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Die Milliardenlüge des Kronzeugen
Wie ein Beweisantrag das Herzstück der Anklage im Wirecard-Prozess erschüttert
von Charlotte G.P. Theodoorsen, München
Im größten Wirtschaftsstrafprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte gerät ein zentrales Element der Anklage ins Wanken. Ein neuer, umfassender Beweisantrag der Verteidigung von Dr. Markus Braun, ehemaliger CEO des insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard, zeichnet ein Bild, das die bisherige Erzählung der Staatsanwaltschaft infrage stellt – und den Kronzeugen Oliver Bellenhaus schwer belastet.
Der Vorwurf: Der Kronzeuge habe zentrale Tatsachen bewusst verschwiegen oder falsch dargestellt. Die tatsächlichen Geldflüsse im sogenannten Drittpartnergeschäft (TPA-Geschäft) belegen laut Verteidigung nicht nur ein funktionierendes Geschäftsmodell – sondern einen großangelegten Betrug durch Bellenhaus selbst.
Ein Milliardenbusiness, das es doch gab?
Im Zentrum der Anklage steht die Behauptung, dass die Umsätze im Drittpartnergeschäft – also die Transaktionen über externe Zahlungsdienstleister in Asien und im Nahen Osten – weitgehend erfunden gewesen seien. Diese Sichtweise basiert maßgeblich auf den Aussagen von Oliver Bellenhaus, dem ehemaligen Geschäftsführer der Wirecard-Tochter in Dubai. Er wird von der Staatsanwaltschaft als „Kronzeuge“ geführt.
Doch der Beweisantrag der Verteidigung wirft ein ganz anderes Licht auf die Vorgänge. Auf Grundlage interner Kontodaten, Zahlungsströmen, E-Mail-Verkehr und Auswertung digitaler Beweismittel zeichnet er das Bild eines realen, profitablen Drittpartnergeschäfts – dessen Erlöse in Milliardenhöhe allerdings systematisch von einem Netzwerk um Jan Marsalek und Oliver Bellenhaus abgezweigt und veruntreut wurden.
Allein auf den von Bellenhaus kontrollierten Konten von Firmen wie Al Alam, PayEasy, Centurion, CQR Services, Firstline oder Testro wurden – so der Antrag – zwischen 2013 und 2020 über 2 Milliarden Euro an tatsächlichen Einnahmen aus dem Drittpartnergeschäft registriert. Ein Großteil dieser Mittel wurde nicht etwa an Händler weitergeleitet, sondern wanderte über Strohfimen, Scheinverträge und Offshore-Firmen in dubiose Kanäle.
Eine lange Liste von Geldflüssen
Die Verteidigung dokumentiert akribisch, wie die Gelder durch das System geschleust wurden:
118 Millionen Euro aus China (über Globebill/HK Yintong Telecom) flossen allein zwischen 2015 und 2017 auf TPA-Konten wie Al Alam und PayEasy – Provisionserlöse, die laut Verteidigung vollständig real waren.
Weitere 180 Millionen Euro kamen über mehr als 350 Einzeltransaktionen von Firmen im Umfeld des Marsalek-Vertrauten Avraham Veenstra.
Ein weiterer Block: 91 Millionen Euro von Curatone Resources L.P., einem Drittacquirer, überwiesen auf Konten wie CQR Services, Firstline Consulting und Coldwater Capital.
Andere Offshore-Firmen wie Manboo Singapore, Aqua Spring oder Atlas Overseas brachten zusätzlich über 185 Millionen Euro ins System – Provisionen, die laut Verteidigung aus echter Zahlungsabwicklung digitaler Händler stammten.
Insgesamt dokumentiert der Antrag über ein Dutzend Kanäle, über die Provisionen aus realen Händlergeschäften generiert wurden – meist gebündelt und verschleiert über Firmenkonstrukte in Singapur, Hongkong, Kanada und auf den British Virgin Islands.
Keine Händlerauszahlungen – sondern Umleitung in eigene Taschen
Was dann mit dem Geld geschah, ist für die Verteidigung der eigentliche Skandal. Statt dass diese Gelder – wie von Bellenhaus behauptet – an Online-Händler oder als Kredite innerhalb des Konzerns weitergeleitet wurden, seien sie in Wahrheit in ein undurchsichtiges Netzwerk von Scheinunternehmen und Schattenbanken abgeleitet worden.
Pittodrie Finance Ltd. allein erhielt laut Antrag mindestens 340 Millionen Euro aus den Provisionseinnahmen – darunter 222,5 Millionen Euro vom PayEasy-Konto der Wirecard Bank.
Weitere 31,5 Millionen Euro gingen an Firmen wie Vernons Financial Ltd. und Ragnall Holdings Ltd., die Bellenhaus und Marsalek direkt zugeordnet werden.
Unter den Zahlungsempfängern: Unternehmen mit Namen wie Flamingo BPO, Editions Sans Frontière, Peartrack Asia, Call Centre Services – alle ohne echte Geschäftstätigkeit.
Selbst Bellenhaus’ persönliche Stiftung – die „Levantine Foundation“ – wurde mit 5 Millionen Euro aus Provisionserlösen gespeist.
Ein Großteil der Gelder wanderte über Scheinverträge mit Titeln wie “Software Development”, “Tiles Agreement” oder “Call Center Services” ins Ausland. Die Gelder seien anschließend entweder auf Fonds bei Monterosa (Liechtenstein) geparkt oder an unbekannte Dritte weitergeleitet worden.
Ein Kronzeuge unter Verdacht
„Er hat im Kern und in allen Punkten gelogen“, heißt es wörtlich im Beweisantrag. Der Kronzeuge Oliver Bellenhaus habe das tatsächliche Ausmaß des TPA-Geschäfts verschleiert und gleichzeitig seine eigene Rolle als zentraler Drahtzieher der Veruntreuung kaschiert. So habe er gegenüber den Ermittlungsbehörden behauptet, nach 2015 seien keine Gelder mehr auf das Al-Alam-Konto eingezahlt worden – was die Dokumentation der Verteidigung durch über 60 Millionen Euro an belegten Eingängen auf diesem Konto eindeutig widerlegt.
Auch seine Legenden über angebliche „Eigengeschäfte“ oder „Roundtripping“-Modelle bezeichnet die Verteidigung als reine Schutzbehauptungen, mit denen Bellenhaus von der systematischen Umleitung echter Provisionen ablenken wollte. Er sei es gewesen, der gefälschte E-Mails beantwortete, falsche Bankbestätigungen erzeugte und Strohfirmen gründete – teils sogar über seinen eigenen Wirecard-Firmenlaptop.
Schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft
Besonders scharf fällt die Kritik an der Ermittlungsarbeit der Münchener Staatsanwaltschaft aus. Diese habe sich, so der Antrag, “nahezu vollständig auf die Aussagen von Oliver Bellenhaus verlassen” und zentrale Transaktionsdaten entweder ignoriert oder nicht richtig ausgewertet.
„Die Behauptung, das TPA-Geschäft habe es nicht gegeben, ist durch die Zahlen und Zahlungsströme eindeutig widerlegt“, heißt es. Und weiter: „Die Ermittlungsbehörden sind von einer falschen Tatsachengrundlage ausgegangen – mit gravierenden Folgen für die Bewertung der Rolle von Dr. Markus Braun.“
Anstatt die internen Konten und Cashflows umfassend auszuwerten – insbesondere in Asien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Hongkong und Osteuropa – habe man sich auf die These der Nichtexistenz versteift. „Diese selektive Ermittlungsführung hat zu einem fundamentalen Fehlbild geführt“, so die Verteidigung.
Ein Befreiungsschlag für Markus Braun?
Für den ehemaligen Wirecard-Chef, der seit nunmehr über vier Jahren in Untersuchungshaft sitzt, könnte dieser Beweisantrag einen Wendepunkt markieren. Die Verteidigung argumentiert: Braun habe von all dem nichts gewusst, keine Kontrolle über die Schattenkonten gehabt und sei auch nicht über die Ausleitungen informiert gewesen. Vielmehr sei es das Netzwerk um Marsalek, Bellenhaus und ihre Strohmänner gewesen, das die tatsächlichen Millionenbewegungen gelenkt habe.
„Es ist die Tatstruktur der wahren Bande, die hier sichtbar wird“, heißt es abschließend.
Die Frage, die sich nun stellt: Wie wird das Gericht auf diesen Beweisantrag reagieren – und welchen Schaden richtet der Kronzeuge Oliver Bellenhaus mit seinen Aussagen tatsächlich an? |