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Herr Franz, vor ziemlich genau drei Jahren, am 15. September 2008, begann mit der Insolvenz von Lehman Brothers eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise. Sind wir jetzt wieder so weit?
Wolfgang Franz: Nein, man kann die heutige Situation nicht mit 2008 gleichsetzen, weil die Banken heute besser kapitalisiert sind und über ein besseres Risikomanagement verfügen. Trotzdem ist es heute wieder so, dass sich die Banken untereinander nicht trauen und ihr Geld lieber bei der Europäischen Zentralbank anlegen.
Also doch wie 2008?
Franz: Im Jahr 2008 hatten wir eine Finanzmarktkrise, da sind wir hoffentlich aus dem Gröbsten heraus. Aber was wir jetzt erleben, ist eine Euro-Krise, weil die Gefahr besteht, dass der Euro-Raum auseinanderbricht. Die beiden Schlüssel zur Lösung sind: Wie können wir Griechenland kurzfristig helfen, um aus dem Schlamassel herauszukommen, und wie Vorsorge treffen, dass so etwas nicht wieder passiert?
Und mit welchen Maßnahmen wäre das zu erreichen?
Franz: Wir müssen beim zweiten Schlüssel nicht nur Vorsorge gegen ein finanzpolitisches Fehlverhalten von Staaten treffen. Außerdem sind Reformen im Bankensektor notwendig, Kapitalisierung und Systemrelevanz müssen angegangen werden.
Ein Schuldenschnitt für Griechenland scheint unvermeidlich. Soll Griechenland den Euro-Raum verlassen?
Franz: Wir können Griechenland nicht rauswerfen, das sehen die Verträge überhaupt nicht vor. Freiwillig werden sie es kaum tun. Also bietet sich ein Schuldenschnitt an, um Griechenland zu helfen. Ohnehin haben wir nur die Wahl zwischen mehreren Übeln, dann aber nehmen wir das kleinste - einen Schuldenschnitt von 50 Prozent. Der erweiterte Rettungsschirm ESFS tauscht Griechenland-Anleihen mit diesem Abschlag in von ihm ausgegebene und garantierte Anleihen auf freiwilliger Basis um. Die Entlastung wird an Griechenland aber nur in Abhängigkeit erfolgreich ergriffener Maßnahmen weitergegeben.
Kommt es nach einem Schuldenschnitt und/oder Abschied Griechenlands vom Euro zum Domino-Effekt - folgen Italien, Spanien, Portugal und Irland?
Franz: Das ist schwer einzuschätzen, falls es dazu kommt, machen die notwendigen Bankenrettungsprogramme die Sache teuer. Auf jeden Fall kollabiert bei einem Schuldenschnitt das griechische Bankensystem. Die griechischen Banken halten die meisten Griechenland-Anleihen. Französische Banken sind stark in Griechenland engagiert, das dürfte Frankreich ebenfalls viel Geld kosten. In Deutschland ist es vor allem die (staatliche) Bad Bank der HRE, die betroffen ist. Andere deutsche Banken könnten den Schuldenschnitt vermutlich eher verkraften.
Welche Folgen hätte das alles für die deutsche Wirtschaft?
Franz: Der Konjunkturzug verliert an Fahrt. Zwar werden wir im laufenden Jahr ein Wirtschaftswachstum in der Größenordnung um drei Prozent verzeichnen. 2012 wird die Dynamik mit rund der Hälfte jedoch merklich nachlassen, aber das ist keine Katastrophe. Gleichwohl gilt: Die markante Aufwärtsbewegung ist wohl erst einmal vorbei. Das wird sich nicht zuletzt in den Steuereinnahmen bemerkbar machen, Steuerentlastungen werden damit noch unwahrscheinlicher.
Soll die EZB, oder später der ESFS, Staatsanleihen der Schuldensünder kaufen?
Franz: Nein, ich bin strikt dagegen, dass die EZB weiter spanische und italienische Staatsanleihen kauft. Ich habe es unter Bauchschmerzen akzeptiert, dass die EZB 2010 griechische Anleihen gekauft hat, das war eine Notsituation. Die EZB hat damals für die Politik Zeit gekauft, bis die Politik eine Art Insolvenzordnung für Staaten schafft - leider ist das nicht geschehen.
Was halten Sie von Euro-Bonds als Allheilmittel für die aktuelle Krise?
Franz: Davon halte ich ebenfalls nichts. Das Bundesverfassungsgericht hat dem kürzlich wohl einen Riegel vorgeschoben, und auch ökonomisch spricht einiges dagegen. Eine wichtige Signalfunktion der Märkte ginge verloren, denn Zinsaufschläge sollen die Finanzpolitik disziplinieren. Italien hatte übrigens vor der Euro-Einführung deutlich höhere Zinsen für seine Anleihen zu zahlen, und damals ging dort die Welt nicht unter.
Künftig soll der erweiterte Rettungsschirm ESFS einspringen, nicht mehr die EZB, um Anleihen der Schuldensünder zu kaufen. Ist das die bessere Lösung?
Franz: Der ESFS kann Griechenland, Portugal und Irland finanzieren, zur Not auch Spanien, wobei Irland derzeit auf einem guten Weg ist. Wichtig ist, dass wir die EZB vom Kauf von Staatsanleihen befreien. Italien kann und muss sich selbst helfen. Italien können wir nicht retten, da wären Summen erforderlich, die wir nicht stemmen können.
Ist der ESFS richtig konstruiert?
Franz: Der läuft ja nur bis 2013, danach kommt der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM. Dort ist bei Hilfsmaßnahmen immer Einstimmigkeit Voraussetzung, Deutschland könnte also im Einzelfall nein sagen.
Haben die Schuldenländer in Europa und der EZB nicht schon längst die Mehrheit und können die solide wirtschaftenden überstimmen?
Franz: Das macht mir Sorgen. Es kommt darauf an, dass der neue deutsche EZB-Direktor Jörg Asmussen ein geldpolitischer Falke wird wie sein Vorgänger Jürgen Stark. Auch der künftige EZB-Präsident Mario Draghi muss eine klare geldpolitische Linie fahren. Doch weder Asmussen noch Draghi haben sich bisher im Hinblick auf den Ankauf von Staatsanleihen öffentlich geäußert, ich vermisse hier ein klares Signal.
Was taugt denn der ganze Euro-Raum als Währungsunion, wenn er schon an Griechenland (ein Land, das zwei Prozent der EU-Wirtschaftsleistung ausmacht) scheitert?
Franz: Das ist in Europa keine Krise der Realwirtschaft, dafür ist Griechenland wirtschaftlich zu klein. Wir erleben derzeit eine Krise im Finanzsektor. Wir könnten die Krise gelassener sehen, wenn die Banken Wertberichtigungen auf Griechenland-Anleihen wegstecken könnten, das können sie aber nicht, weil sie zu wenig Eigenkapital haben.
Mannheimer Morgen 14. September 2011 |