Ferdinand Piech kann es nicht lassen. Im Handstreich hat er die Macht bei Europas größtem Autokonzern wieder an sich gerissen. Die Konsequenzen für den Konzern und die Anleger
von Christiane Habrich-Boecker
Sieben dürre Zeilen genügten der Pressestelle, um den überraschenden Vorstandswechsel bei Europas größtem Autobauer kundzutun. Bernd Pischetsrieder, erst im Mai per Vertragsverlängerung für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt, verlässt das Unternehmen im "gegenseitigen Einvernehmen" zum Jahresende. Nachfolger wird Audi-Chef Martin Winterkorn. Die Personalie platzt mitten in die längst überfällige Restrukturierung des Volumenherstellers. Zudem läuft gerade die Produktion in Russland an. Und VW hat sich in den Übernahmekampf zwischen MAN und Scania geworfen. Keine gute Zeit für einen Führungswechsel. Über Pischetsrieder wird berichtet, dass er das Aus aufgrund erst während der Aufsichtsratssitzung am Dienstag realisierte. Die Erregung in über den Chefwechsel hält sich in der Fachwelt freilich in Grenzen, man wundert sich nur über die Form. So empfindet Auto-Experte Dudenhöffer die Personalie "als unproblematisch" und nach dem Erfolg Winterkorns bei Audi sogar als durchaus positiv.
Dabei bedeutet das Abservieren Pischetsrieders nichts anderes, als dass sein Vorgänger Ferdinand Piëch, der 69-jährige Porsche-Enkel, wieder die Macht bei VW an sich gerissen hat. Macht – wohl die entscheidende Antriebsfeder für einen Mann, der über mehr Geld (drei Milliarden Euro), Frauen (drei) und Kinder (zwölf) als landläufig üblich verfügt. Und aus seiner Sicht wohl auch ein berechtigter Akt: 21,19 Prozent der Volkswagen-Aktien gehören der Ferdinand Porsche AG, die Stammaktien des Sportwagenbauers wiederum sind zum größten Teil im Besitz der Familien Porsche und Piëch. Das alles macht VW zur merkwürdigsten AG Deutschlands: Ein Großteil ist in Familienbesitz, ein anderer gehört dem Staat, sprich dem Land Niedersachsen, und nirgendwo haben die Gewerkschaften einen so großen Einfluss auf die Geschäftspolitik wie in Wolfsburg. Damit der Abnormitäten nicht genug: Winterkorn soll nun den Sanierungskurs nach Gusto Piëchs durchsetzen. Eine Sanierung, deren Notwendigkeit vor allem der frühere Vorstandsvorsitzende Piëch verursacht hat. Aus der Historie der beiden Duz-Freunde weiß man: Was Piëch vordenkt, setzt Winterkorn um. Der Schwabe ist VW-Urgestein (siehe Seite 16) und findet als brillanter Techniker Gnade vor den Augen Piëchs, der sich selbst dem Vernehmen nach für den einzig wahren Automanager hält. Da Winterkorn bereits 59 ist, darf man davon ausgehen, dass er bis zum Ruhestand ruhig unpopulär sanieren darf. Das aber bitte mit erhöhtem Tempo und nach Vorgaben von Piëch.
Winterkorn war schon mal als dessen Thronfolger im Gespräch. 2002 scheiterte er an den Stimmen der Arbeitnehmervertreter. Auch aktuell wird dem gebürtigen Leonberger ein kritisches Verhältnis zu Niedersachsens Landesvater Matthias Wulff nachgesagt, der wiederum mit Ferdinand Piech nicht kann. Das wird Winterkorn die Sanierungsaufgabe nicht erleichtern. Denn noch ist das VW-Gesetz nicht gefallen, obwohl Porsche-Vormann Wendelin Wiedeking und Piëch durch die geplante Aufstockung der Porsche-Anteile an VW auf bis zu 30 Prozent offensichtlich glauben, dass die via Legislative verliehene Macht des Landes endlich ist. Einstweilen aber darf Niedersachsen fröhlich mitregieren und seine Interessen ausspielen. Dank politisch gefördertem Betriebsklima geht es den VW-Werkern besser, als jedem anderen Autoschrauber in der Welt. Zwar wurden Arbeitszeitverlängerungen nach schwersten Tarifauseinandersetzungen vereinbart. Der VWler müssen jetzt bis zu 35 Stunden in der Woche ran, anstatt wie bisher 28,8. Doch nach wie vor verdient der niedersächsische Arbeiter übertariflich gut, dank VW-Haustarifvertrag.
Fällt das Gesetz, liegt dann die Macht bei VW endgültig in Händen Piechs. Dann kann er ungehindert schalten und walten. So oder so, um seine Aufgabe ist Winterkorn nicht zu beneiden. Der Noch-Audi-Chef steht vor der Kärrnerarbeit, die Marke VW aus der Krise zu holen. Es heißt Tempo machen, um den Konzern auf Effizienz bei Produktion und Marge zu trimmen. Der Aktienkurs zeigt seit Monaten den Glauben der Anleger an einen Sanierungserfolg. Auch der überraschende Machtwechsel erschütterte diesen offenbar nicht.
VW produziert an seinen deutschen Standorten nicht nur teurer, sondern auch deutlich langsamer als die Konkurrenz. 50 Stunden dauert es in Wolfsburg, bis ein Golf entsteht. Die Benchmark Toyota kommt bei einem vergleichbaren Modell mit weniger als der Hälfte aus. Jahrelang verschleppte Modernisierungen, zu wenig peppige und zu teure Modellpolitik sowie Überkapazitäten bestimmen zusätzlich das Krankheitsbild des Patienten VW.
Und nicht zuletzt sind da noch die Tretminen von Ex-Chef Piech: Die verfehlte Luxusstrategie mit dem Phaeton etwa. Oder das unglaubwürdige Konzept, unter dem Dach eines Volumenherstellers die Nobelmarken Bentley und Lamborghini zu integrieren. Ganz übel wurde es bei seinem Lieblingshobby, dem 1001-PS-Boliden Bugatti Veyron – die Kundschaft dürfte nach wie vor an zwei Händen abzuzählen sein. Dazu kommen Webfehler wie beim aktuellen Golf, dessen aufwendige Hinterachse eigentlich viel zu teuer ist. Piechs Hang zu kostspieliger technischer Finesse wird zum Prüfstein für Winterkorn werden. Der grundsolide Automann wird sie billig umsetzen müssen. Der Erfolg, den er bei Audi just vergangene Woche mit neuen Rekordzahlen krönte, ist nun Messlatte für die Aktionäre. Immerhin schaffte er es, die VW-Tochter so zu trimmen, dass die Investmentbank Morgan Stanley ihr erst im August einen Marktwert von 23 Milliarden Euro attestierte, zu diesem Zeitpunkt 100 Prozent über dem Marktwert des Konzerns. Was deutlich zeigt, wie viel die Volkswagen AG den Bankern ohne das Audi-Potenzial wert wäre.
Solcherlei Zahlenspiele nähren die Spekulation, dass hinter dem Porsche-Einstieg bei VW das Ansinnen stehen könnte, Audi langfristig den Zuffenhausenern einzuverleiben. Wobei natürlich die Familien Porsche und Piech mitverdienen würden.
Dabei hatte Pischetsrieder mit der Restrukturierung und einer Modelloffensive den richtigen Weg eingeschlagen. Er stellte 20000 Jobs auf den Prüfstand, schnitt Seilschaftszöpfe ab. Dies gelang auch deshalb, weil der Puff-Herrenklub der früheren Führungsriege unter Vorstand Piëch aufgeflogen war. Auch Modelle wie der Eos oder der US-Jetta scheinen anzukommen. In den ersten neun Monaten stiegen die Auslieferungen weltweit um 10,3 Prozent auf 4,3 Millionen Fahrzeuge. Selbst in den zuvor schwächelnden Märkten USA und China gab es Zuwächse von 10,2 und 28,7 Prozent.
Doch die viel zu lange verschleppten und dadurch immer teurer werdenden Restrukturierungsmaßnahmen verhageln zunächst noch die Bilanz. Unterm Strich blieb im dritten Quartal ein Nettogewinn von 23 Millionen Euro.Richtig teuer war der Freikauf von der Vier-Tage-Woche. Als Ausgleich musste VW eine einmalige Rentenzuzahlung von 6300 Euro pro Mitarbeiter schlucken. Das geht ordentlich in die Rückstellungen. Für die aktuelle Bilanz erschwerend i! st der Personalabbau. Er kommt schneller voran als gedacht. Fast 6000 Beschäftigte haben ein Abfindungsangebot angenommen, 1000 mehr als kalkuliert. Zusätzlich 11000 VW-Werker unterschrieben bereits ihre Frühverrentung. Der Rest soll bei den europäischen Werken abgebaut werden. Die dort eingesparten Produktionskapazitäten sollen nach Wolfsburg verlagert werden, um die Existenz der VW-City zu sichern. Summa sumarum dürften sich die Maßnahmen in diesem Geschäftsjahr auf zwei Milliarden Euro läppern.
Finanziert wird das mit Verkäufen von Tafelsilber der Nicht-Auto-Sparten wie Europcar oder der Servicetochter Gedas. Und mit Erlösen, die Financial Service, Nutzfahrzeuge, Audi und auch die intern gern belächelte Tochter Skoda liefern. Der VW-Witz, dass man den Wert eines Skoda verdopple, indem man ihn volltanke, wurde zum Bumerang. Die Tschechen bringen Geld. Im Gegensatz zu Seat, die Audi angegliedert sind, und als chronisch krank gelten. Winterkorn entsandte unlängst seinen Einkaufs-Chef Erich Schmitt als Nothelfer.
Und nun muss sich der designierte VW-Chef auch noch mit Lastwagen befassen. Da VW Großaktionär sowohl bei MAN als auch bei Scania ist, war Pischetsrieders Plan, das eigene, bislang auf Brasilien beschränkte Lkw-Geschäft bei der Fusion der beiden einzubringen. Hier sollen auch, wie es heißt, die Hintergründe für Pischetsrieders Abgang liegen. Denn Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff soll die Situation genutzt haben, um die Macht seines Gegenspielers Piëch und des Hauptaktionärs Porsche im Aufsichtsrat zu schmälern – und zwar mit Wissen Pischetsrieders. Wulff soll MAN-Chef Hakan Samuellson überredet haben, seinerseits eine Beteiligung an VW zu erwerben, um so einen Gegenpol zum Piech/Porsche-Block aufzubauen.
Ausgerechnet jetzt geht der Kampf in die entscheidende Runde. MAN-Chef Samuelsson hat vergangene Woche die Übernahmepläne bei der EU-Wettbewerbsbehörde angemeldet, obwohl sich Scania nach wie vor ziert. Die EU entscheidet bis 6. Dezember. Zuvor schon, bis 17. November, soll es zu einer friedlichen Einigung zwischen MAN und Scania kommen. Klappt das nicht, muss Winterkorn entscheiden, ob VW bei einer feindliche Übernahme mitkämpft. Piech zumindest gilt als Anhänger des Zusammenschlusses.
Und noch einer spielt eine Rolle: Inwieweit nämlich der VW-Markenchef Wolfgang Bernhard dem neuen Konzernboss anhängt, ist ebenfalls Gegenstand heftiger Gerüchte. Der Karrierist, der sich wohl schon als Pischetrieder-Nachfolger sah, könnte die Koffer packen. Man munkelt, dass der Chrysler-Chefsessel neu zu besetzen ist. Mal sehen, wie viele Zeilen diese Personalie dann der Pressestelle wert ist.
Gruß Moya |