War klar, dass der hier wieder seinen Senf dazu geben muss.
"Der Hitler hat ja in einem Maße dieses Land in Bewegung gebracht, was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Er hat in den 30er Jahren, was bis in die 40er, 50er - man kann sagen - in die 60er Jahre weitergewirkt hat, den Leuten einen Elan vermittelt, der vollkommen von uns gewichen ist." - Arnulf Baring im Nachtstudio des ZDF, 9. November 2003
Feuilleton Wiglaf Droste Auf der Baring-Barrikade Zwanghaft und irgendwie süß: Immer wieder im Spätherbst treibt es die Deutschen zur Revolution Gewaltiger Wind tost über Deutschland im dunkelkalten, nassen Spätherbst 2002, jault und pfeift, zerrt an Fenstern und Türen und rüttelt – endlich! – die verpooften Landsleute wach. Revolution, ha! – und diesmal nicht ausgerufen von schwäbischen Splitterbrötchen zum 1. Mai in Berlin, sondern von Leuten, die voll die Kenne haben, weil sie nichts so hassen wie Umsturz und Revolte: von Redakteuren der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der »Zeitung für Deutschland«. Sie rufen den »nationalen Notstand« aus, und sie sind nicht allein damit. Bild-Leser stellen eine alte stern-Kampagne nach, mit neuem Text: Aus dem gutmütigen Bekenntnis »Wir haben abgetrieben« ward ein wütendes »Kanzler, uns reicht’s!«
Als Führer der nationalen Erhebung bietet sich ein alter Herr auf: Arnulf Baring, 70, hervorgetreten als Haus- und Hofhistoriker erst Willy Brandts wie später Helmut Kohls, verlangt im Feuilleton der FAZ den »Aufstand gegen das erstarrte Parteiensystem« und feuert seine Leser zu »passivem und aktivem Widerstand« an, zu »empörten Revolten«. Bild multipliziert die Flammenwerferrhetorik und ernennt Baring zu »unserem bedeutendsten Historiker«. Den Titel des bedeutendsten Bild-Historikers muß sich Baring aber noch mit dem Hitler-Verlängerer und Führer-Dauerneuaufgießer Guido Knopp teilen.
Den dicken Worten, das ist klar, müssen Barings Truppen Taten folgen lassen. Was wird geschehen? Eine neuerliche Novemberrevolution? Die FAZ fordert immerhin zum Sturm auf den Reichstag auf. Wird also ein Freikorps »Arnulf Baring« ausgehoben? Marschieren bayerische Milizen auf Berlin, im Gleichschritt mit einer Todesstrafeschwadron unter der Führung Günter Becksteins? Wird, im Gegenzug, Claudia Roth einen ihrer schrecklichen Schals um sich schlingen und, diesmal in der Rolle der Indira Gandhi, abermals furchtbar lästig fallen und es als einzige nicht merken? Wird Sahra Wagenknecht das Bein nachziehen und die Rosa Luxemburg geben? Der Spitzel Diether Dehm den Karl Liebknecht simulieren? Wird Verteidigungsminister Peter Struck überlaufen, auf Gustav Noske machen und alles niederkartätschen, was nicht rechtsradikal und bei drei auf den Bäumen ist?
So hochfahrend die Träume der konservativen Revoluzzer auch sind – in der wirklichen Wirklichkeit geht es kleinteiliger zu. Wir schreiben Montag, den zweiten Dezember 2002. Es ist elf Uhr vormittags, vor dem Springer-Hochhaus in der Berliner Kochstraße lodern Blechtonnenfeuer. Etwa zwanzig Frauen und Männer errichten aus Bauholz und Straßenabsperrungen eine Barrikade. Ihr eher lustloses Engagement treibt einen jungengesichtigen Mann schier zur Weißglut. »Mit diesen Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern ist kein Staat zu machen«, mault Frank Schirrmacher. »Nicht mal ein Unrechtsstaat wie die DDR!«, hechelt er in sich hinein. Behende schnappt er sich eine Forke, rammt sie in diverse Hintern und treibt zur Arbeit, was »faules Pack!« er zu nennen nicht müde wird.
Doch so recht scheint sie nicht vorwärtszukommen, die Revolution. Zwar schaut Eckhard Fuhr vom Feuilleton der Welt vorbei; der passionierte Jäger Fuhr hat den Karabiner geschultert und betrachtet verdrossen das Treiben der zwangsrekrutierten Arbeitskräfte. Aus den Weiten seines Lodenmantels zieht er einen Flachmann hervor und nimmt einen tiefen Schluck, gegen den aufkommenden Defätismus, den er, der gediente Mann, von Herzen verabscheut.
Peu à peu wird die Barrikade fertig. »Wegtreten!«, herrscht Schirrmacher die widerwilligen Arbeitsfrontler an, und weil ihm auch das viel zu langsam geht, hilft er mit den Zinken seiner Forke nach. Er schüttet etwas Benzin aus, zündet es an und stützt sich, endlich zufrieden, auf den Forkenstiel. »Professor, Sie können jetzt rauskommen!«, ruft er in Richtung eines Bauwagens. Aus dieser improvisierten Garderobe lugt zügig ein weißhaariger Kopf hervor – dann erscheint Arnulf Baring in Gänze. Er hat eine Rotkreuzdecke wie eine Toga über den Grillrostleib geworfen und schreitet gen Barrikade. Winkende und frohlockende Menschen eilen ihm entgegen und stecken dem rüstigen Revolutionär Stullen und Thermoskannen zu. Es sind die zwangsverpflichteten Stütze-Empfänger, die von Schirrmacher jetzt in die Rolle von Jubelpersern gepreßt beziehungsweise gepiekst werden. Baring grüßt nach Art des Papstes; geschmeichelt erklimmt er die Barrikade und wiederholt noch einmal die Topoi seiner Botschaft: »Schurkenstaat ... Servicehölle ... Steuerschraube ... Scharmützel ... Aufstand der Anständigen ...!« Baring unterbricht sich. »Nein, das letzte gildet nicht«, sagt er. »Streichen Sie das.« Die Jubelperser, die jetzt Reporter spielen müssen, zücken Kulis und Notizblöcke und streichen. »Meine Damen und Herren, liebe Neger«, ruft Baring emphatisch. »Es ist mir eine besondere Freude, daß ich heute zu Ihnen hier in ...«, er hält erneut inne, »in ... in ... äh ... Helmstedt spreche.«
»Los, Beifall!« zischt Schirrmacher und läßt abermals die Forke sprechen. Die Zwangsverpflichteten werfen ihre Schreibwaren weg und applaudieren. Ein Sportwagen fährt vor und hält mit quietschenden Reifen. Dieter Bohlen, Paladin der Bild, hat es doch noch geschafft. Dr. Katja Kessler ist bei ihm. Das literarische Duett hievt sich die Barrikade hoch. Baring grüßt majestätisch; Eckhard Fuhr gibt aus seiner Flinte drei Salutschüsse in die Luft ab. Oder Salatschüsseln? Er weiß es selbst nicht mehr.
Frank Schirrmacher hält es nicht länger – er stürmt zu seinen Kameraden. Die vier auf der Barrikade sehen so zwangsgekoppelt aus wie ein Wahlkampfführungsteam der Grünen, nur besser angezogen – mit Ausnahme von Arnulf Baring, der in seiner Toga und seinen Sandalen einen äußerst albernen Eindruck hinterläßt. Dieter Bohlen hebt die Stimme und beginnt zu singen. »Aufstand, leistet Widerstand, Schröder an die Wand, für das Vaterland, Brillanten an der Hand, yeah...!«
Kessler und Schirrmacher stimmen ein. Baring frieren die Tränen und das weißliche Mundwinkelsmegma fest, er kann nicht mitsingen. Eckard Fuhr zieht die Klappen seiner Jagdmütze über die Ohren und nimmt reißaus. Die Dienstverpflichteten zünden Dieter Bohlens Auto an und tanzen nackicht ums Feuer. Frank Schirrmacher, der diese Katastrophe ohnmächtig mit ansehen muß, weiß, was sich für einen Feldherrn gehört und stürzt sich pathetisch in seine Forke, trägt als geschulte Als-ob-Existenz aber selbstverständlich eine forkensichere Weste. Jaulend hält er sich den Bauch und markiert den Harakiritod. Katja Kessler knipst den Heroenposeur und entwirft im Geiste ihre Bild-Kolumne: »So stirbt ein wahrer Römer...«
Bohlen versucht, sein brennendes Auto zu löschen, wird jedoch von den ekstatisch tanzenden Zwangsarbeitern kompetent vermöbelt. Arnulf Baring steht allein auf der Barrikade und träumt von Deutschland. Erst der verschollen geglaubte Heinrich Lummer, der mit einer Hundertschaft Skinheads in Eilmärschen aus Zehlendorf zum Zentrum der Revolution gelangt ist, vermag Baring zu wecken. Lummer, der ehemalige Berliner Innensenator, nimmt Napoleonhaltung an. »Verhaften!«, befiehlt er. »Und dann« – er zieht die rechte Hand vielsagend waagerecht unterm Kinn durch – »Methode Rattay. Ihr wißt schon.«
Ein Skinheadführer salutiert. »Ist klar. Mit dem Bus überfahren. Wie es die Kameraden vor zwanzig Jahren mit dieser Zecke Klaus Jürgen Rattay gemacht haben.« Lummer nickt. Plötzlich ist die Luft voll Blaulicht und Tatütata. Eckhard Fuhr hat statt des LKA versehentlich das LKH alarmiert; die Männer in den weißen Jacken sammeln die Reste ein. »Aber ich bin die Gattin des Bild-Chefredakteurs!« echauffiert sich Katja Kessler. »Klar. Und ich bin die Kaiserin von China!« kontert der massige Krankenpfleger und packt die Klatschkolumnistin beim Schlafittchen.
Die Sozialhilfeempfänger filzen den sich tot stellenden Schirrmacher; in den Taschen des angeblich Selbstgeforkten finden sie eine gefälschte Habilitationsschrift, das Modell eines neuen Supergenoms und den Masterplan zur Erringung der Weltherrschaft. Sie lassen das nutzlose Zeug liegen, fleddern dem FAZ-Herausgeber die Armbanduhr und die Schuhe weg und verschwinden. Es ist 16 Uhr 15. Dunkelheit und Kälte senken sich über Berlin, über Deutschland. Die Revolution ist vorbei. Anschließend trifft sich alles zum gemütlichen Beisammensein im unweit gelegenen Café Stresemann.
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