Krisenpropheten contra Zweckoptimisten von Bettina Seidl Wohin geht der Dax im nächsten Jahr? Die Prognosen der Banken könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie schwanken von 2.500 bis 7.400 Punkten. Optimisten errechnen daraus den Durchschnitt von 5.250 Punkten. Die Prognosen stammen aus einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters unter den Volkswirten der großen Banken. Im Schnitt tippen die 27 befragten Aktienexperten den Dax Ende 2009 auf 5.250 Punkte. Das wäre ein Anstieg von 10 Prozent im Vergleich zu dem derzeitigen Indexstand. Daraus wird dieser Tage die hoffnungsvolle Botschaft gemacht: Experten rechnen mit steigenden Aktienkursen 2009.
Die Aussicht auf Kurserholung kommt in Krisenzeiten wie diesen natürlich gut an. Es ist wie Balsam für die gebeutelte Anlegerseele. Viele Depots sind in den vergangenen zwölf Monaten auf einen Bruchteil geschrumpft. Allein der Dax ist in diesem Jahr um gut 40 Prozent abgestürzt. Zwischenzeitlich hatten sich die Kurse gegenüber dem Jahresschlussstand 2007 bei 8.067 Zählern ziemlich genau halbiert. Im Oktober erreichte der Dax mit 4.014 Zählern den niedrigsten Wert seit Herbst 2004. Zu viel Optimismus im Markt Nach derart verlustreichen Monaten klammern sich auch die Privatinvestoren an die Aussicht auf Kurserholung. 43 Prozent der Anleger erwarten steigende Kurse in den nächsten 6 Monaten. Die Hoffnung geht zuletzt unter, der Anleger greift nach jedem Strohhalm. Der ist aber dünn, klein und zerbrechlich. Mal abgesehen davon, dass zu viel Optimismus an der Börse ein schlechtes Zeichen ist – ein Zeichen dafür, dass es tendenziell mit den Kursen an den Aktienmärkten eher weiter abwärts geht.
Überdies ist der Wert von Prognosen generell fraglich und scheint von Zweckoptimismus durchdrungen. Die Prognosen Ende 2007 hätten jedenfalls falscher nicht sein können. Hätten die Experten vor einem Jahr richtig geschätzt, stünde der Dax jetzt bei 8.500. Fragen muss sich zudem jeder, wie viel Aussagekraft eine durchschnittliche Kurssteigerung von 10 Prozent auf Jahressicht hat, wenn der Dax derzeit so wankelmütig ist, und schon mal an einem Tag 10 Prozent schwankt?
Das wichtigste Argument gegen optimistische Prognosen ist aber: Niemand weiß derzeit, wie schlimm die Rezession wird. Das Risiko ist groß, dass es in Deutschland und der Welt wirtschaftlich noch stärker abwärts geht als erwartet. Dass es eine wahre Abwärtsspirale gibt: Die Konjunkturschwäche löst massive Arbeitsplatzverluste aus. Dadurch bricht die Kaufkraft der Verbraucher weg. Unternehmen fehlen die Umsätze – und sie müssen noch mehr Stellen streichen.
Düstere Rezessionsszenarien Immer wieder gibt es neue Hiobsbotschaften: Schlechter als erwartete Arbeitsmarktdaten, Rückgänge beim Auftragseingang, revidierte Gewinnprognosen. Deutschland als Exportweltmeister könnte von dem globalen Abschwung im kommenden Jahr besonders getroffen werden. Uns droht 2009 die tiefste Rezession in der Bundesrepublik, so die düsteren Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute.
Während die Bundesregierung noch ein Mini-Wachstum von 0,2 Prozent prognostiziert, sieht das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung einen Einbruch des Brutto-Inlandsproduktes von 2 Prozent. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, ist sogar noch pessimistischer: Im schlimmsten Fall drohe ein Einbruch von vier Prozent - die Wahrscheinlichkeit dafür liege bei 30 Prozent.
Banken beschwören steigende Kurse Dennoch wagen viele Banken, für den Aktienmarkt steigende Kurse vorherzusagen. Die Hoffnung auf steigende Kurse ruht vor allem auf dem Staat: Konjunkturprogramme und Zinssenkungen der Notenbanken werden nach Einschätzung von Experten im nächsten Jahr greifen und zur Bodenbildung beitragen. Die Wirtschaft bleibe zwar noch für eine Weile angeschlagen. Aber die schlechten Nachrichten sollten irgendwann in den Kursen enthalten sein, sind sich viele Experten einig. Schließlich nimmt der Aktienmarkt die Entwicklung der Realwirtschaft vorweg.
Wann diese Erholung an den Börsen einsetzt, darüber sind sich die Experten uneins. Während Dresdner-Bank-Chefvolkswirt Michael Heise schon zum Ende des ersten Quartals die Trendwende sieht, rechnet HSBC-Investmentexperte Christian Heger erst zur Jahresmitte mit einem Aufschwung der Aktienkurse. Auch Marktanalyst Heino Ruland von FrankfurtFinanz prognostiziert: "Im zweiten Halbjahr dürfte das Übelste ausgestanden sein, wir werden dann in einer engen Handelsspanne eine langsame Bewegung nach oben sehen."
Citigroup-Volkswirt Jürgen Michels zufolge müssen sich Anleger bis Ende 2009 gedulden. Dann ist hingegen nach Ansicht der Experten von Sal. Oppenheim die Erholungsrally schon wieder vorbei. Sie erwarten bis zum Sommer einen Anstieg des Dax auf bis zu 6100 Punkte und danach wieder sinkende Kurse. "Der Aufschwung ist leider nicht selbsttragend und nachhaltig", betonte Chef-Aktienstratege Matthias Jörss. In der zweiten Jahreshälfte werde sich bei den Investoren die Einsicht durchsetzen, dass sich die Konjunktur bis auf weiteres nicht deutlich erhole.
Börsen-Skeptiker in der Unterzahl Skeptiker unter den Analysten sehen allerdings den Dax im neuen Jahr weiter auf Talfahrt. "Die Märkte hoffen auf eine kurze, knackige Krise. Das ist eher unrealistisch", sagt Jörg Rahn von MM Warburg. "Die weltwirtschaftliche Rezession trifft alle Länder, die Krise ist tiefer als vorangegangene und dauert länger als erhofft." Dax-Pessimisten verweisen auch darauf, dass der Konjunkturabschwung die Unternehmensgewinne drücken und die Aktienkurse damit belasten wird. "Aktien sind sehr günstig, aber bei den Gewinnschätzungen ist noch lange nicht das Rezessionsszenario eingepreist, das wir erwarten. Von daher ist weiter Druck auf die Aktienkurse in den nächsten Monaten zu erwarten", sagt Citigroup-Experte Michels. |