Quelle: Welt am Sonntag
Von Hans-Erich Bilges
Wenn der Staat pleite ist, können die Politiker keinen Unsinn mehr machen", meinte Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn vor zwei Jahren. Hätte Mohn nur Recht. Doch wir werden bald den ersten finanziellen Gau einer Großstadt erleben - Berlin taumelt direkt hinein in die Zahlungsunfähigkeit.
Die Stadt schiebt die unvorstellbare Summe von 40 Milliarden Euro Schulden vor sich her. Allein die Zinslast liegt bei etwa 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Und jährlich kommt eine Neuverschuldung von etwa 2,5 Milliarden Euro hinzu. Mit einem Wort: Kollaps.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und der gleichermaßen sachkundige wie standfeste Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) stemmen sich dagegen. Mit verzweifelten Appellen an die mächtigen Verdi-Herrscher des öffentlichen Dienstes - doch gegen taube Ohren sind auch Posaunen machtlos. Die zunehmend aggressiveren Anführer der Verdi-Arbeitnehmervertreter zeigen sich komplett uneinsichtig, wohl wissend, dass unverantwortliche Politiker mit Gesetzen, Verordnungen und Bestimmungen in den vergangenen 40 Jahren den öffentlichen Dienst zu einer uneinnehmbaren Festung gegen Bescheidenheit, Verzicht und Solidarität mit dem Rest der Bürger gemacht haben.
Krisensitzungen, Drohungen, Appelle an die Vernunft - die linke Gewerkschaft Verdi ist zu keinerlei Abstrichen bereit. Dagegen nimmt sich der Deutsche Beamtenbund, die andere wichtige Arbeitnehmervertretung, mit seinem Augenmaß geradezu vorbildlich aus. Doch das Desaster ist nur noch eine Frage kurzer Zeitdauer.
Was in Berlin passiert, wird demnächst auch in anderen Städten und Gemeinden geschehen. Ginge es nicht um das Schicksal von Bürger und Staat, könnte man sagen: Gott sei Dank. Hoffentlich fährt der Karren so schnell wie möglich gegen die Wand - bis es allen dämmert, wohin es führt, wenn mächtige Interessengruppen den Staat zur Beute ihrer eigenen Ansprüche machen.
Viele Faktoren kommen zusammen. Neben dem Anspruchsdenken ist es vor allem der Neid, der diese Gesellschaft krank gemacht hat. Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein, Bescheidenheit, Zurückhaltung: alles Begriffe, die im Geist der 68er-Generation eher weniger ausgeprägt sind. Es sind dies aber Tugenden, für die die Spaßgesellschaft von heute einen Dolmetscher bräuchte.
In der Hartz-Kommission wurde die ebenso wohlklingende wie inhaltsleere Ich-AG erfunden - und dabei übersehen, dass wir schon seit langer Zeit eine immer hemmungsloser werdende Ich- Gesellschaft haben. Jeder rafft, was er kriegen kann, jeder verteidigt, was er sich auf welche Weise auch immer angeeignet hat. Das geht quer durch die Gesellschaft, quer durch alle sozialen Schichten, quer durch alle Besitzstände. Dabei wäre dieses Land binnen ein bis zwei Jahren wieder eines der wohlhabendsten, ökonomisch stabilsten und volkswirtschaftlich vorbildlichsten Länder dieser Erde, wenn:
* jeder auf einen, besser noch zwei Urlaubstage pro Jahr verzichten würde. Wir würden das noch nicht einmal merken. Denn bei dann "nur" noch 34 Urlaubstagen hätten wir immer noch 22 Urlaubstage mehr als der Durchschnittsamerikaner.
* wir alle auf einen Feiertag pro Jahr verzichten würden.
* die fatalen Ladenschlussgesetze aufgehoben würden und tausende zusätzliche Jobs entstünden.
* die verhängnisvolle Festsetzung von Mindestlöhnen gelockert oder sogar aufgehoben werden würde.
* wir für nur eine Lohnrunde bereit wären, lediglich den Inflationsausgleich zu akzeptieren.
* wir bereit wären, wöchentlich vier bis fünf Stunden mehr zu arbeiten.
* der öffentliche Dienst auf einige seiner mehr als 1000 (!) Sonderleistungen verzichten würde.
* wir von der Vorstellung Abstand nähmen, dass der Staat uns gefälligst alle Wohltaten zu garantieren hat, die wir von ihm erwarten.
Würde auch nur ein Bürger in diesem Lande durch diesen Katalog ungebührlich belastet? Natürlich nicht - aber dieses Land wäre recht bald saniert.
Da passt ins Bild, wenn dieses Land - volkswirtschaftlich am Abgrund - von einer Regierung repräsentiert wird, die einen Großteil ihrer Koalitionsverhandlungen auf die Diskussion über die Laufzeit eines Atomkraftwerks vergeudet. Das war für einen der Koalitionspartner (die Grünen) "von entscheidender Bedeutung". Allen Ernstes wurde dies auch noch zugegeben. Und es sagt alles, wenn die grüne Vorsitzende Roth auf die Frage eines Reporters, was die wichtigste Errungenschaft der letzten rot-grünen Regierung war, wörtlich antwortete: "Dass Schwule und Lesben angstfrei leben können."
Nun, Frau Roth, an welcher Stelle Ihrer Prioritätenliste steht das Millionenheer der Arbeitslosen angesichts immer desaströserer, volkswirtschaftlicher Daten?
Hans-Erich Bilges ist Vorstand der Beratungsgesellschaft WMP EuroCom AG in Berlin.
Gruß und schönen, stürmischen Sonntag Trader |