Die Baulücke am Ground Zero wird in absehbarer Zeit geschlossen, die demokratischen Kollateralschäden aber sind im Internet zu besichtigen. Das US- Verteidigungsministerium bastelt mit dem „Total Awareness Project“ an der Generalüberwachung allen privaten Datenverkehrs vom Telefonanruf bis zur Webseite – im Namen des Antiterrorkampfes.
Und innen drin im Cyberspace, im vermeintlich staatenlosen, grenzenlosen Cyberspace? Dort hat Icann, die Verwaltung von Namen und Nummern, längst alle Hoffnungen auf Partizipation zunichte gemacht: Die euphorisch gefeierte globale Online-Wahl einiger ihrer Direktoren wird nicht wiederholt, und die globale Nutzergemeinde kann nur noch ein beratendes Gremium entsenden, das „At Large Advisory Committee“. Die Regierungen, vor allem natürlich die US- Regierung, erhalten künftig mehr Macht in der Internet-Behörde, die auch Länder-Endungen wie „.de“ kontrolliert und damit raschen Zugriff auf Informationen über Internetkontakte oder -zugänge hat. Dass kurz nach dem 11. September Seiten mit der Endung „.af“ für Afghanistan unerreichbar waren, mochte ein technischer Defekt gewesen sein. Doch er gibt einen Vorgeschmack darauf, wie es sich künftig nach US–Sitte surfen lassen wird: Die Seiten wurden über amerikanische Server angesteuert.
Der schärfste Zensor aber ist nach wie vor die Armut: Achtzig Prozent der Weltbevölkerung haben noch nicht einmal Telefon. Telearbeit, Telelearning und Telemedizin bleiben Spielereien einer privilegierten Minderheit. Die digitale Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Nord und Süd, wird sich so bald nicht schließen. Das Freiheitsversprechen ist keinen Bit näher gerückt. Das Internet wird auch in Zukunft keinen Tyrannen stürzen. Aber es wird ihn vielleicht reicher machen.
Artikelauszug aus der Süddeutschen Zeitung |