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Brad Hintz, Bankenanalyst von Sanford Bernstein, warnt vor einer Eskalation im Rechtsstreit der CS: Sie könnte zu einer unkontrollierbaren Kettenreaktion führen.
Nichts ist für eine Bank so wichtig wie Vertrauen. Das wissen auch die amerikanischen Justizbehörden genau, die Credit Suisse unter Androhung einer Strafanklage zu einer milliardenteuren Einigung drängen. Die Folgen einer Anklage seien kaum abschätzbar, sagt Brad Hintz. [Der Analyst] hält die Entwicklung im hängigen Strafverfahren deshalb für gefährlich. Es werde sogar das Risiko in Kauf genommen, dass es zu einer unkontrollierbaren Kettenreaktion komme.
- Herr Hintz, Credit Suisse ist in den USA mit einer möglichen Strafanklage wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung konfrontiert. Was steht für die Schweizer Bank damit auf dem Spiel?
Credit Suisse arbeitet wie jedes global aktive Finanzinstitut mit verschiedensten Gegenparteien aus der ganzen Welt zusammen. Kommt es zu einem Ereignis wie einer Strafanklage, wird das im Markt genau registriert. Geschäftspartner werden sich überlegen, ob sie ihre Beziehung zur Bank aufrechterhalten wollen. Kunden, die beispielsweise über Credit Suisse Barmittel einziehen oder austeilen, könnten es in einem solchen Fall vorziehen, mit einem anderen Institut zusammenzuarbeiten. Bei einem Strafverfahren gegen eine Bank sollten Regulatoren und Justizbehörden deshalb höchst vorsichtig vorgehen.
- Was könnte schlimmstenfalls passieren?
Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Vertrauen ist für eine Bank ein sehr zerbrechliches Gut. Um der ganzen Welt Stärke zu demonstrieren, haben Finanzinstitute ihren Sitz deshalb auch in so prächtigen Gebäuden. Gegen eine Bank strafrechtlich vorzugehen, mag zwar auf der politischen Bühne Applaus bringen. In der heutigen Zeit, in der Investoren dermaßen nervös sind, kann das die Finanzierungsbasis eines Finanzinstituts jedoch schwer beeinträchtigen und damit die gesamte Wirtschaft tangieren. Wenn man das Finanzsystem einem solchen Risiko aussetzt, fragt sich, ob aus der Krise um Lehman Brothers nichts gelernt wurde. Obwohl wir lieber das Gegenteil glauben möchten, sind Banken immer noch sehr eng miteinander vernetzt.
- Sind Grossbanken wie Credit Suisse inzwischen denn nicht robust genug aufgestellt, damit es nicht zu einer Kettenreaktion wie im Herbst 2008 kommt?
Eine Bank ist letztlich nichts anderes als eine Ansammlung von Verträgen. Wir hoffen zwar, dass die Entscheidungsträger wissen, was genau in all diesen Kontrakten steht. Das Problem ist aber, dass in den meisten internationalen Kreditverträgen und Anleihebedingungen eine Cross-Default-Klausel steht. Demnach tritt eine Vertragsstörung bereits ein, wenn ein Kreditnehmer im Verhältnis zu einer dritten Partei vertragsbrüchig wird. Kommt es wegen einer Strafanklage also zu Schwierigkeiten mit nur einem bestimmten Kreditkontrakt, kann eine ganze Kaskade von Problemen mit weiteren Verträgen ausbrechen.
- Andererseits ist aber auch die Kritik in den USA gross, dass Finanzkonzerne zu pfleglich behandelt werden.
Wir haben vor sechs Jahren deutlich gesehen, dass die Kunden mit den Füssen entscheiden und ihr Geld abziehen, wenn das Vertrauen in ein Finanzinstitut schwindet. Möglichkeiten, eine Bank zu bestrafen, gibt es genug. Bei einer Anklage wird jedoch riskiert, dass das Vertrauen beschädigt wird. Wie schnell das passieren kann, hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Von Illinois Continental über Drexel Burnham bis hin zu Bear Stearns und Lehman Brothers: Auf jede dieser Banken kam es zum Run, als das Vertrauen wegfiel.
- Wie es heisst, sollen die US-Justizbehörden ihr Vorgehen aber genau deshalb mit wichtigen Finanzregulatoren abgesprochen haben, damit das operative Geschäft von Credit Suisse nicht gefährdet wird.
Eine Bank mit einer happigen Buße zu bestrafen, mag durchaus sinnvoll sein, eine Strafanzeige ist es hingegen nicht. Als Chef des Federal Reserve, der Bank of England, der Bundesbank oder der Schweizerischen Nationalbank muss man sich jeden Tag in Erinnerung rufen, was man alles nicht weiss. Wer jedoch denkt, er könne die Meinung des Marktes kontrollieren, war noch nie auf einem Trading Floor und hat noch nie gesehen, wie eine Bank ihr operatives Geschäft finanziert. Eine Strafanklage kann das Vertrauen in eine Bank gefährden, und darüber haben weder die Regulatoren noch das Departement of Justice eine Kontrolle. [A.L.: Es geht den Amis auch darum, die missliebige Schweizer Konkurrenz auszuschalten. "Gerechtigkeit" wird daher vorzugsweise im Ausland gesucht...]
- Was bedeutet es konkret, wenn eine Bank in eine solche Situation gerät?
Als Schatzmeister von Morgan Stanley habe ich hautnah erlebt, was sich abspielt, wenn die Märkte unter Stress geraten: Beim Börsencrash von 1997 hatten wir in einem einzigen Tag 20% unserer Finanzierungsbasis verloren. Das macht deutlich wie, schnell die liquiden Mittel einer Bank verpuffen können. Sie muss sich am Markt laufend refinanzieren – wie ein Jongleur, der nie einen Ball fallen lassen darf. Im glimpflichsten Fall hat eine Strafanklage gegen Credit Suisse lediglich eine Verteuerung der Finanzierungskosten zur Folge. Es kann aber auch passieren, dass der gesamte Kreislauf ins Stocken kommt.
- Eine zentrale Rolle spielt für Credit Suisse, dass die Regulatoren ihr die Banklizenz in den Vereinigten Staaten nicht entziehen. Warum ist das so wichtig?
Ein Blick in die Bilanz von Credit Suisse zeigt, dass ihre Vermögenswerte überwiegend in Dollar und Euro denominiert sind. Um sich zu finanzieren, ist der Konzern deshalb zwingend auf den Mittelfluss aus Dollar und Euro angewiesen und muss dafür Devisen am Markt kaufen. Seine Dollar-Finanzierungsbasis ist damit nicht so solide wie bei einem amerikanischen Konkurrenten wie Bank of America, der über reichlich Depositen von US-Kleinkunden verfügt. Umso wichtiger ist daher das Vertrauen der anderen Markteilnehmer... |