreiber an dem vom Diensteanbieter generierten Umsatz. Gleichzeitig erhöht sich der allgemeine Wettbewerbsdruck am Endkundenmarkt durch die Präsenz des Diensteanbieters. Wäh- rend der Netzbetreiber, der den Vertrag abgeschlossen hat, unter dem Strich durch den höheren Umsatz profitiert, erleiden die konkurrierenden Netzbetreiber durch den allgemein höheren Wettbewerbsdruck einen Nachteil. Außerdem signalisiert der Netzbetreiber durch den Vertragsabschluss den konkurrierenden Netzbetreibern, dass er auch in anderen Ländern bereit sein könnte, solche Verträge mit Diensteanbietern abzuschließen und dadurch den allgemeinen Wettbewerbsdruck am Endkundenmarkt auch in diesen Län- dern zu erhöhen. Die Reaktion der Wettbewerber auf einen solchen Vertragsabschluss wird folglich so aus- fallen, dass sie ihrerseits in den anderen Ländern vergleichbare Verträge mit Diensteanbietern abschließen, um dort selbst von höheren Umsätzen zu profitieren. Dadurch wird auch in diesen Ländern der Wettbe- werbsdruck erhöht.
(b) Der Netzbetreiber kann davon absehen, mit einem Diensteanbieter einen Vertrag abzuschließen. Dadurch signalisiert er seinen Konkurrenten, dass er auch in anderen Ländern auf solche Vertragsabschlüs- se verzichten wird. Wenn alle Netzbetreiber entsprechend dieser Strategie handeln, kann der von potenzi- ellen Diensteanbietern ausgehende Wettbewerbsdruck zum Vorteil aller Mobilfunknetzbetreiber vermieden werden.
Die Bundesnetzagentur hat das möglicherweise bestehende Marktversagen im Rahmen der Mobil- funkfrequenzvergabe im Jahr 2019 adressiert, indem sie den Mobilfunknetzbetreibern ein Verhandlungsge- bot gegenüber Diensteanbietern auferlegt hat.231 Die Bundesnetzagentur hat zudem zugesichert, dass sie die Verhandlungen in einer „Schiedsrichterrolle“ begleitet.232 Das Verhandlungsgebot beinhaltet lediglich eine Pflicht zur Aufnahme von Verhandlungen und stellt keinen Anspruch auf einen erfolgreichen Abschluss dieser Verhandlungen dar.233 Dementsprechend ist bisher nicht ersichtlich, dass die Bundesnetzagentur in ihrer Schiedsrichterrolle Einfluss auf den Inhalt der Verhandlungen nimmt. Es scheint dem Verständnis der Bundesnetzagentur zu entsprechen, dass sie in erster Linie sicherstellt, dass die Netzbetreiber mit den Diensteanbietern generell Verhandlungen aufnehmen.
Derzeit ist für die Monopolkommission nicht klar erkennbar, ob dieses Vorgehen ausreicht, um das möglicherweise vorhandene Marktversagen zu beheben. Sollten positive Erfahrungen mit dem Verhand- lungsgebot weiterhin ausbleiben, empfiehlt die Monopolkommission zu prüfen, ob ein schärferes Regulie- rungsinstrument notwendig ist. Beispielsweise könnte bei der nächsten Frequenzvergabe den Mobilfunk- netzbetreibern eine Diensteanbieterverpflichtung auferlegt werden. Diese sollte sowohl Full-MVNOs, die über ein eigenes Kernnetz verfügen, als auch Light-MVNOs, die sich auf den Wiederverkauf spezialisiert haben, einschließen. Eine solche Diensteanbieterverpflichtung hatte es bereits bei der Vergabe der UMTS- Frequenzen gegeben. Entsprechend § 4 Abs. 2 Satz 2 TKV-alt234 durfte ein Netzbetreiber den Diensteanbie- tern keine ungünstigeren Zugangsbedingungen einräumen als dem eigenen Vertrieb oder verbundenen Unternehmen, es sei denn, dass dies sachlich gerechtfertigt ist.
Kapitel 2 · Mobilfunk 61 142. Die Auferlegung einer Diensteanbieterverpflichtung wäre gemäß § 105 TKG-2021 möglich. § 105 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 TKG-2021 nennt die Gewährung des Vorleistungszugangs und nationales oder regio- nales Roaming als mögliche Maßnahmen zur Förderung von wirksamen Wettbewerb. § 105 Abs. 2 S. 3 TKG- 2021 verlangt für die Prüfung der Regulierungsbedürftigkeit (1) die objektive und vorausschauende Beurtei- lung der Wettbewerbsverhältnisse, (2) die Beurteilung, ob die Maßnahme zu Erhaltung und Erreichung eines wirksamen Wettbewerbs erforderlich ist und (3) die Beurteilung der Wirkung auf Investitionen in den Netzausbau. Insgesamt ist davon auszugehen, dass der Bundesnetzagentur bei der Bewertung, ob die Vo- raussetzungen für die Auferlegung einer Diensteanbieterverpflichtung vorliegen und wie diese gegebenen- falls auszugestalten wäre, ein weitreichendes Regulierungsermessen zusteht. ... https://www.monopolkommission.de/images/PDF/SG/...kation_volltext.pdf |