Biotech „Deutschland ist ein Billiglohnland” Von Carsten Knop
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24. November 2004 "Die deutsche Biotechnologie-Branche erwartet nach zwei schwierigen Jahren eine Trendwende." Solche Aussagen, zuletzt von der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie, bleiben an der Börse ohne Wirkung.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die Aktie des Martinsrieder Biotech-Unternehmens Morphosys zur Zeit zu den heißesten Werten am Aktienmarkt gehört. Auch wenn sich der Kurs von Morphosys nach guten Quartalszahlen und neuen Partnerschaftsabkommen seit August in der Spitze mehr als verdoppelt hat, haben zu viele Anleger mit den Aktien der Branche in den vergangenen Jahren Verlust gemacht. Umfeld in Deutschland „gar nicht so schlecht” Erschwerend kommt hinzu, daß noch kein deutsches Unternehmen den Markterfolg einer Schweizer Serono oder Actelion, geschweige denn der großen amerikanischen Unternehmen der Branche erzielt hat. "Es ist schon traurig, daß wir mit unseren 145 Mitarbeitern zu den größten deutschen Biotechunternehmen gehören", sagt Oliver Schacht, Finanzvorstand der Berliner Epigenomics, am Rande des Deutschen Eigenkapitalforums in Frankfurt. Mitarbeiter in Amerika rund 30 Prozent teurer Dabei sei das Umfeld in Deutschland gar nicht so schlecht. "In der Biotech-Branche ist Deutschland ein Billiglohnland", sagt Schacht. Die Mitarbeiter in Amerika seien "rund 30 Prozent teurer", und Schwierigkeiten, in Berlin qualifizierte Leute zu finden, gebe es auch nicht. "Schließlich gibt es allein in der Stadt drei Universitäten." Über die Lohnnebenkosten müsse er ebenfalls nicht klagen. Allerdings gibt es viele Vorschriften Der einzige Unterschied: "Hier ist vieles gesetzlich vorgeschrieben, in Amerika freiwillig, eben vom Markt vorgegeben." Ein größeres Problem ist die kritische Einstellung der deutschen Kapitalanleger, mit der Epigenomics, das erste deutsche Biotech-Unternehmen, das seit 2001 den Gang an die Börse gewagt hat, erst seine Erfahrungen machen mußte. "Den Schritt auf das Frankfurter Parkett haben wir zwar nicht bereut", sagt Schacht. Doch sei es erstaunlich gewesen, daß in einigen Berichten zum Börsengang vor allem von den im Emissionsprospekt - pflichtgemäß - aufgezählten Risiken die Rede gewesen sei. In Amerika gingen die Anleger mit den Bilanzen von Biotech-Unternehmen professioneller um: "Die haben eben schon mehrere Zyklen von Hochs und Tiefs an der Börse hinter sich", sagt Schacht. Börsengang von Epigenomics nur mit Unterstützung gelungen Erst nach einer Verschiebung und der deutlichen Absenkung der Preisspanne war Epigenomics schließlich der Börsengang gelungen. Der Emissionspreis lag mit 9 Euro am unteren Ende der vorherigen Erwartungen. Derzeit notiert das Papier zu Kursen um 7,70 Euro. Das ist nicht befriedigend, doch tröstet sich Schacht mit der Feststellung, daß Epigenomics das eingelöst habe, was man versprochen habe. Pfizer und Biogen wurden als neue Partner gewonnen, in der Zusammenarbeit mit Roche Diagnostics wurde ein wichtiger Meilenstein erreicht. Gleichwohl: Der Börsengang wäre wohl gescheitert, wäre das Schweizer Biotech-Beteiligungsunternehmen BB Biotech nicht über den Kauf von 1 Million Aktien im großen Stil bei Epigenomics eingestiegen. "Die Technologie von Epigenomics ist nach unserer Meinung absolut führend", sagt Christian Lach von der Bellevue Asset Management AG, die für BB Biotech das Beteiligungsportfolio verwaltet, zur Begründung für den Kauf. Risiken, mit denen deutsche Anleger nicht mehr umgehen wollen Epigenomics ist auf dem Gebiet der Molekulardiagnostik tätig und konzentriert sich auf die Krebsdiagnostik. Die Grundlage hierfür ist die sogenannte DNS-Methylierung, die Untersuchungen mit vergleichsweise geringem Aufwand ermöglicht. Dabei werden Biomarker für jede Art von diagnostischer Fragestellung im menschlichen Genom identifiziert. "Klar ist aber auch: Dabei handelt es sich trotz aller Hoffnungen um ein wissenschaftliches Experiment, über dessen Gelingen wir erst mit der Vorlage der Ergebnisse klinischer Studien in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres genauer Bescheid wissen", räumt Lachs Kollege Edwin van der Geest ein. Genau dieses Risiko ist es, mit dem viele deutsche Anleger nicht mehr umgehen wollen, vor dem aber auch professionelle Vermögensverwalter nicht gefeit sind. Beispiel Actelion: Das Schweizer Unternehmen hat Anfang November eine klinische Studie des Medikaments Veletri gegen akutes Herzversagen gestoppt. Nach dieser Nachricht ist der Aktienkurs eingebrochen. Denn von Veletri wurde ein starker Wachstumsimpuls und ein jährlicher Umsatz von 400 bis 800 Millionen Dollar erwartet. Actelion hätte damit seinen Gesamtumsatz verdoppeln können. Derartige Entwicklungen bleiben nicht ohne Auswirkung auf BB Biotech, die rund 11 Prozent des Actelion-Kapitals hält. Doch stehen diesen Risiken der Branche eben auch erhebliche Chancen gegenüber, die sich innerhalb von Holdinggesellschaften oder Fonds durchaus ausbalancieren lassen. Ein Beispiel hierfür ist die BB Biotech-Beteiligung am amerikanischen Unternehmen Eyetech, das in diesem Jahr ebenfalls an die Börse gegangen ist. Vor dem Börsengang war die Eyetech-Beteiligung bei BB Biotech nur mit 7 Dollar je Aktie bilanziert. Zur Zeit notiert das Papier zu Kursen um 43 Dollar. Die Nachfrage wird nicht zu bremsen sein Vor einem Kurssprung könnte nach Meinung von BB Biotech auch Epigenomics stehen, aber wohl nur dann, wenn die Studienergebnisse im kommenden Jahr gut ausfallen. Bis dahin wollen sich die Berliner vom wichtigen Partner Roche ein wenig unabhängiger machen, weitere Partnerschaften eingehen und auch eigene Entwicklungen forcieren. Geht alles gut, sind aus der Roche-Kooperation vom Jahr 2007 an laufende Umsätze zu erwarten. Dann wird es für Finanzvorstand Schacht vielleicht auch einfacher, seinen Aufsichtsratschef frühzeitiger mit tragfähigen Budgets für das kommende Jahr zu versorgen. Denn der heißt Rolf Krebs und war früher Chef bei Deutschlands größtem Pharmahersteller Boehringer Ingelheim, der sich inzwischen als Auftragsproduzent für diverse Biotech-Unternehmen einen Namen gemacht hat. Für van der Geest und Lach ist die grundsätzliche Beziehung der Pharmaindustrie zur Biotechnologie dann auch der entscheidende Grund für ihre optimistische Grundeinschätzung der Biotech-Unternehmen: "Die Innovationsschritte im Biotech-Bereich sind viel größer. Die Nachfrage nach Therapieansätzen in Krankheiten, die bisher nur schlecht oder gar nicht behandelbar sind, wird nicht zu bremsen sein." Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.11.2004, Nr. 275 / Seite 20 Bildmaterial: dpa |