Aus der FTD vom 28.1.2002 www.ftd.de/umts UMTS: Kein Handy unter dieser Nummer Von Andreas Krosta, René Gribnitz, Hamburg, und Ulrike Sosalla, New
Unter der 0150 sollte schon bald die neue UMTS-Mobilfunk-Generation ans Netz gehen. Doch nach den milliardenschweren Investitionen müssen immer mehr Anbieter den Start verschieben - weshalb gigantische Verluste drohen.
In der schönen neuen Mobilfunkwelt UMTS ist es eng. Die beiden Techniker im Wiesbadener Testlabor des US-Handyherstellers Motorola simulieren zwischen zwei schrankgroßen Computern die Übertragung von bewegten Bildern, wie sie die neue Mobilfunkgeneration verspricht. An einen Tisch haben sie eine fußballgroße Antenne gehängt, die den Sendemasten mimt. Eine zweite steht ganze anderthalb Meter entfernt.
Und nichts klappt. Kommt den Sendestrahlen zwischen den Antennen auch nur ein Stück Metall in die Quere, ist es aus: Wie Regentropfen an einer Fensterscheibe prallen Bilder und Telefongespräche an einem Blech ab.
Die Übertragung ist nur eines von vielen ungelösten Problemen, die die vor zwei Jahren noch vielbeschworene Wundertechnik belasten. Die UMTS-Welt sieht derzeit so traurig aus, dass sich T-Mobil, die Mobilfunktochter der Deutschen Telekom, vergangene Woche den Start der neuen Technik auf die zweite Jahreshälfte 2003 verschob. Ursprünglich hatte T-Mobil bereits Ende dieses Jahres Videofilme und Bilder über den Äther aufs Handy schicken wollen. Am Wochenende legte Viag Interkom nach: Ein Konzern-Sprecher verkündete, dass auch Viag den UMTS-Start in den Herbst nächsten Jahres vertagen könne.
Mit der dritten Mobilfunkgeneration haben sich die europäischen Anbieter in das größte Abenteuer ihrer Geschichte gestürzt - das für einige mit blutigen Nasen enden dürfte. Der für den Mobilfunk zuständige Telekom-Vorstand Kai-Uwe Ricke rechnet damit, dass nur drei der sechs deutschen Lizenznehmer überleben werden.
Dabei mussten die Anbieter europaweit über 100 Mrd. Euro für die Funklizenzen blechen, der Auf- und Ausbau der Netze wird nach Berechnungen der Dresdner Bank weitere 250 Mrd. Euro verschlingen. Finanziert zumeist auf Pump.
Und jetzt, da Zins und Tilgung die Mobilfunker drücken, wissen die Hersteller der Netze noch immer nicht, ob sich die mageren Ergebnisse der Labortests überhaupt auf alltägliche Bedingungen übertragen lassen. "Wir werden im zweiten Halbjahr 2002 Feldversuche durchführen", konstatiert Ed Breen, Motorola-Vorstand für das operative Geschäft, trocken. Im Klartext: Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Netze längst aufgebaut werden sollten, beginnt der US-Konzern erst mit Tests unter realen Bedingungen. Und von den Inhalten, die sich Handy-Nutzer künftig aufs Display laden und bezahlen sollen, ist bislang auch nur die Rede. "Wo sind diese Dienste?", fragt René Obermann, Europa-Chef von T-Mobil.
Der Marktführer in Deutschland ist in der vergangenen Woche als erster großer Mobilfunker zurückgerudert, wegen "technischer Probleme", und das auf allen wichtigen Märkten des Unternehmens in Europa: Deutschland, Großbritannien und Österreich.
T-Mobile kommt damit erst neun Monate nach den Startterminen, die die Konkurrenten von Mobilcom und Vodafone bislang genannt haben. Einziger Trost der Deutschen könnte sein: Auch die Konkurrenten werden mit den Problemen nicht mehr lange hinterm Berg halten können, schätzt der Anlagestratege der Dresdner Bank, Chris-Oliver Schickentanz: "Ich erwarte für die nächsten Wochen gleich lautende Mitteilungen von Vodafone, E-Plus, Mobilcom und Quam."
Kleinlaute Anbieter
Selbst großtönende Anbieter wie Vodafone und Mobilcom haben bereits den Tonfall geändert. Während Vodafone-Deutschland-Chef Jürgen von Kuczkowski bereits leiser "ausreichende Handys" für den frühen UMTS-Start zur Bedingung macht, will sich Mobilcom nicht mehr recht festlegen lassen, was da im Herbst genau gestartet wird.
Auf den Finanzmärkten kommt das alles andere als gut an. Vor allem Mobilcom, das sein Netz aus dem Nichts aufbauen muss, gilt unter Analysten und Anlegern als Wackelkandidat. Dass es auch anders geht, zeigt die Swisscom. Die hat ihren UMTS-Start von vornherein auf 2004 verschoben - und wurde von den Investoren honoriert. Die Aktie entwickelte sich über dem Markttrend.
Das hat sich die an die Börse strebende T-Mobil jetzt offenbar zum Vorbild genommen. Schlechte UMTS-Nachrichten mitten in den Vorbereitungen zum Börsengang im Laufe dieses Jahres hatten den Erfolg in Frage gestellt. Branchenkenner wie Schickentanz fordern von den Unternehmen die neue Offenheit aber auch aus anderen Gründen: "Es wäre fataler, einen Fehlstart zu riskieren. Dann würde sich die Stimmung in der Bevölkerung gegen die neue Technologie drehen, das wäre verheerend."
Zweites WAP-Desaster
Lassen die Mobilfunker ihren vollmundigen Ankündigungen wieder nur mickrige Taten folgen, fürchten Experten, dass sich mit UMTS das WAP-Desaster wiederholt. Die Übertragungstechnik WAP sollte das Internet aufs Handy-Display bringen. Doch mangelnde Inhalte, schwere Bedienbarkeit und nervenzerfressende Ladezeiten haben die Technik zum Flop werden lassen.
Ein erneuter Fehlstart käme die Mobilfunkanbieter teuer zu stehen. Eine Sekunde Netzbetrieb ohne Kunden verschlingt nach einer Berechnung von Frank Rothauge, Telekommunikationsanalyst der Investmentbank SAL. Oppenheim, mindestens 16 Euro. Macht jede Stunde 57.870 Euro. Jeden Monat 41,67 Mio. Euro. Alle halbe Jahr rund 250 Mio. Euro.
Millionen zu verbrennen, kann sich aber keiner der Anbieter mehr leisten. Es geht mittlerweile ums Überleben, wie das Beispiel Sonera zeigt. Der finnische Mobilfunker, der am deutschen Mobilfunkneuling Quam beteiligt ist, hatte sich an den UMTS-Lizenzen in Finnland, Italien, Spanien und Deutschland so verhoben, dass er alle Investitionen außerhalb Finnlands einfrieren musste, um den Bankrott zu vermeiden.
Bei Quam führt jetzt die Mitgesellschaft, die spanische Telefónica, das Regiment. 6,5 Mrd. Euro haben die Spanier in fünf Ländern für Lizenzen gezahlt und suchen nun händeringend nach einem Ausweg aus der selbstgeschaffenen Misere. Nicht allein, dass Quam wegen technischer Probleme seinen Marktstart im Dezember abbrechen musste. Hinzukommt, dass noch immer die Finanzierung des italienischen Ablegers und UMTS-Lizenznehmers Ipse unklar ist. Auch in Österreich und der Schweiz kam die Telefónica-Expansion zum Erliegen.
Ernüchterung in Japan
Wie unausgereift die UMTS-Technik noch ist, zeigt sich selbst im Vorreiterland Japan. Dort gab Marktführer NTT Docomo im Oktober ein erstes Netz frei, 15.000 Menschen telefonieren inzwischen über UMTS - und müssen ständig zwei Telefone mit sich herumschleppen. Denn die neue Mobilfunkwelt der grenzenlosen Kommunikation ist zugleich eine sehr isolierte: Für Anrufe auf Handys herkömmlichen Standards müssen die Japaner weiter ihr altes Handy benutzen.
Bleibt es dabei, wäre das für die Markteinführung in Deutschland verheerend. UMTS soll ab dem nächsten Jahr zunächst nur Ballungsgebiete wie Berlin, Frankfurt und das Ruhrgebiet abdecken, selbst bis 2005 muss nach den Vorgaben der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post das Netz erst die Hälfte Deutschlands erfassen. In allen anderen Orten müssten die UMTS-fähigen Mobiltelefone mit der alten Technik funktionieren.
Werden sie auch, versprechen die Hersteller. "Wir werden UMTS-Handys in Serie fertigen, die alles können", sagt Motorola-Deutschland-Chef Norbert Quinkert. "Definitiv bis zum zweiten Quartal 2002." Bei Nokia und Siemens heißt es, die Handys kommen in ausreichender Stückzahl Anfang 2003. Und Ericsson? "Wir schaffen es schon im Herbst 2002", posaunt ein Sprecher.
Doch in der Vergangenheit haben es die Hersteller noch nie geschafft, Termine zu halten. Selbst für Forschungszwecke sind derzeit nicht genügend UMTS-Modelle zu haben. Der für die Mobilfunkkunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortliche Lucent Manager, Jörg Schleicher räumt ein: "Wir testen derzeit mit ein paar UMTS-Handys von Herstellern wie NEC oder Panasonic, mit UMTS-Handy-Chips von Qualcomm - oder mit Simulatoren." Sprich, mit zwei Computern, an die Lucent Kopfhörer und Mikrofone angeschlossen hat. "UMTS-Handys sind rar. Mobiltelefone, die es in beiden Technologien schaffen, habe ich noch nicht gesehen", gibt der Lucent-Techniker zu.
Manche Analysten und Experten finden sich daher schon mit den immer größeren Zeitspannen ab: Was sind schon neun Monate Verzögerung, wenn die UMTS-Lizenz bis 2020 läuft? Und wenn Gewinne mit den lukrativen Datendiensten erst 2010 fließen sollen?
Letzte Hoffnung
Aber selbst wenn manche Anbieter diese Durststrecke überleben könnte: Die Netzbauer planen schon weit früher mit Gewinnen. Und wenn die Mobilfunker ihren Start verschieben, bleibt der Geldsegen aus. Netzbauer wie das schwedische Ericsson müssen ihre Geschäftspläne bereits umschreiben. "Die Investitionen in die Netze werden sich in der Startphase um 25 bis 30 Prozent reduzieren", sagt Analyst Schickentanz von der Dresdner Bank. Statt der bereits eingeplanten 250 Mrd. Euro fließen dann nur noch rund 180 Mrd. Euro.
"Keine guten Nachrichten für die Ausrüster", sagt Telekom-Chef Ron Sommer lapidar, als er erklärt, dass sein Unternehmen rund eine Mrd. Euro an Technikausgaben einsparen will. In der Tat: Die Ausrüsterbranche rechnet erst zum Jahreswechsel 2003 mit einem Aufschwung. Bleibt der aus, stoßen auch Giganten wie Ericsson und Motorola an ihre Grenzen.
Bereits im vergangenen Jahr haben beide Konzerne den ersten Verlust seit mehr als 50 Jahren eingefahren. Lucent strich fast die Hälfte aller Stellen, der Chef des US-Telekomausrüsters Nortel, Frank Dunn, entschuldigte sich gar für das "traumatische Jahr" bei seinen Aktionären. Doch ein besseres 2002 versprechen - dafür hütete er sich lieber.
Analyst Rothauge hat dagegen noch eine letzte Hoffnung: "Wenn die deutschen Netzbetreiber das Weihnachtsgeschäft 2003 ausschöpfen können, ist alles in Ordnung." Wenn nicht, müssen sie neue Geschäftspläne schreiben. "Und ich werde alle Umsatz- und Gewinnerwartungen nach unten korrigieren. Dann wird es kritisch."
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